In Charruts Inneren kämpfte das Gefühl des Hintergangenseins gegen seine Logik. Einiges hatte er bereits gewusst, manches geahnt und trotzdem stand er jetzt vor seinem Karan und fühlte sich wie ein leichtgläubiges Kind. Natürlich wusste er, wer der Shekur war und in welchem Verhältnis Auris zu ihm stand. Genauso wusste er, dass die Adligen, die ihre Söhne und Töchter auf eine Raumakademie schickten und deren Ausbildung bestritten, Informationen von der Akademieleitung erhielten. Aber dass die Informationen über ausbildungsrelevante Bereiche hinausgingen, war für ihn neu. Genauso, das ihn Chamah’ney damals psychologisch bearbeitet haben sollte. Jetzt, wenn er so zurückdachte, erschienen ihm die Gespräche mit seiner Schwester in einem ganz anderen Licht… Aber deswegen war er jetzt nicht hier bei seinem Karan. Er rief sich zur Ordnung: mehr denn je sträubte sich alles in ihm, dem Ehevertrag zuzustimmen.

Charrrut legte die KSOL seines Karans, die er mitgebracht hatte, entschlossen auf dessen Schreibtisch. „Ich werde diese Frau nicht heiraten. Mehr habe ich nichts dazu zu sagen!“

Er drehte sich um und ging zum Ausgang. Von hinten hörte er Ultral noch wütend sagen „Das letzte Wort ist hierzu noch nicht gesprochen“, dann verließ er das Büro seines Karans.

Ultral trommelte wütend mit seinen Fingern auf der Arbeitsplatte seines Schreibtisches herum, bis er sich etwas beruhigt hatte, dann wählte er über das Terminal auf seinem Schreibtisch die Nummer von Rhar Nyat, dem Khasurn-Laktroten. Als sich Rhar meldete, sagte Ultral nur: „Wir müssen zum besprochenen Plan greifen. Sofort!“. Danach beendete er die Verbindung und sank düster in seinen Sessel, um in Ruhe nachdenken zu können.

* * *

Als Charrut wieder in seinem Wohnbereich kam, atmete er erstmal intensiv ein und aus. Er fühlte sich hintergangen und düpiert. Insbesondere von seiner Schwester. Er hatte immer gedacht, sich auf sie verlassen zu können, aber wie er nun erfahren musste, basierte seine Einschätzung nur auf sein Gefühl. Wie er mit Erschrecken feststellen musste, stürzte seine Welt nach und nach ein. Zurück blieben nur logische Entscheidungen.

Er schritt langsam vom Eingang seines Wohnbereiches zum Aufenthaltsraum. Was hatte sein Karan vorhin gesagt? ‚Glaubst du wirklich, ich wüsste nicht, was auf Varynkor vor sich geht? Ich bezahle ein kleines Vermögen für deine Ausbildung und dafür erhalte ich auch alle relevanten Informationen.‘ Er hatte kein Zweifel daran, dass die Aussage seines Karans der Wahheit entsprach. Das würde aber bedeuten…

„Positronik, wie hoch ist der Stand meines Guthabens, das ich auf meinem persönlichen Konto auf Varynkor habe?“ fragte Charrut in den Raum. „Ich übermittle dir die entsprechenden Zugriffsdaten“. Er nahm seine KSOL vom Tisch und tippte eine lange Kombination von Zeichen ein.

„Zugriffcode und Kontodaten erhalten, Zhdopandel. Verbindung nach Varynkor wird aufgebaut…“

„Wie hoch ist der Stand meines Guthabens, das ich von meiner Fama geerbt habe?“ stellte Charrut gleich die nächste Frage.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sich die Khasurn-Positronik bei ihm meldete: „Zhdopandel, leider kann ich nicht auf Ihr persönliches Konto hier auf Harkon zugreifen. Es liegt ein Sperrcode oberster Priorität vor!“

Er hatte es fast geahnt und war doch blindlings in die Falle seines Karans getappt. Wut breitete sich in ihm aus. Wut auf sich und seinem Karan. Jetzt waren also die Karten neu gemischt und zwar zu seinem Nachteil!

Bevor er weiter nachdenken konnte, meldete sich wieder die Khasurn-Positronik: „Zhdopandel, Euer Guthaben auf Varynkor beträgt derzeit 0 Chronners!“

Charrut verlor etwas von seiner Gesichtsfarbe. Sein Karan hatte es durchblicken lassen und es tatsächlich durchgeführt. Er war plötzlich mittellos; von einen zum anderen Augenblick stand er ohne einen Chronner da. Was konnte er machen? Wütend und frustriert ging er in seinen Arbeitsbereich, um alles neu zu überdenken.

am nächsten Prago

Niedergeschlagen begab sich Charrut am späten Vormittag auf den Weg zu seinem Karan. Er hatte nochmals alle Möglichkeiten, die ihm zur Verfügung standen, betrachtet. Viele waren es wahrlich nicht gewesen. Letztendlich lief es darauf hinaus, sich für oder gegen ein weiteres Verbleiben auf der Raumakademie zu entscheiden. Und er hatte sich für Varynkor entschieden! Damit musste er notgedrungen die Kepaia seines Karans schlucken; die Eheschließung mit Merida de Ariga.

Als er das Arbeitszimmer seines Karans erreichte, trat er ein. Sein Karan saß wie immer hinter dem Arbeitstisch und las an seinem Terminal. Langsam ging er in Richtung des Schreibtisches, als sein Karan aufblickte.

„Warte einen Augenblick, ich muss nur noch etwas erledigen“ sagte Ultral an seinen Sohn gewandt, bevor er eine Taste am Terminal drückte.

Wenige Augenblicke später hörte Charrut, wie sich Rhar Nyat meldete.

„Rhar, ich habe eben die Mitteilung erhalten,“ und betrachtete dabei seinen Sohn abschätzend, während er sprach, „das in vier Pragos meine zukünftige Schwiegertochter, ihre Mutter sowie weitere elf Mitglieder aus dem Khasurn der Ariga auf Harkon eintreffen werden. Lassen Sie alles vorbereiten. Die Positronik wird Ihnen die Namen und den jeweiligen Familienstatus übermitteln“.

Nach dem Gespräch mit Rhar wandte sich Ultral zu seinem Sohn und fragte: „Und, zu welcher Entscheidung bist du heute gekommen?“

Charrut setzte sich in einem der vor dem Schreibtisch stehenden Sessel und erwiderte: „Mir bleibt wohl keine andere Möglichkeit, als dem Ehevertrag zuzustimmen“.

Ultral nickte leicht und erwiderte: „Die richtige Entscheidung! Du wirst sehen, es wird sich alles für dich positiv entwickeln“.

Nach einigen Augenblicken des Schweigens sagte Charruts Karan: „Versuche, die Vorteile zu sehen, die eine Ehe mit den ‚de Arigas‘ mit sich bringen. Abgesehen davon ist Merida eine ausnehmend anmutige und schöne Frau, die auch entsprechende körperliche Reize hat“.

Charrut winkte ab und erwiderte: „Ich habe mir die Infos und Holobilder angesehen. Ich werde ja sehen, wie sie ist, wenn sie mit ihrer Fama am 12. Prago nach Harkon kommt“.

„Apropos nach Harkon kommen. Heute Nachmittag wird Onythia mit vielen Angehörigen ihres Khasurns nach Harkon kommen. Darunter befindet sich sich auch ein Neffe von ihr, ein gewisser Vherdyn de Chihan. Dieser Neffe besucht die Akademie von Largamenia. Eine gute Gelegenheit, sich auszutauschen“.

„Das werde ich machen. Aber eine andere Frage habe ich noch: du hast mein Konto auf Varynkor geleert und mir den Zugriff auf das Konto meines Erbes gesperrt. Mit welcher Berechtigung?“

Ultral sah Charrut nachdenklich an, bevor er laut in den Raum sprach: „Positronik, zitiere den Absatz aus dem Testament von Sha’na del Harkon, in dem es um die Verwaltung des Erbes von Charrut del Harkon geht“.

„Zhdopandel, ich zitiere: Ultral I. del Harkon verwaltet bis zur Volljährigkeit und Reife das Erbe für meine Kinder Chamah’ney, Ultral II. und Charrut.“

Ultral wandte sich an Charrut und ergänzte: „Meine ‚Berechtigung‘ ergibt sich aus den Wörtern ‚Volljährigkeit und Reife‘!“

Charrut biss sich auf seine Unterlippe, bevor er aufstand und resignierend erwiderte: „Also gut, ich habe verstanden. Wir sehen uns später.“

Ultral sah seinem Sohn nach, wie dieser mit hängenden Schultern sein Büro verließ. Er hätte ihm gerne nachgerufen, das der Weg, den sein Sohn jetzt gehen musste ein steiniger war, aber letztendlich ihn dahin bringe würde, was er erreichen wollte. Aber er verkniff sich eine Bemerkung in Richtung seines Sohnes; er war sich nicht sicher, ob dieser schon dafür bereit war. Mehr denn je war er der Überzeugung, das ein designierter Khasurnführer sich ein dickes Fell zulegen und hart im nehmen sein musste. Er setzte sich wieder hinter seinem Schreibtisch und widmete sich wieder seinen Aufgaben.

* * *