„Wann musst du wieder aufbrechen?“

„Morgen. Morgen Mittag muss ich spätestens per Transmitter abreisen, damit ich ungefähr zeitgleich mit Kerasor auf Harkon eintreffe. Kerasor ist, wie du bei eurem Besuch auf Harkon im Ansoor erfahren hast, entfernt mit meinem Khasurn verwandt und wir haben ausgemacht, dass er und ich einige freie Pragos auf Harkon und im Elimor-Sektor gemeinsam verbringen wollen. Wenn du mich dabei unterstützen könntest, von eurem Khasurn eine Transmitterverbindung nach Harkon zu organisieren, wäre ich dir sehr dankbar“.

„Selbstverständlich, Charrut“ erwiderte Merida und Charrut hatte das Gefühl, das die Antwort keine Floskel war, die so gerne ausgetauscht wurden.

Charrut deutete auf Meridas linken Arm und fragte: „Dein Arm ist scheinbar gut verheilt. Und die übrigen inneren Verletzungen auch?“

Sie warf kurz einen Blick auf ihren Arm, bevor sie Charrut antwortete: „Ja, danke für die Nachfrage. Der Arm war zum Glück nur angebrochen und ist wieder voll funktionsfähig. Auch die Leber hat sich vollständig erholt“.

Merida sah Charrut an und meinte: „Lust auf eine Besichtigungstour durch unseren Khasurn? Ich würde mich gerne für deine Führung auf Harkon revanchieren“.

Lächelnd sah er sie an und erwiderte: „Gerne“.

Merida stand auf, sah Charrut an und sagte: „Nun denn, lass uns aufbrechen“. Gemeinsam verließen sie den Essensraum der ‚de Ariga‘.

* * *

Am späten Nachmittag hatte sich Charrut einen Gleiter der ‚de Ariga‘ ausgeliehen und hatte sich damit positronisch gesteuert zu den Grabkammern der Arigas fliegen lassen. Als er Merida um ein Zugangs-Permit bat, hatte sie ihn mit großen Augen angesehen. Er hatte sehen können, das ihr einige Fragen auf der Zunge lagen, aber dann hatte sie doch nur den Kopf genickt und ihm den Permit besorgt.

Jetzt stand er in der Grabkammer der ‚del Ariga‘. Mitten in der Grabkammer war ein Positronikterminal positioniert sowie eine Bank zum Sitzen. Charrut wählte aus der Liste, die am Monitor auftauchte, Areghnatha del Ariga aus und setzte sich auf die Bank. Kurz darauf fuhr eine annähernd ein Quars hohe und ungefähr ein zehntelquars im Durchmesser Arkonitsäule aus dem Boden, und die Grabkammer, die bisher mit einem schwachen gelblichen Licht erleuchtet war, wurde abgedunkelt. Eine Holoprojektion von Areghnatha erschien. Die Holoprojektion erlosch nach wenigen Paltortontas und wurde abgelöst von vielen, schnell aufeinanderfolgenden weiteren Projektionen, die Areghnatha von der frühesten Kindheit bis zur jungen Frau zeigten. Anschließend verlangsamten sich die Holobilder und zwischendrin erschienen auch kleinere Videosequenzen. Als letztes erschien eine Videosequenz, die Areghnatha in ihrer hellblauen Thos’athor-Uniform zeigte. Sie kam auf die Kamera zu und sagte mit einem glücklichen Gesichtsausdruck: ‚Ich bin froh, dass ich mich für die Faehrl von Varynkor entschieden habe und ich habe hier viele neue Freunde gefunden!‘.

 ‚Wie lange war es her, das sie im Einsatz gestorben war? Drei, vier Votharii? Fast schon viereinviertel Votharii‘ beantworte er seinen eigenen Gedanken. Ihm ging so mancher Einsatz mit ihr durch den Kopf. So oft, wie er sich über ihren ‚Übereifer‘ mit der Waffe geärgert hatte, genauso oft hatte er sich gefreut gehabt, sie an seiner Seite zu wissen. Er betrachtete ihr Holobild, was die Arkonitsäule erneut projizierte. Er war hergekommen, um sich von ihr endgültig zu verabschieden und ein kurzes Gebet für sie an die She‘Huhans zu richten.

Nachdem er sein Gebet gesprochen hatte, verabschiedete er sich in Gedanken von ihr: ‚Wenn meine Zeit gekommen ist, sehen wir uns wieder zu Füßen der She’Huhans, Areghnatha. Leb wohl!‘.

Mit den letzten Gedanken an Areghnatha deaktivierte er am Positronikterminal die Wiedergabe und drehte er sich um, um zu gehen, und stand auf einmal einen unbemerkt herangetretenen Arki gegenüber, der in ansprach.

„Wer sind Sie? Wie kommt ein Fremder in diese geheiligten Stätte?“

Charrut zog den Permit aus einer seiner Anzugstasche und zeigte es her.

„Sie kannten meine Schwester?“

Charrut blickte kurz zurück zur im Boden verschwindenden Arkonitsäule und antwortete dann: „Ja. Wir waren damals gemeinsam auf der Faerhl von Varynkor. Wir hatten oft gemeinsame Einsätze, nur leider nicht bei ihrem letzten. Ich konnte mich nie richtig von Ihr verabschieden. Ich wusste gar nicht, das Areghnatha einen Bruder hat.“

„Nicht nur einen, sondern drei Brüder“ erwiderte der Mann.

Der Mann reichte Charrut die Hand und sagte: „Mein Name ist Emereina del Ariga. Ich danke Euch, dass ihr das Grab meiner Schwester besucht habt.“

Charrut ergriff die Hand und sagte: „Charrut del Harkon. Ich bin übrigens zu Besuch bei Verwandten von Euch.“

Der Mann blickte Charrut überrascht an. Charrut erläuterte: „Ich bin hier, um meinen Gegenbesuch beim Khasurn meiner zukünftigen Frau zu machen, Merida de Ariga.“

Das Gesicht von Emereina’h del Ariga verlor etwas von seiner Freundlichkeit. „Ich habe davon gehört, dass sie einen Ehevertrag unterzeichnet hat. Wenn man weiß, wie man Merida de Ariga behandeln muss, ist sie eine passable Frau. Lebt wohl, Charrut del Harkon.“

Mit den letzten Worten drehte er sich um und ging. Nach einigen Schritten blieb er stehen und drehte sich nochmals zu Charrut um. „Um Areghnathas Andenken: hütet Euch vor Meridas Bruder. Er ist, wie soll ich sagen, nicht gerade ein Anhänger des Imperators“. Mit diesen Worten drehte er sich endgültig um und ging.

Charrut blickte Areghnathas Bruder hinterher und ließ sich deren letzte Aussage nochmals durch den Kopf gehen. Seine Abneigung gegen Meridas Bruder wuchs. Nicht nur, dass dieser gestern Abend versucht hatte, ihn vor allen Besuchern herabzuwürdigen, sondern, falls Emereinas Worte der Wahrheit entsprechen sollten, auch gegen den Imperator ist. Er wusste nicht warum, aber ihm kam die TDA in dem Sinn.

‚Unsinn‘ wisperte es in seinem Kopf, als sich sein Logiksektor meldete. ‚Erstens viel zu weit hergeholt und zweitens gibt es dafür keinerlei Hinweise‘ erklang die Stimme seines Logiksektors in ihm. ‚Und wenn es doch stimmt?‘ erwiderte er gedanklich, aber sein Logiksektor meldete sich nicht mehr.

‚Ich sollte auf der Hut sein und Arano auf die Finger sehen‘. Charrut ging langsam in Richtung Gleiterlandeplatz am Rande der Grabkammern. ‚Wenn man weiß, wie man Merida behandeln muss, ist sie eine passable Frau‘ hallten die Worte Emereina’hs durch seinen Kopf.

* * *

Die Diener waren bereits vorausgeeilt, um sowohl sein Gepäck, was gerade einmal aus zwei militärischen Gepäcktaschen bestand, zu einer der khasurneigenen Transmitterstationen zu bringen als auch seinen über Merida organisierten Transmittersprung vorzubereiten.

Als Merida und Charrut die Transmitterstation erreichten und wenige Quars vor dem Transmitter stehen blieben, deutete ein Diener auf die Kontrollen und erläuterte: „Zhdopandel, Ihr müsst nur noch die Transmittereinheit aktivieren. Sobald das Klar-Symbol erscheint und das Transmitterfeld aufgebaut ist, kann der Sprung vollzogen werden!“. Damit verneigte sich der Diener und verließ zusammen mit den anderen Bediensteten die Transmitterstation.

Merida sah kurz Charrut an und als dieser den Kopf zur Bestätigung leicht nickte, aktivierte sie die Transmittereinheit.

Während beide auf das Klar-Signal warteten, fragte Merida: „Wann sehen wir uns wieder?“

Charrut hatte das unbestimmte Gefühl, das Merida wirklich so meinte wie sie fragte, genauso wie gestern Morgen nach dem gemeinsamen Frühstück. Ein unbestimmtes Gefühl in ihm hielt ihn aber davon ab, zu fragen, was seit dem letzten Zusammensein vorgefallen war, das sie jetzt nicht mehr so herzlos und dünkelhaft erschien. Er machte mit den Händen eine unbestimmte Geste und erwiderte: „Das liegt leider nicht an mir. Ich kann nicht beurteilen, wann ich wieder einmal Urlaub bekomme. In ungefähr einem Berlenprag müssen Kerasor und ich uns wieder auf Varynkor zurückmelden. Danach erhalten wir unsere Einsatzbefehle“. Er machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach: „Ich befürchte, es werden einige Votanii sein, ehe wir uns wiedersehen!“

Merida nickte und erwiderte betrübt: „Ich verstehe“.

In diesem Augenblick kam das Klar-Signal Signal zum Sprung und ein Lichtsignal zeigten ihm an, dass er springen konnte. Er nahm seine Gepäcktaschen auf, drehte sich noch einmal zu Merida um und sagte: „Bis bald und pass auf dich auf, Merida“ und nickte ihr lächelnd zu. Danach schritt er auf das absolut schwarze Zentrum des Transmitters zu und trat hindurch. Mit einem kurzen ziehen im Nacken tauchte er in einem der zahlreichen Transmitter des heimatlichen Khasurns auf.