Sie hatte nicht mehr die Kraft, zu zusehen, wie Pergar Charrut umbringen würde. Sie sah nur noch einen Weg, dem ein Ende zu setzen. „Hört endlich auf mit diesem Wahnsinn…“ schrie Onista tränenerstickt. „…oder ich springe!“

Pergar lockerte seinen Griff und nahm dann seine Hand von Charruts Hals, während Charrut aufhörte, seine Faust weiter auf Pergars Kopf einzuschlagen. Beide richteten sich langsam schweratmend und erschöpft auf und sahen, wie Onista auf einer Absperrung stand, die ihre Straße von einer tieferliegenden Ebene trennte.

Pergars Gesicht verzehrte sich vor Wut und Eifersucht. Er nahm den Kampf wieder auf und drückte wieder Charruts Kehle zu. Charrut sah, wie Onista sich nach vorne fallen ließ und wollte schreien, aber es kam nicht mehr als ein schwaches ‚Nccht‘ über seine Lippen. Mit der Kraft eines Verzweifelten, der seine Liebe sterben sah, schlug er auf Pergars Kopf ein, das dieser ihn benommen losließ. Charrut stieß Pergar zur Seite, stand auf und rannte zur Absperrung. Seine blutende Wunde vergessend, beseelte ihn nur die Sorge und die Angst, die Frau, die er liebte, zerschmettert am Boden liegen zu sehen.

Pergar schüttelte die Benommenheit ab. Als er sah, wie Charrut verzweifelt an der Absperrung stand und in die dunkle Tiefe sah, wo Onista gesprungen war, sackte er zusammen. „Das habe ich nicht gewollt…“ brach es aus ihm leise heraus.

* * *

Onista sah mit ihren verweinten Augen, wie Pergar und Charrut am Boden liegend miteinander kämpften. Pergar war wie vom Irrsinn befallen und drückte Charrut im Zorn die Kehle zu, während Charrut versuchte, trotz seiner blutenden Wunde, sich durch Faustschläge an Pergars Kopf aus dessen Würgegriff zu befreien. Wie in Trance stand sie auf und ging schwankenden Schrittes zur Absperrung. Langsam kletterte sie auf die Absperrung hinauf und stellte sich auf die Kante. Sie drehte den Kopf zu den beiden Männern und rief mit tränenerstickter Stimme. „Hört endlich auf mit diesem Wahnsinn oder ich springe!“. Pergar und Charrut unterbrachen ihren Kampf und sahen zu ihr. Sie dachte schon, dass mit ihrer Drohung der Kampf vorbei war, aber sie hatte Pergars krankhafte Eifersucht unterschätzt. Wieder griff er nach Charruts Kehle und drückte diese zu. Beide Männer waren vom Kampf gezeichnet und ihre Kräfte erlahmten, so dass das zudrücken der Kehle und das Schlagen der Fäuste nicht mehr kraftvoll waren. Onista wollte so nicht weiterleben, nicht mit diesem Schuldgefühl, dass Charrut und auch Pergar von diesem Kampf gezeichnet sein würden, ihretwegen. Und da war noch die Gewissheit, dass sich Charrut wegen ihres Fehlers von ihr abwenden würde. Sie schloss die Augen, schickte in Gedanken ein Stoßgebet an die She’Huhan und ließ sich vornüber in die Dunkelheit fallen.

Während sie fiel und der Wind über ihr Gesicht und durch die Haare fuhr, zog ihr Leben blitzartig vor ihrem innerem Auge vorbei: ihre Kindheit, ihre Jugend, ihr sehr gutes Verhältnis zu ihrem Vater, ihre Abschlussprüfung und Aufnahme in die Systemflotte von Varynkor, ihre erste Begegnung mit Charrut, ihr Wiedertreffen mit ihm, wie sie sich in ihm verliebt hatte…

Nach einigen Augenblicken, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen, wunderte sie sich, das sie noch lebte. Sie hatte eigentlich erwartet, das alles von einem Moment zum anderen vorbei sein würde, aber dieser Moment kam nicht. Sie spürte auch nicht mehr den Wind, wie er über ihr Gesicht strich. Langsam öffnete sie die Augen und sah den schwach beleuchteten Boden der nächsten Ebene unter sich, und dieser kam nicht näher.

* * *

Als Charrut sah, das Onista ihre Drohung war machte und sich nach vorne fallen ließ, um in der Dunkelheit zu verschwinden, fielen ihm fast die Augen heraus. Er versuchte zu schreien, aber Pergars Würgegriff war einfach zu stark, als dass er richtig schreien konnte. Mit der Kraft des Verzweifelten schlug er Pergar so stark an den Kopf, dass dieser bewusstlos zusammensackte und seinen Würgegriff losließ. Luft holen und Pergar mit beiden Händen zur Seite stoßen war ein Vorgang. Mit der Beweglichkeit einer Raubkatze kam Charrut trotz seiner Verletzung auf die Beine und rannte die wenigen Quars bis zu der Stelle, an der Onista seiner Ansicht nach in den Tod gesprungen war.

Charrut erreichte die Absperrung und blickte leichenblass hinunter in die dunkle Tiefe. Er war schockiert, dass sie ihre Drohung wahr gemacht hatte. Gleichzeitig fühlte er eine große Leere in sich: nie würde es wieder so sein wie vor Onistas Sprung. Blicklos sah er in die Tiefe, fast froh darüber, ihren zerschmetterten Körper in der Dunkelheit nicht sehen zu müssen, bis er eine schemenhafte Bewegung wahrnahm, die näher zu kommen schien. Einige Augenblicke später sah er Onistas gelbes Kleid schimmern und kurz darauf sah er sie, wie sie in einem Kraftfeld empor getragen wurde. Das Kraftfeld setzte sie direkt vor seinen Füßen ab. Erst ungläubiges Staunen von beiden ob der Tatsache, dass der andere lebte, bis sie sich dann in die Arme fielen. Beide waren überglücklich, dass es doch nicht zum Äußersten gekommen war. Charruts Gefühlsleben durchlief innerhalb weniger Augenblicke das ganze Spektrum: die Freude und Erleichterung, dass Onista lebte und nicht zerschmettert war als auch die grenzenlose Enttäuschung und Demütigung, dass Onista mit zwei Männern ein Verhältnis hatte, und er einer davon war. Onista ließ sich in Charruts Arme sinken, und Charruts Gefühle für Onista, die Liebe, die er für sie empfand, gewannen letztendlich die Oberhand. Fest umschlungen hielt er sie fest, spürte das Zittern ihres Körpers. Palbertontalang umarmten sie sich. Beide hatten die Umgebung komplett vergessen und waren umso mehr überrascht, als plötzlich starke Scheinwerfer aufflammten und ihre Umgebung in ein tageshelles Licht tauchten. Geblendet drehten sie sich vom Licht weg und warteten ab. Ein Gleiter landete und die Lichtflut wurde reduziert. Kurz darauf stiegen zwei Männer des örtlichen Sicherheitsdienstes und ein Medo-Robot aus und teilten sich auf. Einer der Männer ging zu dem am Boden knienden Pergar, während der andere zu ihnen kam.

„Wir sind von der Überwachungspositronik alarmiert worden. Was ist hier vorgefallen?“ wurden sie von einem grimmig dreinschauenden Sicherheitsbeamten barsch gefragt, dessen stiernackige Kopfhaltung verhaltene Kampfbereitschaft andeutete.

Charrut deutete mit seinem Kopf in Richtung Pergar und sagte: „Wir hatten eine Meinungsverschiedenheit, und dabei ist sie über die Absperrung gestürzt“.

Der Sicherheitsbeamte sah erst Charrut sprachlos an, blickte dann zur Absperrung, eine annähernd ein Quars hohe Mauer und anschließend wieder zu Charrut. Während er sich am Hinterkopf kratzte, fragte er Charrut: „Sie hatten mit dem Mann dort“ und deutete mit einer Hand auf Pergar, „eine Meinungsverschiedenheit, und die Frau ist dabei, einfach so, über die Absperrung gestürzt?“

Charrut antwortete nichts auf den versteckten Vorwurf, dass sich der Sicherheitsbeamte wohl auf den Arm genommen fühlte. Sollten doch die Sicherheitsbeamten denken, was sie wollten, er wollte Onista nicht noch zusätzlich belasten. Der Sicherheitsbeamte mahlte knirschend mit den Zähnen, als er von Charrut keine Antwort bekam.

Mittlerweile war der Medo-Robot mit der Untersuchung von Pergar fertig und kam auf Onista und Charrut zu. Nachdem dieser einige Paltortontas Onista und Charrut mit diversen Sensoren abgetastet hat, teilte er seinen Befund dem Sicherheitsbeamten mit: „Der bewusstlos am Boden liegende männliche Arki hat ein Schädeltrauma, der vor mir stehende männliche Arki hat eine stark blutende Schnittverletzung. Beide Arkii benötigen dringendst medizinische Unterstützung in einem Medik-Center. Ein Notfallteam wurde bereits von mir angefordert.“ Erst jetzt sah der Sicherheitsbeamte die Verletzung und pfiff leise durch die Zähne. Währenddessen hatte der Medo-Robot, den man die sensible Hantierung nicht zutrauen mochte, mit seinen Tentakeln die Verletzung von Charrut freigelegt und fing an, mit einer Tentakel die Wunde und das umliegende Gewebe zu narkotisieren, während ein anderer Tentakel die Wunde mit einem Laserstrahl verschloss. Innerhalb von zwei Minuten war die Wunde provisorisch verschlossen und blutete jetzt nicht mehr, dafür hing jetzt das eine Hosenbein von Charruts Ausgeh-Uniform in Fetzen herunter.

In der Zwischenzeit hatte der Sicherheitsbeamte sich die Absperrung genauer angesehen und kam jetzt wieder zu ihnen zurück. Der Sicherheitsbeamte sah Charrut mit einem verkniffenem Gesicht an und meinte: „Ich habe mir die Absperrung angesehen. Da kann niemand ‚einfach so‘ darüber stürzen. Entweder klettert dort jemand freiwillig hoch und springt selbst oder es wird jemand mit Absicht darüber gestoßen.“ Mit drohendem Unterton in seiner Stimme sagte er: “ Wir werden schon noch heraus bekommen, was vorgefallen ist!“

Fast zeitgleich landete ein grell blinkender Gleiter, aus dem drei Sanitäter heraussprangen. Sie zogen zwei schwebende Liegen hinter sich her. Einer von ihnen untersuchte erst Charrut und anschließend Pergar nochmals intensiv. Anschließend wurden Pergar und Charrut auf je eine Liege gebettet und zum Notfallgleiter gebracht, wo sie eingeladen wurden. Während der Gleiter startete, blieb Onista beim Sicherheitsdienst zurück.

* * *

Während der Mediker ihn untersuchte und seine wieder geöffnete Wunde mit einem Laserstift und Biomolplastspray verschloss, fiel die Anspannung von Charrut ab und er konnte endlich einmal in Ruhe nachdenken. Die Enttäuschung und Demütigung von vorhin gewann wieder Einfluss auf ihn. Hatte er etwas falsch gemacht? Die Frage konnte er mit einem eindeutigen ‚Nein‘ beantworten. Aber warum fing Onista dann mit ihm ein Verhältnis an, während sie noch mit diesem Pergar liiert war? Mit diesem Gedanken wuchs in Charrut der Ärger auf Onista heran, das sie beide Männer gegeneinander ausgespielt hatte.

Nachdem er eine abschließende Untersuchung über sich ergehen lassen musste, wurde er von dem Mediker entlassen. Als er aus dem Untersuchungsraum herauskam, wurde er von den Sicherheitsbeamten und Onista empfangen, die bereits auf ihn warteten. Onista kam auf ihn zu und drückte sich an ihn, glücklich darüber, das der Kampf glimpflich verlaufen war und er wieder bei ihr war. Charrut kämpfte innerlich, wie er reagieren sollte. Zum einen waren sie nicht alleine und er immer noch wütend auf das unaufrichtige Verhalten von ihr, von der anderen Seite liebte er sie. Letztendlich siegte seine Liebe zu ihr und er legte seine Arme um sie. Sie standen kurz engumschlungen, bis Charrut die Umarmung lockerte und Onista fragte: „Und, geht es dir gut?“

„Ja. Und dir? Deine Verletzung?“

„Soweit kein Problem. Ich soll mich in den nächsten Pragos etwas schonen, hat der Mediker gemeint, da ich doch einiges an Blut verloren habe“

Onista wollte etwas erwidern, da räusperte sich der Sicherheitsbeamte von vorhin, der inzwischen an sie herangetreten war, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.

„Haben Sie inzwischen Ihre Meinung geändert und erzählen mir jetzt, was vorgefallen ist?“. Gleichzeitig hielt er das blutverschmierte Messer von Pergar in einem durchsichtigen Plastikbeutel vor sich, so das Charrut es sehen konnte.

Charrut schüttelte nur den Kopf und der Sicherheitsbeamte nickte mit einem grimmigen Gesichtsausdruck verstehend.

„Das hatte ich mir fast gedacht“ erwiderte er. „Auch ihre Freundin wollte nichts sagen! Nun, alles weitere, was Sie angeht, betrifft mich nicht mehr“ und machte mit dem Kopf eine deutliche Bewegung an Charrut vorbei. Charrut und Onista drehten sich um und sahen zwei kräftige gebaute Männer gerade in den Aufenthaltsraum kommen, deren Abzeichen auf der Uniform als Angehörige der Akademiesicherheit auswiesen.

Einer der beiden von der Akademiesicherheit trat vor, sah Charrut mit finsterer Miene und vorgewölbten Kinn an und fragte im Befehlston: „Thos’athor Charrut del Harkon?“

Ti’Ghen

„Wir bringen Sie zur Akademie. Folgen Sie uns. Sofort!“
Charrut blickte intensiv Onista an und flüsterte ihr zu, so dass nur sie es hören konnte: „Kläre die Situation, woher er wusste, dass wir auf der Modenschau bei Deiner Schwester waren“. Onista sah ihn an. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander. ‚Was mochte er meinen?‘ fragte sie sich. ‚Mit Pergar sprechen? Sicherlich nicht; er würde sie nicht freiwillig in die Nähe von denjenigen lassen, der sie beide bedroht und Charrut fast getötet hätte. Nein, er musste etwas anderes im Sinn haben. Nur was? Eigentlich konnte er nur ihre Schwester Sedana selbst meinen.‘ Währenddessen drehte sich Charrut wieder zu dem Akademiesicherheitsmitarbeiter um und sagte: „Wir können.“