14. Prago to Ansoor 14.598 da Ark – 14:00 VOT Ortszeit

Der frühe Abend kündigte sich bereits an, als sich der Tross aus Khasurnangehörigen, geladenen Gästen und dem Hochzeitspaar mit vielen Luxusgleitern auf den Weg zum She’Huhanii-Tempel machte. Charrut spürte eine gewisse Nervosität in sich, obwohl es nicht seine Hochzeit war, sondern die seines Karans und dessen Verlobte Onythia. Aber er musste daran denken, dass sein Karan für ihn einen Ehevertrag abgeschlossen hatte. Darum war es nur eine Frage der Zeit, bis er auch diesen Weg gehen musste. Immer, wenn seine Gedanken dahin abschweiften, kochte seine Wut auf und der Groll auf sein Karan kam wieder in ihm hoch. Wenn er nur eine Möglichkeit fände, dieser Ehe zu entgehen! Er hatte eine Weile mit dem Gedanken gespielt, den Ehevertrag nicht zu unterschreiben. Aber er kannte seinen Karan. Er würde seine Drohung wahrmachen, ihm jede finanzielle Unterstützung zu entziehen. Dann müsste er die Akademie von Varynkor verlassen und wieder nach Harkon zurückkehren. Sein Traum von einer Karriere in der Flotte wäre dann ausgeträumt. Wenn er den Ehevertrag unterzeichnen sollte, könnte er nach seiner Abschlussprüfung um seine Versetzung innerhalb der Flotte zu bitten. Möglichst weit weg, damit er so wenig wie möglich nach Harkon kommen konnte und damit zu seiner ‚Ehefrau‘.

Mit im Gleiter saßen seine herzensgute, verständnisvolle Tante T’hina, die Schwester seines Karans, sowie Adara de Ariga und selbstverständlich Merida. Adara und T’hina saßen nebeneinander ihnen gegenüber und unterhielten sich über die bevorstehende Hochzeit, während Merida schweigend neben ihm saß.

Der Flug würde eine halbe Tonta in Anspruch nehmen, da der She’Huhanii-Tempel am nordöstlichen Ende des Kontinents lag. Als er schließlich den kunstvoll ausgeleuchteten Tempel,der einer siebenblättrigen Secinda-Moos-Blüte nachempfunden war, aus dem Seitenfenster erspähte, machte er die anderen darauf aufmerksam.

„Seht, die Blüte des Glücks!“

Adara schenkte Charrut ein freundliches Lächeln und als sie sicher war, dass er es nicht mehr mitbekommen würde, einen auffordernden, auf Charrut deutenden Blick zu ihrer Tochter Merida.

Merida beugte sich zu ihm herüber, um aus dem Seitenfenster einen Blick auf das Bauwerk werfen zu können, das harmonisch in der Seenlandschaft eingebettet war.

So nah bei ihm, stieg ein exotischer Duft in seine Nase. Er wusste nicht, ob ihr Körper oder ihr Haar diesen Duft ausströmte. Jedenfalls hatte er schon lange nicht mehr solch einen verführerischen Duft wahrgenommen. Aber Begriffe wie ‚Zwangsehe‘, ‚Ehevertrag‘, ‚Erpressung‘ brannten sich in seine Gedanken und ließen alles wie an einer Mauer abprallen, rangen die durch den Duft hervorgerufenen Emotionen nieder.

Kurz darauf landete der Gleiter auf einem von Bäumen umringten Landeplatz, nahe dem Ufer des Sees, in welchem die Tempelblüte stand. Er stieg aus und half seiner Tante T’hina, Adara und Merida beim Aussteigen. Charrut führte die Frauen über den leicht gewundenen Fußweg zu einer hölzernen Brücke. Diese führte anschließend zu einem der sieben Eingänge, gut 500 Quars entfernt auf die Insel des Blütenbauwerks. Langsam gingen sie auf den Eingang zu, der sich direkt am unteren Ansatz der Secinda-Moosblatt-Nachbildung befand. Ein Priester wartete davor auf die Gäste. Das Secindablatt war unter Wasser dunkeltürkis gefärbt und lief zur Blattspitze in 100 Quars Höhe in hell leuchtendem Weiß aus.

Charrut sah zurück und erkannte Sicherheitspersonal in den Farben der She’Huhanii-Priester, die gerade einen nicht angemeldeten Gleiter wieder zum Abfliegen bewegten. Nur geladenen und angemeldeten Gästen war es erlaubt, an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Darunter befanden sich auch Mitarbeiter der lokalen Trivid-Nachrichtensendern mit ihren fliegenden Robotkameras, denn die Hochzeit von Onythia de Chihan und Ultral I. del Harkon war DAS Ereignis im Elimor-Sektor. Weitere Hochzeitsgäste folgten dem Weg.

Adara nahm Merida unterwegs kurz zur Seite und flüsterte ihr etwas zu, um sich dann wieder an T’hina, Charruts Tante zu wenden.

Merida neigte sich im Gehen zu ihm herüber und fragte: „Wart Ihr schon einmal bei einer Hochzeitszeremonie dabei?“

Charrut verspürte wenig Lust, sich mit Merida zu unterhalten, konnte sie allerdings nicht ignorieren. Darum erwiderte er: „Ja, im letzten Tai-Vothan hat meine Schwester Chamah’ney geheiratet. Und Ihr?“.

„Mein Bruder Arano hat vor über vier Tai-Vothanii auf Ariga geheiratet. Das war für mich das einzige mal, dass ich bei einer Hochzeit dabei war“.

Gemeinsam gingen sie weiter. In dem orangefarbenen Sonnenuntergang leuchtete nun jedes Blatt an den Rändern intensiv golden auf. Der Priester führte sie in das innere des Tempels. Den Weg, den sie dabei benutzten, führte spiralförmig gewunden nach oben in eines der sieben Secinda-Blätter, wo sich Sitzgelegenheiten für die Tempelbesucher befan­den, die sich tribünenartig um den Kristallaltar, dem Zentrum des Tempels, gruppier­ten. Als sie ihre Plätze erreichten, waren sie gut 10 Quars vom Kristallaltar ent­fernt; im Prinzip saßen sie alle in der ersten Reihe. Je geringer die Beziehung zu den bei­den Heiratswilligen war, deste höher und damit weiter weg saßen die Gäste. Vor sich sah Charrut eine kleine Schale mit frischen und feuchten, handlangen Secinda-Wedeln auf einem kleinen Beitisch stehen.

Charrut ließ seinen Blick über die anderen sechs Sitztribünen schweifen, die sich nach und nach füllten. Er sah sich um und erinnerte sich, dass jede der Tribünen gut 1200 Personen fasste. Ab und zu erkannte er ein bekanntes Gesicht; Keon’athor Ranis de Ves’kali, Burlor dom Kelas, die Leiter der Militärakademie auf Harkon, Kima del Sekal, eine der führenden Wirtschaftsmagnaten im Elimor-Sektor, Issoss dom Harkon, ein entfernter Neffe von ihm sowie die engsten Familienangehörigen der ‚nert Harkon‘ aus dem Komthra-System. Weiter rechts hinter Merida saßen Adara und T’hina, dahinter sah er seine Schwester Chamah’ney mit ihrem Mann Zahur del L’harani. Sofern man jemanden ansah, nickte dieser leicht zurück, denn ein Winken oder lautes Zurufen wäre ein unverzeihlicher Fehler gewesen; die zeremonielle Etikette verbot so ein Verhalten. Während der anschließenden Feierlichkei­ten hatte man genügend Zeit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Einige Gäste unterhielten sich leise miteinander und von Zeit zu Zeit warf jemand einen neugie­rigen Blick zu Merida und man fragte sich wohl, wer die Frau an seiner Seite war. Er war sich sicher, dass die von den Robotkameras aufgenommenen Bilder von Merida an seiner Seite bald für wilde Spekulationen sorgen würden. Verbittert ballte er seine Hände zu Fäusten.

Mit dem Verschwinden der Sonne hinter dem Horizont erklang eine leise und sanft rhythmische Melodie, die dem natürlichen Klang Thantur-Loks entsprach. Ein Blick nach oben zeigte die ersten Sterne, die nun rötlich am Abendhimmel schimmerten; ein wichtiger Bestandteil der Hochzeitszeremonie, denn nur mit einem freien Blick auf die Sterne konnten die She‘Huhanii ungehindert auf das Brautpaar hinabblicken. Wer genügend Chronners hatte, ließ auftauchende Wolken und Regen von der planetaren Wetterkontrolle beseitigen. Weniger Betuchte ließen ein Prallfeld erzeugt und auf der Innenseite des Prallfeldes den Sternenhimmel von Thantur-Lok mit dem Sternbild ‚Krone der She’Huhanii‘ projezieren.

Charrut konzentrierte sich wieder auf das Hochzeitsgeschehen von Onythia und seines Karans. Leise sagte er zu Merida, die rechts neben ihm saß: „Jetzt müsste es gleich losgehen.“

Merida nickte mit starrem Blick und erwiderte gezwungen: „Habt Ihr die Traugewänder gesehen, die über dem Kristallaltar liegen?“

Charrut konnte nicht mehr antworten, da der erste sanfte Gongschlag erklang und damit die Hochzeitszeremonie eröffnete; die wollte er auf gar keinen Fall verpassen und konzentrierte sich darauf. Vom Kristallblock im Zentrum der Blüte wanderten seine Augen die beiden spiralig angelegten Kristallwege entlang zu ihrem Anfang, wo auf der einen Seite der Bräutigam in seiner traditionellen Khasurnkleidung erschien, ihm gegenüber die Braut in ihrer traditionellen Kleidung. Er konnte sogar erkennen, dass sie die nur noch wenig praktizierten Mehinda-Zeichnungen auf Armen, Oberkörper und Gesicht trug. Beim nächsten Gongschlag traten je ein männlicher und ein weiblicher Priester zu den Brautleuten. Mit jedem weiteren Gongschlag wurde langsam die Kleidung bis zum rituellen weißen Lendenschurz ausgezogen. Beim zwölften Gongschlag knieten die nun fast nackten Brautleute sich hin. Die vier Priester nahmen aus Secinda-Moos zusammengesetze armlange Wedel in die Hände und benetzten die Brautleute mit Wasser. Wieder ertönte ein Gongschlag und die Priester legten die nassen Wedel weg, ergriffen ein einfaches weißes Tuch und trockneten das Brautpaar sorgfältig ab. Diese standen auf, als die Priester mit einem weißen Togagewand kamen und beiden Brautleuten diese anzogen.

Anschließend führten sie das Brautpaar auf den Kristallweg. Der nächste Gongschlag ertönte und die sieben Priester, die in den Secindablätterspitzen hoch oben über ihren Köpfen standen, brachen ihr Schweigen und rezitierten das erste Gebot des Kristallweges. Das Brautpaar sprach es laut nach und schritt unterdessen über den Kristallweg, bis beide vor dem Kristallaltar standen, vor dem der Oberpriester auf sie wartete.

Als sie den letzten Vers sprachen, nahmen sie je einen vom Oberpriester angebotenen Schlegel, die einem Secinda-Fruchtstängel nachempfunden war. Danach gingen sie zum ersten Kristall und fingen wieder an, die zwölf Verse der She‘Huhanii zu beten. Nach jedem Vers wurde der zugehörige Kristall mit dem Schlegel angeschlagen, dessen Klang in der Blüte des Tempels bestehen blieb. Alle Klangwellen zusammen ergaben einen harmonischen Mehrklang, der durch Mark und Bein drang, jeden im Tempel ergriff und jeder sich Erhaben und den She‘Huhanii nah im Herzen fühlte.

Charrut wusste, das der entscheidende und letzte Schritt der Zeremonie der gemeinsame zeitgleiche Schlag mit dem Schlegel auf den zentralen Kristall war. Würde sich nun von ihm ein harmonischer Klang ausbilden, so war die Hochzeitszeremonie erfolgreich abgeschlossen und beide waren vor den Augen der Sternengötter verheiratet. Sollte ein Missklang entstehen, durften die beiden Heiratswilligen es noch einmal versuchen, von Anfang an mit dem ersten Kristall.

Onythia und Ultral sprachen gerade den letzten Vers, während der Tempel in der bisher entstandenen Klangwelle schwang und alle Hochzeitsgäste ergriffen dem Mehrklang lauschten.

Onythia und Ultral standen am letzten Kristall und schlugen mit ihren Schlegeln leicht dagegen. Der Mehrklang, der sich durch den Tempel zog, wurde lauter. Charrut hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Der Mehrklang hatte ihn ergriffen und trug ihn auf einer spirituellen Welle fort. Sein Geist durcheilte Thantur-Lok hinaus nach Debara Hamtar, die weiter entfernten Galaxien durch das Universum und suchte die She‘Huhan…

Als er nach einiger Zeit wieder klar denken konnte, war es ruhig, die Harmonien abgeklungen. Zu seiner Überraschung hatte Merida, die neben ihm saß, eine Hand auf seinen Arm gelegt. Er blickte zu ihr hinüber und sah in ein verzücktes, entrücktes Gesicht; sie war noch im Bann der Harmonien gefangen, darum ließ er sie gewähren.

Alle Priesterinnen und Priester, die wie die Trauzeugen am Ende der Secinda-Blätter stehen geblieben waren, gingen gemessenes Schrittes zu dem am Kritallaltar stehenden Paar und segneten es gemeinsam. Damit wurde die Heirat vor den She’Huhanii besiegelt.

Sein Karan umarmte Onythia und beide küssten sich innig. Charrut beobachtete es mit gemischten Gefühlen. Er freute sich wirklich für beide, dass sie einander gefunden hatten, aber auf der anderen Seite spürte er einen Stich im Herz, da er Onista vermisste.

Danach zogen sich die Priester ins Innere des Gebäudes zurück, während das Brautpaar von den Trauzeugen in ihre traditionellen Hochzeitsgewänder gehüllt wurden.

Währendessen erhoben sich die Gäste und gingen den Weg zurück zum Eingang des She’Huhan-Tempels, durch den das eben gesegnete Hochzeitspaar den Tempel verlassen würde. Dort stellten sich die Hochzeitsgäste auf und warteten darauf, dass die Priester zusammen mit Onythia und Ultral herauskamen. Als sie erschienen, warf jeder seine Secinda-Wedel unter ‚Sie leben hoch‘-Rufen auf sie, ein Symbol für Glück und Kinderreichtum.

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