Als Merida am nächsten Morgen aufwachte, dachte sie zuerst, das Gestern gehörte wäre ein bizarrer Traum gewesen. Als sie aus der Hygienekabine kam, sich angezogen hatte und ihre Nachrichten am Positronik-Terminal ihres Wohnbereiches abrief, fand sie eine Nachricht vor: „Informationen zum Khasurn del Harkon“. Ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken. Es war kein Albtraum, sondern die Wirklichkeit. Langsam setzte sie sich vor dem Monitor und öffnete das Informationspaket. Trotz einer gewissen Neugier kehrte ihre Verzweiflung von Gestern zurück. Sie konnte es noch immer nicht fassen, dass ihre Eltern ihr diese Zwangsheirat antun wollten.

Sie sah die ersten Bilder ihres zukünftigen Mannes, Charrut del Harkon. Er sah einigermaßen passabel aus. Und er war auf eine Raumakademie, ließ sich dort zu einem Offizier der Imperialen Raumflotte ausbilden. Er war 1,70 Quars groß, sah durchtrainiert aus, wenn ihr auch auffiel, dass er etwas hager war. Aber als sie sah, das der Elimor-Sektor mit der Hauptwelt Harkon annähernd 70 Lichtjahre von Ariga entfernt war und das Harkon nicht mit Ariga zu vergleichen war – ständiges Kommen und Gehen hochgestellter Persönlichkeiten, Vergnügen im Überfluss, die teuersten Konsumtempel des Tai Ark’Tussan, Diner und Empfänge an der Tagesordnung – verstärkte sich ihre Verzweiflung noch mehr. Sie überlegte, mit welcher Strategie sie die vereinbarte Hochzeit vereiteln konnte. Sie beschloß nach einigen Überlegungen, es erst einmal auf die sanfte Tour bei ihrer Mutter zu versuchen. Ihren Karan, das wusste sie, konnte sie nicht mehr umstimmen. Ihre Fama dagegen war für manche Zugeständnisse ihrerseits empfänglich.

Sie stand auf, ging zum Wohnbereich ihrer Eltern und klopfte an. Nach einigen Augenblicken öffnete sich die Tür. Ihre Fama, noch mit dem Nachtgewand bekleidet, sah sie überrascht an, bat sie aber herein.

Als sich die Tür schloss, fragte sie leise: „Warum?“

Adara setzte sich auf die Couch und sagte: „Hast du dich jemals gefragt, warum du so bist wie du bist? Warum du gerne Chronners ausgibst, auf jedem Diner und jedem Empfang zu finden bist, Freundinnen hast, die genauso wie du nur oberflächig sind? Du hast kein Ziel, keine Bestimmung. Du interessierst dich für nichts außer für dein Vergnügen! Du erwartest von uns, dass wir alle deine Wünsche erfüllen, dass du Geld ohne Ende ausgeben kannst. Aber was gibst’s du zurück? Nichts! Du bist sowohl als Exobiologin, Linguistin als auch Energietechnikerin ausgebildet, aber anstatt dein Wissen in den Dienst des Khasurns zu stellen schädigst du nicht nur dein sondern auch unser aller Ansehen. Wie glaubst du eigentlich hat sich dein Karan gefühlt, als Augh Agh’moas Zhalyemor anrief und mit dem Abbruch der Geschäftsbeziehungen wegen dir gedroht hat? Wir hatten immer gehofft, dass du mit einem Sohn eines angesehenen Khasurns irgendwann bei uns auftauchen und er uns fragen würde, ob er dir den Hof machen darf. Aber mittlerweile bist du unattraktiv für andere Khasurns geworden, deine Extravaganzen und Narrheiten haben sich herumgesprochen. Und daher haben wir uns – mit Rücksprache des Khasurnrates – entschieden, dass eine Frau von 21 Tai-Vothanii einen festen Bezugspunkt braucht!“

„Bitte, Fam, ich kann mich ändern, ich kann mich bessern. Bitte!“ sagte Merida mit flehendem Unterton.

Adara hob eine Hand, um den Redefluß ihrer Tochter Einhalt zu gebieten und erwiderte streng: „Es tut mir leid, Merida, es ist entschieden!“

Als sie sah, dass auf dem Gesicht ihrer Tochter ein völlig verzweifelter Gesichtsausdruck entstand, blutete ihr das Herz. Darum sagte sie versöhnlicher, mit verhaltener Stimme: „Trage es mit Würde, Merida. Mit der Würde des Adels und als eine Tochter der ‚de Ariga‘. Bevor eine Ehe im She’huhan-Tempel besiegelt wird, geht ihr eine Probezeit voraus. Da kann sich vieles entscheiden.“

„Ich will aber nicht heiraten, schon garnicht jemanden, den ich nicht kenne, geschweige liebe!“ erwiderte sie heftig. „Wie könnt ihr mir so etwas antun? Habt ihr denn kein Herz?“

Merida stand wütend auf und verließ fluchtartig den Wohnbereich ihrer Eltern.

‚Ich hoffe, Merida hat meinen Hinweis verstanden‘ ging es Adara seufzend durch den Kopf.

* * *

Noch immer wütend auf ihre Mutter, auf die sie ihre ganzen Hoffnungen gesetzt hatte, erreichte Merida ihren Wohnbereich. Sie betrat ihr Schlafgemach und warf sich auf ihr Bett.

‚Was jetzt? ‘ fragte sie sich und fing an zu überlegen. Nach einiger Zeit hatte sie einen Entschluss gefasst. Sie stand auf und sagte zur Khasurnpositronik in den Raum hinein: „Positronik, meine Dienerin Namemi soll zu mir kommen. Sofort!“.

‚Sie wurde informiert, Zhdopanda‘ erwiderte die Khasurnpositronik. Derweil öffnete Merida die Türen aller Kleiderschränke, stellte sich in einem Abstand davor und überlegte, welche Kleidungsstücke sie mitnehmen sollte.

Kurz darauf betrat Namemi das Schlafgemach. Merida sah sie an und sagte mit bestimmenden Tonfall: „Ich werde jetzt aus dem Khasurn ausziehen. Du wirst das keinem verraten, verstanden?

„Wie Ihr es wünscht, Zhdopanda!“ sagte Namemi.

Zufrieden sagte Merida: „Du wirst jetzt die Sachen packen, die ich dir zeige. Danach lässt du sie zu meinem persönlichen Gleiter bringen“.

Ohne auf eine weitere Antwort oder Bestätigung ihrer Dienerin zu warten, sah Merida zu ihren Kleiderschränken und fing an, auf diverse Kleidungsstücke zu zeigen und zu sagen: „Dieses, dieses, das auch…“

Eine halbe Tonta später hatte Namemi drei Schrankkoffer, fünf kleinere Koffer sowie zwei größere Taschen gepackt. Sie liess Roboter kommen, die die größeren Koffer aufnahmen, während sie die verbliebenen Taschen nahm. Merida schritt voran, Namemi und die Roboter folgten. Keine zehn Palbertontas später startete Merida ihren Gleiter und verließ den Khasurn.

* * *

Am nächsten Morgen beim gemeinsamen Frühstück. Alle waren versammelt, nur Merida fehlte. Onuk wandte sich an seine Frau Adara: „Weist du, wo Merida ist? Sie ist gestern Abend nicht zum Abendessen erschienen und jetzt auch nicht zum Frühstück. Ist sie vielleicht krank?“

Adara schüttelte den Kopf und erwiderte: „Gestern früh war sie kurz in unserem Wohnbereich und versuchte, uns die vereinbarte Hochzeit auszureden. Danach ist sie wütend gegangen. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen. Aber ich kläre es gleich.“ Sie legte ihre Serviette zurück auf den Tisch und stand auf.

Nach kurzer Zeit stand sie vor Meridas Wohnbereich. Sie klopfte mehrmals an die Tür, doch Merida öffnete nicht. Sie fragte die Khasurnpositronik und diese gab ihr zur Antwort, dass sich Merida nicht im Khasurn befand.

Sie kehrte zurück zum Speisesaal. Als sie sich aus dem Antigravschacht schwang, begegnete ihr Namemi.

„Namemi, weißt du, wo sich Merida befindet?“

„Nein, Herrin, das weiß ich nicht!“

Adara wollte eigentlich schon weitergehen, als sie Namemi noch fragte: „Wann und wo hast du Merida das letztemal gesehen?“

„Gestern früh, Herrin, auf dem Gleiterdeck“

Adara war überrascht. Darum fragte sie gleich nach: „Auf dem Gleiterdeck? Was hast du da gemacht?“

Namemi blieb stumm und sah sie nur an. Adara beschlich eine Ahnung. „Namemi, ich habe dir eine Frage gestellt!“ sagte sie ärgerlich.

„Herrin, ich darf darüber mit keinem reden. Das musste ich Merida versprechen!“

Adaras Ahnung wurde immer stärker. Sie drehte sich um und sprang wieder in den Antigravschacht, um nach oben zu Meridas Wohnbereich zu schweben. Kurze Zeit später ließ sie von der Khasurnpositronik den Wohnbereich öffnen. Sie drang ein und ging schnurstracks in Meridas Schlafbereich. Dort sah sie die offen stehenden Schranktüren und die fast leeren Schränke. Wütend auf Merida, die die Gelegenheit genutzt hatte, einfach zu verschwinden, wütend auf sich selbst, dass sie ihre Tochter nicht richtig eingeschätzt hatte und es hätte vorhersehen können, machte sich wieder auf den Weg zum Speisesaal.

Alle hatten bereits angefangen, zu frühstücken. Onuk nahm gerade einen Schluck Kerisu, als er sie erblickte, wie sie den Raum betrat. Er kannte seine Frau schon seit mehr als 40 Tai-Vothanii und erkannte sofort, dass etwas nicht stimmte. Als Adara am Tisch war, fragte er: „Was ist geschehen? Ist etwas passiert?“

Adara erwiderte verärgert: „Merida hat den Khasurn verlassen. Sie glaubt wohl, so der Hochzeit zu entkommen“.

Onuk war erst verblüfft, dann änderte sich die Verblüffung in Wut.

Ruckartig stand er auf, warf seine Serviette auf seinen Essensteller und sagte laut, mit einer Stimme, in der sowohl Wut wie auch Enttäuschung mitschwang: „Es reicht. Jetzt ist endgültig Schluss! Ich lasse es nicht zu, dass meine Entscheidungen und Wünsche missachtet werden. Und erst Recht nicht von meinen Kindern!“

Mit ausholenden Schritten verließ er den Raum, während Adara ihm folgte.

Nach kurzer Zeit erreichten beide Onuks bevorzugtes Arbeitszimmer. Während Onuk zu seinem Tisch ging, schloß Adara die Tür hinter sich und setzte sich in einem der Sessel vor Onuks Schreibtisch.

Währenddessen ergriff Onuk das Wort. „Positronik, jeglicher Zugriff auf das persönliche Konto von Merida de Ariga sperren!“ sagte Onuk in den Raum hinein.

‚ Zhdopanda, das ist nur mit einem Vorrang-Code möglich‘ erwiderte die Khasurnpositronik.

Onuk nahm seine KSOL, die auf dem Tisch lag, in die Hände und tippte einen Code ein. Danach übertrug er den Code von der KSOL an die Khasurnpositronik.

„Positronik, der Vorrang-Code wurde mitgeteilt. Bestätige den Empfang. Sperre das persönliche Konto von Merida de Ariga!“

„Empfang bestätigt, Zhdopanda. Das Konto wird gesperrt“

Onuk wandte sich an seine Frau Adara: „So, das war der erste Schritt. Ich brauche jetzt von dir alle Namen ihrer Freundinnen, mit denen sie die letzten Tai-Vothanii Kontakt hatte. Fange mit den engsten Freundinnen an“ und an die Positronik gewandt sagte er: „Positronik, alle Namen speichern und die COM-IDs der jeweiligen Khasurnführer suchen!“

Onuk warf seiner Frau einen auffordernden Blick zu und Adara fing an, die Namen aller Freundinnen von Merida aufzuzählen: „Diresa de Atkalon, Nyayh’i de Darkintan, Fullnata de Rezlor, Ethari de Sayertas, Dareia de Zhayldom, Augh’emy de Throemyer und Lordeni de Zoltral.“

Währenddessen hatte sich Onuk an seinen Schreibtisch gesetzt und überlegte, was er den Khasurnoberhäupten sagen musste und durfte.

Er gab sich einen innerlichen Ruck und sagte: „Positronik, stelle die Verbindungen in der Reihenfolge her, wie die Namen genannt worden sind. Teile mir den Khasurnnamen vorher mit.“

„Zhdopanda, Verbindung wird hergestellt. Khasurn ‚de Atkalon‘.“
Einen Augenblick später erschien das Familienwappen der ‚de Atkalon‘ auf dem Monitor. Er musste warten, dann verschwand das Wappen und ein älterer Arki blickte Onuk an.