zur gleichen Zeit im Harkon-System

Ein melodisches Summen vom Monitor kündigte ein Bordruf an. Adara sagte: „Gespräch annehmen“ und die Bordpositronik stellte die Verbindung her. Auf dem Monitor wurde Athor Esteih nert‘lenim Neven, Kommandant der Privatyacht „THANTUR-LOKS BLÜTE“, sichtbar. „Athor?“ fragte Adara.

Zdhopanda, wir befinden uns im Landeanflug auf Harkon und werden in zwei Tontas landen.“

„Senden Sie eine Nachricht an Ultral I. del‘moas Harkon und berichten Sie ihm, wann wir landen werden!“

Ti’Ghen Zdhopanda“, bestätigte Athor Esteih nert‘lenim Neven, salutierte und beendete die Verbindung.

Meridas Mutter drehte sich nach Ihrer Tochter um und sagte: „In wenigen Tontas wirst Du Deinem zukünftigen Mann begegnen. Mach Dich fertig…“

Merida stöhnte leise beim Aufstehen, gerade so laut, dass ihre Mutter es hören konnte. Ihre Mutter sagte: „Das ist beschlossene Sache. Akzeptiere es endlich. Du wirst sehen, in ein paar Tai-Vothanii kommt die Liebe von alleine!“ Merida kommentierte die Bemerkung ihrer Mutter, indem sie ihren Mund verzog. Trotzdem stand sie auf und zog sich in ihrer Unterkunft zurück, um sich frisch zu machen. Ihre Mutter schüttelte nur den Kopf vor so viel Unverständnis…

Als Merida nach mehr als einer Tonta wieder erschien, war sie fast nicht wieder zu erkennen. Sie wusste, wie man auf Männer Eindruck machen konnte, gelernt bei vielen Empfängen auf Ariga. Sie hatte sich extra ein Kleid ausgesucht, dass ihre Figur betonte und die Blicke automatisch in ihre Richtung lenken würde: ein paillettenbesetztes Kleid, dass in allen Farben des sichtbaren Spektrums glitzerte und das im oberen Bereich nur sparsam mit Pailletten besetzt war, um einen Hauch ihrer Reize zu offenbaren, gerade so viel, um die männliche Phantasie anzuregen. Darüber würde sie einen tunikaähnlichen Umhang tragen, bestückt mit edlen Kristallen und eingewebten, seltenen Metallfäden, hergestellt aus kostbarer Mehinda-Seide. Die chromschimmernden Metallfäden und die in allen Farbspektren des sichtbaren Lichtes glitzernden Kristalle stellten einen Kontrast zu dem dunkelroten Umhang dar. Ihre Dienerin Namemi hatte zehn palbertontalang ihre rückenlangen Haare gekämmt, gebürstet und mit verschiedenen Ingredienzien behandelt, damit ihre weißen Haare richtig zur Geltung kamen. Und als Krönung hatte sie sich von ihrer Dienerin ihre Fingernägel mit Gravierungen ihres Khasurns verzieren lassen.

* * *

Charrut wartete zusammen mit Onythia, seiner zukünftigen Stiefmutter, seinem Karan und vielen anderen Mitgliedern des Harkon-Khasurns im priviligierten Bereich des Raumhafens auf die Ankunft von Adara und Merida de Ariga die sicher von vielen anderen Personen aus dem Khasurn der Ariga begleitet wurden. Dem Anlass entsprechend trugen Onytia und sein Karan festliche Kleidung. Charrut begnügte sich mit dem weißen Anzug und den schwarzen Lederstiefeln, die er damals von Onista geschenkt bekommen hatte.

Die Tür öffnete sich und die Ehrengarde aus dem Khasurn führten Adara, Merida und viele weitere Familienangehörige der ‚de Ariga‘ herein. Alle Anwesenden, allen voran Ultral, Onytia und Charrut erhoben sich von ihren Sitzplätzen und begrüßten die Gäste. Charrut war überrascht: bisher hatte er nur Porträts von Merida gesehen. Und jetzt trat sie in den Warteraum und er hatte das Gefühl, die She’Huhanii wollten gewissenermaßen ihm gegenüber wieder etwas gutmachen, nachdem sie ihm Onista genommen hatten. Ihm gegenüber stand eine attraktive und hinreißend schöne Frau, die sich ihrer Wirkung auf Männer bewusst war! Denn sie trug ein besonders aufwendig gestaltetes Kleid, das umhüllt war von einer Art Tunika, die mit einer Unmenge an Zierrat, eingearbeiteten Kristallen und Metallfäden besetzt war. Darunter trug sie ein Kleid aus Pailletten, das unwirkührlich Charruts Blicke auf sich zog. Aber Aussehen und entsprechende Taten waren zweierlei Dinge, sagte sich Charrut. Er betrachtete besonders Meridas Tätowierung, die sich auf ihrer rechten Gesichtshälfte von oben nach unten zog und dabei über das Auge ging: Sie sah doch anders aus als auf den Bildern, die ihm sein Karan vor einigen Pragos auf der KSOL gezeigt hatte. So jung war sie doch nicht mehr, wie er erst befürchtet hatte.

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Als sie alle gemeinsam die Privatjacht verließen, wurden sie von einer Orbtan-Ehrengarde empfangen, die sie schützend in ihre Mitte nahmen und zum bevorzugten Bereich am Raumhafen geleiteten, der nur dem Adel zugänglich waren. Dort wartete eine khasurneigene Ehrengarde, die sie empfingen und geleiteten sie zum Warteraum der Khasurnadeligen. Auf dem Weg dorthin ging Merida nochmals in Gedanken durch, was sie von ihrem zukünftigen Mann wusste: Charrut del Harkon, in einigen Pragos würde er 27 Tai-Vothanii alt werden. Die Raumakademie, auf der er war, war zwar nicht eine der renommierten wie der Raumakademie Iprasa oder Goshbar, aber er würde trotzdem damit eine hervorragende militärische Ausbildung erhalten.

Als sie in den priviligierten Wartebereich für Khasurnadeligen geführt wurden, standen die anwesenden Personen von ihren Sitzen auf. Ganz vorne erhoben sich ein älteres Paar, ungefähr im Alter ihrer Eltern und ein jüngerer Arki. Sie begrüßten standesgemäß erst das zukünftige Ehepaar, bevor sich Merida der Person zuwandte, die sie durch ihre Information und Holobilder als Charrut del Harkon identifizierte. Er verneigte sich galant vor ihr und sagte: „Charrut del Harkon, Zdhopanda“. Sie neigte leicht ihr Haupt und erwiderte: „Merida de Ariga, Zdhopandel“. Beide musterten sich, um einen Eindruck vom anderen zu erhalten. Merida spürte seine Blicke fast körperlich. Auch Merida musterte Charrut, wenn auch unauffälliger. Sie sah einen schlanken, athletischen Mann vor sich, dem man ansah, dass er durchtrainiert war. Die Uniform, die er trug, unterstrich zwar seine durchtrainierte Figur, aber als Adeliger war diese dezente Kleidung in ihren Augen völlig deplatziert. Außerdem empfand sie die Art, wie er sie betrachtete schon fast obszön. Selbstverständlich hatte sie sich erkundigt, wen sie heiraten musste. Sie hätte beinahe einen Schreikrampf bekommen, als sie erfuhr, dass ihr Vater eine Heirat mit diesen Khasurn ausgehandelt hatte: einem Khasurn, der zwar einmal einen Imperator gestellt hatte, aber dann abgesetzt und verbannt worden war. Sie hatte lange Zeit versucht, nach ihrer missglückten Flucht aus dem Khasurn, ihren Karan und ihre Fama umzustimmen, aber als Antwort hatte sie immer erhalten: Vertrag ist Vertrag! Oft hatte sie sich mit der Frau ihres Bruders, Isandra, über „Zwangsehen“ unterhalten. Isandra war nur wenige Tai-Vothanii älter als sie und beide verstanden sich seit dem Kennenlernen sehr gut, aber helfen konnte sie ihr nicht; dazu war sie selbst viel zu aristokratisch erzogen und betrachtete solche „Eheverträge“ als Standard. Irgendwann hatte Merida nach Außen hin resigniert. Aber eben nur nach Außen. Sie hatte lange darüber gegrübelt, welchen anderen Weg sie gehen konnte, um den Ehevertrag mit diesem Charrut del Harkon nicht eingehen zu müssen. Irgendwann fiel ihr ein, was ihre Mutter bei ihrem damaligen morgendlichen Besuch alles gesagt hatte und ein Punkt war ihr dabei besonders aufgefallen: „Bevor eine Ehe im She’Huhan-Tempel besiegelt wird, geht ihr eine Probezeit voraus“. Sie hatte mit Hilfe der Khasurn-Positronik recherchiert und war zur Erkenntnis gelangt, dass zwischen dem Unterschreiben eines Ehevertrages und der eigentlichen Hochzeit im Tempel der She‘Huhanii eine Probezeit von zwei Tai-Vothanii lag. Würde die Probezeit nicht von beiden Seiten als erfolgreich beurteilt werden, so wurde der Ehevertrag gegenstandslos, andererseits konnte die Probezeit bei Zustimmung von beiden zukünftigen Ehepartnern verkürzt werden. Sie musste also diese zwei Tai-Vothanii im Khasurn der Harkonii überstehen und danach die Probezeit als gescheitert erklären. Dann war sie wieder frei!

Nach der Begrüßung unterhielten sich Ultral und Onythia pflichtgemäß mit den Familienangehörigen der de Ariga und führten lockere Gespräche. Adara entschuldigte ihren Mann Onuk, der aus geschäftlichen Gründen leider an der Hochzeit nicht teilnehmen konnte. Nach einigen Palbertontas erklärte Ultral I. den Aufbruch, um zum Khasurn zu fliegen, damit sich die Gäste von den Strapazen des Fluges erholen und erfrischen konnten. In Begleitung der Khasurn-Ehrengarde gingen sie zu den bereitstehenden Gleitern.

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Es war spät geworden. Nach der Ankunft im ‚del Harkon‘-Khasurn, den üblichen Konservationen, dem Zuweisen der Wohnbereiche für die Gäste durch Rhar Nyat, den Khasurn-Laktroten und ihrer Diener und dem darauffolgenden gemeinsamen Abendessen war man auseinander gegangen und hatte das weitere Kennenlernen der beiden Aspiranten auf den nächsten Prago gelegt. Nachdem sich alle Mitglieder beider Khasurne zurückgezogen hatten, saßen nur noch Onythia, Ultral und Charrut gemeinsam an der verlassenen Essenstafel.

Nach einigen Augenblicken fragte Onythia, an Charrut gewandt: „Und, was sagst du? Gefällt sie dir?“

Charrut stellte sein Glas auf den Tisch zurück und ließ sich mit der Antwort Zeit, bis er schließlich bemerkte:

„Nun, sie sieht interessant aus. Aber, um ehrlich zu sein, mir wäre wohler, wenn der Besuch bereits vorbei wäre.“

Onythia und Ultral sahen sich an. Ultral ahnte, das die Antwort eine Reaktion auf sein Ehevertrag war. Charrut war eher die Art von Mann, der seinen eigenen Weg gehen wollte. Aber mit der Antwort versuchte er jetzt, ihn zu provozieren. Darum hielt er sich mit einer Bemerkung zurück und überließ Onythia das Reden.

„Jeder von uns hat seine positiven und negativen Seiten, oder? Außerdem prägt auch das soziale Umfeld eine Person“ sagte Onythia, „Versuche, ihre positiven Seiten zu erkennen“.

Charrut stand auf und sagte: „Ich habe noch zu arbeiten“ und verließ den Speisesaal. Auf den Weg zu seinem Arbeitszimmer, dass er immer benutzte, wenn er auf Harkon weilte, musste er sich eingestehen, dass Merida genügend körperliche Reize aufweisen konnte, um einen Mann schwach werden zu lassen. Aber sie konnte noch so hübsch und verführerich aussehen, sie interessierte ihn nicht.

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