Merida hatte sich in ihrem Wohnbereich zurückgezogen, konnte aber nicht einschlafen; sie hatte sich noch nicht ganz an den unterschiedlichen Zeitrythmus zwischen Ariga und Harkon angepasst; außerdem war sie es nicht gewohnt, fast nur feste Nahrung zu sich zu nehmen, so wie es die Ernährungskommission des Imperators es empfahl und der Khasurn Harkon folgte.

‚Es wäre vielleicht keine schlechte Idee, Charrut del Harkon jetzt aufzusuchen und einige persönliche Dinge in Erfahrung zu bringen, vorausgesetzt, er wäre noch wach. Außerdem könnte sie ihm damit zeigen, das SIE das Heft in der Hand hatte‘ überlegte sie sich.

„Wo befindet sich Charrut del Harkon jetzt?“ fragte sie die Positronik in herablassenden Tonfall.

Zdhopan, Charrut del Harkon befindet sich im Arbeitszimmer 9 auf Ebene 52“ antwortete die Positronik.

Kurzentschlossen stand sie wieder auf, rief ihre Dienerin und zog zusammen mit dieser wieder ihr paillettenbesetztes Kleid an. ‚Vielleicht reagiert er jetzt darauf, nachdem er am Prago kaum einen Blick dafür übrig gehabt hatte‘ ging es ihr durch den Kopf und ließ sich anschließend nochmals die Haare herrichten. Nachdem sie fertig war, ordnete sie an, daß die Positronik sie zum Arbeitszimmer 9 leiten sollte.

* * *

Charrut hatte sich in dem auf Ebene 52 liegenden Arbeitszimmer zurückgezogen, um seine Berichte für die Faehrl von Varynkor fertig zustellen und außerdem wollte er noch den Speicherkristall, den er von der Attentäterin erhalten hatte, in Ruhe auswerten. Es waren jetzt einige Vothanii vergangen, aber den Gedanken an Rache hatte er nie aufgegeben. Nur, einfach hingehen und den Khasurn bzw. das Khasurnoberhaupt anzuklagen, dafür hatte er zuwenig Beweise. Die Daten auf dem Kristall zählten nicht. Nein, er wollte den Auftraggeber leiden lassen, sowie er durch den Tod von Onista leiden musste. Er musste in eine ähnliche Situation kommen wie die Attentäterin damals: sich Zeit lassen, eiskalt planen und konsequent ausführen!

Einige Zeit später klopfte es an der Tür und Charrut sagte: „Öffnen!“. Als die Tür aufging, trat Merida de Ariga ein. Charrut blickte überrascht von seinen Unterlagen auf, schaltete schnell das Positronik-Terminal ab und erhob sich, um sie zu begrüßen.

„Ich hoffe, ich störe Euch nicht?“ fragte Merida.

„Aber nein. Sie sehen mich nur überrascht. Ich hatte nicht mit eurem Kommen gerechnet“ erwiderte Charrut und deutete auf eine Sitzgelegenheit. „Möchten Sie etwas trinken?“ fragte er. Merida setzte sich und sagte: „Ein Glas Wenas“. Charrut ging zurück zum Arbeitstisch, drückte ein Knopf und sagte: „Ein Glas Wenas und ein Glas Racausa!“. Anschließend ging er wieder zu Merida und setzte sich ihr gegenüber.

„Kann ich etwas für Sie tun, Zdhopanda?“

„Ich hielt es für eine gute Idee, uns etwas näher kennen zu lernen. Finden Sie nicht auch?“ erwiderte Merida fragend.

„Unbedingt!“ sagte Charrut.

Merida blickte zum Schreibtisch und fragte: „Sie arbeiten noch so spät?“

„Nun, als Athor a.P. hat man neben rein militärischen auch noch administrative Aufgaben zu erledigen. Ich war gerade dabei, Berichte über das Schiff und der Besatzung zu erstellen, damit ich sie nach meinen Urlaub der Kommandantur übergeben kann. Außerdem will ich auf der Militärakademie hier auf Harkon einen Vortrag halten“.

Es klopfte kurz an der Tür und eine Dienerin trat ein. Sie goss Merida ein Glas Wenas ein und stellte Charrut ein Glas Racausa hin, um sich sogleich gleich wieder zurück zu ziehen.

Merida nahm einen kleinen Schluck vom Wenas und sagte: „Erzählen Sie mir etwas von sich, damit ich mir ein persönliches Bild von Ihnen machen kann.“

Charrut nippte kurz am Racausa, bevor er erwiderte: „Wo soll ich anfangen?“

„Vielleicht bei Ihrer Familie, Ihren Hobbies, Ihren Leidenschaften“ sagte Merida und sah ihn an.

Charrut fuhr sich mit einer Hand nach hinten durch sein schulterlanges Haar, bevor er antwortete: „Mein Verhältnis zu meiner Familie war nicht immer so entspannt wie heute“ und liess absichtlich die Vorkommnisse der letzten Pragos weg. „Früher, in meiner Jugend, hatte ich oft Meinungsverschiedenheiten mit meinem Vater, insbesondere in der Zeit nach dem Tod meines Bruders. Das bezog auch das Verhältnis zu meiner Schwester mit ein, die mittlerweile verheiratet ist.“ Nach einem Augenblick des Nachdenkens fuhr Charrut fort: „Der Familie UND dem Khasurn bin ich verpflichtet, ihnen gehört mein Herz. Ich werde nichts tolerieren, was ihnen gefährlich werden könnte!“ sagte Charrut. „Mit der zukünftigen Frau meines Vaters, Onythia, verstehe ich mich sehr gut. Und ich habe auch ein sehr gutes Verhältnis zu meiner Tante T’hina, die im Isundi-System lebt, ungefähr 5 Licht-Tai-Vothanii von Harkon entfernt“. Charrut machte eine kurze Pause, bevor er sagte: „Sie hatten mich vorhin nach Hobbies und Leidenschaften gefragt. Ein Hobby von mir ist das Sammeln von Handfeuerwaffen aller Art, und eine Leidenschaft, so könnte man es wohl nennen, ist alles, was mit Geschwindigkeit zu tun hat: schnelle Gleiter, Ein-Mann-Raumjäger usw.“

„Und Ihre militärische Laufbahn?“ fragte Merida und nahm wieder einen kleinen Schluck.

„Ich werde solange der imperialen Flotte angehören, bis mein Vater die Führung des Khasurns an mich übergibt. Bis dahin werde ich alles tun, um beim Militär vorwärts zukommen und die mir gestellten Aufgaben bestens zu bewältigen.“ sagte Charrut und trank etwas von seinem Racausa. Bevor Merida wieder eine Frage stellen konnte, stand er auf und sagte: „Ich finde, unsere Unterhaltung hat einen besseren Platz verdient als diese Umgebung. Begleiten Sie mich?“

Merida blickte Charrut überrascht an, sagte dann aber: „Gerne“ und stand ebenfalls auf.

Charrut bot ihr seinen Arm an, und gemeinsam verließen sie das Arbeitszimmer.

Charrut steuerte auf den Khasurn-Park zu, den sein Vater so liebte, den auch er in den letzten Tai-Vothanii zu schätzen gelernt hatte, und gemeinsam spazierten sie langsam durch den Park.

„Dieser Park…“ und Charrut machte mit der Hand eine weitläufige Bewegung, „…ist einer der Lieblingsplätze meines Vaters. Und auch ich habe es oft sehr genossen, während der Militärausbildung hierher zukommen. Die Ruhe und die natürliche Stille hier lässt einem viele Dinge aus einer anderen Perspektive sehen.“ Einen Augenblick herrschte Stille zwischen ihnen, während sie weitergingen.

„Und, sonst haben Sie keine Hobbies oder andere Leidenschaften?“

„Nun, natürlich gibt es noch einige andere Leidenschaften. Ich bin technikbegeistert, insbesondere Raumschiffs- und Positroniktechnik, gehe gerne schwimmen, ich mag historische Arkiimusik und früher, als ich dazu noch Zeit hatte, habe ich auch gerne an den Na’tha-meh-Rennen hier auf Harkon teilgenommen“.

„Was ist das für ein Rennen?“ fragte Merida neugierig, denn sie konnte mit dem Begriff nichts anfangen.

„Nun, das Na’tha-meh-Rennen ist ein Ausdauer- und Kraftsport. Sinn und Zweck ist es, den Willen dieser Na’tha-mehs zu brechen und eine vorgegebene Strecke in kürzester Zeit zu überwinden. Meistens dauert es zwei Pragos, bis das Rennen abgeschlossen ist. Die Na’tha-mehs sind wild und ungestüm, lassen sich nicht reiten und ein Reitgeschirr umlegen“ erläuterte Charrut.

Merida schwindelte es und sie wurde etwas blasser im Gesicht. Sie konnte kaum glauben, was sie hörte. ‚Ein Rennen mit wilden, stinkenden Tieren, deren Gestank nach Charruts Rückkehr in den Khasurn womöglich noch mehrere Pragos in der Luft hing und ihre Nase beleidigen würde‘. Ein Glück, dass er wegen seiner Abwesenheit durch die Flotte kaum noch dazu Zeit findet.

Nachdem Merida nichts sagte, sah Charrut sie an und fragte: „Geht es Euch nicht gut? Ihr seht etwas mitgenommen aus!“

„Nein, nein, es nur die Anstrengung des heutigen Pragos“ schwindelte Merida etwas. Sie wollte nicht unhöflich sein und ihm direkt sagen, was sie von diesen Na’tha-meh-Rennen hielt. Sie holte aus einer versteckten Tasche ihres Kleides ein Flakon heraus und roch daran; sofort fühlte sie, wie ihr Unwohlsein verschwand. Einige Augenblicke war es ruhig, bis Charrut sagte: „Es ist spät geworden, und morgen ist auch noch ein Prago, um weitere Fragen beantworten. Ich geleite Euch zu eurem Quartier.“

„Ja, vielen Dank“ erwiderte Merida mit müder Stimme, in der auch etwas Unwohlsein mitschwang.

* * *