Testfall Elimor-Sektor (Eyilon 14.598 d. A.)

Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.

Aus ‚Buch des Willens‘ von Dolanty (um 3100 da Ark)

 

18. Prago to Eyilon 14.598 da Ark.

  Drei Tage sind bereits vergangen, seit Charrut und seine Kameraden vom Einsatz im Maniron-System an die Raumakademie von Varynkor zurückgekehrt sind. Zuerst mussten sie einige medizinischen Untersuchen über sich ergehen lassen, dann waren Berichte anzufertigen vom Zeitpunkt des Aufbruchs zum Karalak-System bis zur Wiederkehr nach Varynkor, und ab heute hieß es wieder: Lernen – der Ausbildungsbetrieb nahm keine Rücksicht auf physische und psychische Gegebenheiten der Thos’athor. Aber damit konnte Charrut ganz gut umgehen, schließlich besuchte er bereits seit vier Jahren die Raumakademie. Trotzdem hatte er sich gestern nochmals entschlossen, eine separate medizinische Untersuchung durchführen zu lassen, denn er fühlte sich seit der Paralyse durch die Topsiderwaffe noch nicht hundertprozentig wiederhergestellt.

  Gestern Abend hatte Charrut noch mit Ariol nert Gondorod gesprochen. Zu einem gewissen Teil fühlte er sich für Ariols Fußverletzung verantwortlich. Schliesslich hatte er nicht eingegriffen, als die Topsidos Ariol zum zweiten Mal aufforderten, sich hinzusetzen. Stattdessen kam Ariols Sturheit, von der Charrut nicht wusste, ob sie auf mangelnder Voraussicht oder auf Heldenmut basierte, aber ein wesentlicher Charakterzug von Ariol war, wieder zum Vorschein. Er hatte dafür einen Strahlerschuss in den Fuß erhalten. Die Verletzung würde erst in einem Berlenprag verheilt sein.

  Charrut konnte noch immer nicht glauben, dass der Stellvertreter des Tatos vom Karalak-Systems, sowie Besatzungsmitglieder der Flotte mit den Topsidos, wie die Echsenwesen genannt wurden, kollaborierten. Aber mittlerweile hatte er sich daran gewöhnen müssen, dass es im Imperium nicht so lief, wie er es sich vorstellte.

  Nicht zu vergessen der Anschlag vor einigen Jahren auf die Raumakademie, als er noch den Rang eines Ma’chors inne hatte. Irgendwie konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, dass dies noch nicht das Ende der Überraschungen war. Morgen sollte Charrut das Ergebnis der Untersuchung erhalten, aber heute stand erst einmal die Ausbildung auf dem Plan: Dagor-Lerneinheiten.

* * *

  Der Vormittag gehörte dem Ersten Ehernen Prinzip, wie die 1. Stufe des Dagor genannt wurde . Nach der Mittagspause sollten nochmals einstudierte Bewegungsabläufe durchgesprochen und verbessert werden, da ihr derzeitiger Ausbilder, Dor ter’len Gelin, nach dem Lesen des Einsatzberichtes zu der Erkenntnis kam, dass die Athors in vielen Bereichen noch immer Lücken beim praktischen Verhalten und im taktischen Wissensbereich aufwiesen. Doch soweit kam es für Charrut erst gar nicht. Mit Beginn der 10. Tonta hatte der Dagorlehrer über Intercom zum Trainingsraum gerufen. Kurze Zeit später war das Gespräch beendet und Dor ter‘len Gelin rief Charrut zu sich. Dor ter‘len Gelin sah ihn mit einem fragenden Blick an und sagte: „Charrut, Sie sind für heute von der Ausbildung freigestellt und melden Sie sich sofort bei Direktor Antor Agh’len Kolamir!“

Ti’Ghen Zhdopan“ sagte Charrut und ging aus dem Trainingsraum. Er sah noch die fragenden Blicke seiner Kameraden, wusste aber genauso wenig wie sie.

* * *

  Auf dem Weg zum Büro von Direktor Antor Agh’len Kolamir überlegte er angestrengt, was er angestellt haben mochte. War die Geschichte mit Onista herausgekommen und wollte man Ihn dafür bestrafen? Oder dass er als befehlshabender Athor des 11. Karalak-Geschwaders ‚geschwächelt‘ hatte und mitverantwortlich war für die ‚Fast-Hinrichtung‘ von Ariol nert Gondorod durch die Topsidos? Oder dass das 11. Karalak-Geschwader unter seiner Führung im Maniron-System verlorengegangen war? Nein, wenn dem so wäre, dann hätte wohl Jewon de’len Canart ihn zu sich gerufen.

  Mittlerweile war er beim Vorzimmer von Antor Agh’len Kolamir angekommen. Er sah in die Spiegelleiste in Kopfhöhe, die den kurzen Gang auf beiden Seiten zum Büro des Direktors zierte, betrachtete sich darin und sah: Die Uniform war korrekt geschlossen, die Frisur seiner schulterlangen Haare passte; nur sein Gesicht wirkte hagerer und seine hellroten Augen blickten ernster als früher. Kein Vergleich mehr mit dem unbeschwerten und lebenslustigen Charrut von früher. Die Einsätze der letzten Jahre und die Probleme mit Auris in den zurückliegenden Votanii hatten Ihre Spuren bei Ihm hinterlassen. Mit einem inneren Seufzer drückte Charrut auf den Türöffner und trat ein.

* * *

  Gleich drei Frauen blickten von Ihren Unterlagen auf, zwei zur linken und eine zur rechten Seite. Die zwei Frauen zur linken Seite nahmen nur kurz Notiz von ihm und widmeten sich wieder ihrer Arbeit, die Frau zur rechten, die auch an einem größeren Schreibtisch saß, blickte ihn immer noch an. Er schloss die Tür, ging zum Schreibtisch auf die rechte Seite, schlug sich die rechte Faust an die linke Brustseite und sagte: „Athor a.p. Charrut del Harkon, ich soll mich umgehend beim Hochedlen Antor Agh’len Kolamir melden!“. Mit einem Blick hatte er das Namensschild auf der Brust der Frau erkannt und Ihren Namen gelesen: Asata nert’tiga Vorgon. Sie hatte seinen Blick gesehen und blickte ihn von oben herab an. Dann sagte sie wie beiläufig: „Warten Sie, bis Sie aufgerufen werden.“ Anschließend vertiefte Sie sich wieder in ihren Aufgaben.

  Charrut hatte beim Eintreten in das Vorzimmer vor dem Schreibtisch auf der rechten Seite Kontursessel für Besucher gesehen. Er ging dort hin und setzte sich. Kurze Zeit später hörte er noch Asata nert’tiga Vorgon sagen: „Ti’Ghen Zhdopanda“, bevor Sie ihn von Ihrem Schreibtisch aus ansprach: „Der Hochedle Antor Agh’len Kolamir hat jetzt Zeit, Sie zu empfangen. Sie dürfen eintreten!“ Charrut stand auf, bedankte sich bei Asata nert’tiga Vorgon, drückte den Türöffner und trat ein. Er sah Direktor Antor Agh’len Kolamir hinter seinem Schreibtisch sitzen, Unterlagen an seinem Ksol-Terminal lesend. Er schloss die Tür, ging zum Schreibtisch, salutierte und sagte mit kräftiger Stimme: „Mein Leben für Arkon und den Imperator!“. Antor Agh’len Kolamir blickte auf, sah Charrut an und fragte: „Was ist die Aufgabe eines jeden Arkii, vor allem dem, der eine militärische Laufbahn eingeschlagen hat?“