Begegnungen (Tartor 14.597 d. A.) – Teil 1
Charrut überlegte, wie er sich ausdrücken sollte und sagte dann: „Ich muss gestehen, dass ich doch mehr die genügsame Kleidung bevorzuge. Aber vielleicht, wenn sich eine Gelegenheit in Zukunft ergibt. Wer weiß…“
Sidona sah ihn mit einem verstehendem Lächeln an und wandte sich dann an ihre Schwester.
„Wollen wir uns nachher noch zu einem kleinen Plausch treffen. Dann könnte ich vielleicht Charrut“ und sah ihn dabei fragend an, „näher kennenlernen?“
„Danke, aber vielleicht ein anderes mal“, sagte Onista. „Wir sehen uns sowieso so wenig und wollten den Rest des Abends gemeinsam verbringen“.
Sidona nickte verstehend und um ihre Mundwinkel zuckte es verdächtig.
„Ich verstehe. Dann wünsche ich Euch noch einen angenehmen Abend. Ich werde mich dann einmal um meine anderen Gäste kümmern.“ Sie nickte beiden zu und bewegte sich zu einer Gruppe Arkii, die einige Quars entfernt gerade mit einer Frau sprachen, die ein verschwenderisches Kleid trug, das sie darbot.
„Ich hoffe, sie ist nicht beleidigt“, sagte Charrut zu Onista.
„Nein, bestimmt nicht. Sie kennt mich, und wenn ich nein sage, meine ich es auch so. Es kommt bestimmt irgendwann für sie eine Gelegenheit, dich genauer kennen zu lernen“, erwiderte Onista.
„Glaubst du, dass ihre Modenschau erfolgreich war?“ wollte Charrut wissen.
Onista blickte in die Runde zu den anderen Gästen und erwiderte: „Ich denke, es war ein voller Erfolg. Ich habe viele gesehen, die Bestellungen aufgaben.“
„Ich denke das auch. Vor allem dürfte bei manchen Frauen die Kreditkarte heute Abend leichter geworden sein“, sagte Charrut schmunzelnd.
„Oder die ihres Begleiters“, ergänzte Onista und schenkte Charrut ein spitzbübisches Lächeln.
Einige Paltortontas später verließen Onista und Charrut das Bankett und traten aus dem Gebäude. Mittlerweile war es dunkel geworden, als sie sich in Richtung Rohrbahnstation auf den Weg machten. Hand in Hand gingen sie zu Fuß den Weg zurück, den sie vorhin mit dem Laufband gekommen waren. Plötzlich löste sich aus dem Halbschatten eines Gebäudes eine Gestalt und stellte sich ihnen in den Weg. ‚Der Mann von vorhin‘, durchzuckte es Charrut. Unwillkürlich blieben sie stehen.
„Was haben Sie mit meiner Freundin zu schaffen?“ schnauzte ihn der Mann drohend an. Charrut war sprachlos erstaunt.
Nach einer kurzen Pause sagte er: „Wieso Ihre Freundin?“ fragte er zurück, „Sie ist meine Freundin!“
„Erzählen Sie mir nicht irgendwelche Adelsgeschichten. Onista, sage es ihm, dass wir beide zusammen sind!“
Charrut sah kurz zur Seite zu Onista, die neben ihm stand und, vor Schreck fast erstarrt, den anderen Mann mit ungläubigen Augen ansah.
Als Charrut sich dem Unbekannten zuwandte, sah er ein verdächtiges Zucken in dessen Augen. ‚Jetzt wird es gefährlich‘, schnellte es durch Charruts Verstand. Und wie zur Bestätigung seiner Vermutung sah er, wie der andere sich mit einer fließenden Bewegung bückte und aus seinem Stiefel ein Messer zog. Er hielt Charrut das Messer entgegen. Charrut ging instinktiv in eine Abwehrhaltung und stieß Onista nach hinten.
Der Stoß von Charrut riss Onista aus der Starre, denn sie rief mit verzweifelter Stimme: „Pergar, bist du wahnsinnig geworden? Steck sofort das verdammte Messer weg!“ Sie wurde ganz bleich im Gesicht, als ihr bewusst wurde, das Pergar schon immer eifersüchtig und besitzergreifend war, einer der Gründe, warum ihre Beziehung nie richtig funktioniert hatte.
„Du hast es nicht anders gewollt. Du gehörst mir und sonst keinem. Den Kerl schlitze ich auf!“ rief Pergar wutentbrannt. Und, wie um seine Worte Taten folgen zu lassen, senkte er den Arm mit dem Messer, drehte die Klinge so, dass sie senkrecht nach oben stand, trat zwei Schritte vorwärts und zog das Messer mit dem Arm von unten nach oben.
Charrut hatte aufgepasst. Er ging drei Schritte zurück und stieß Onista weiter nach hinten. In diesem Moment durchzuckte ihn gedankenschnell ein Satz, den ihm sein Dagor-Ausbilder E’queran auf Harkon einmal gesagt hatte: ‚Verwandle deine Schwäche in Stärke und die Stärke des Gegners in seine Schwäche‘. Der Mann, den Onista Pergar nannte, war kräftiger gebaut als er und größer. Das war dessen Stärke. Und die musste er in Schwäche verwandeln . Er musste flinker und wendiger sein als sein Gegner. Den Gegner im Auge behaltend standen sich Pergar und er lauernd gegenüber. Wer würde den nächsten Schritt tun?
Pergar fixierte Charrut mit seinen Augen und versuchte abzuschätzen, wie dieser seinem nächsten Angriff ausweichen würde. Langsam bewegten sich die Kontrahenten im Kreis. Pergar überlegte, ob dieser Charrut auf eine Finte hereinfallen würde. Er täuschte einen Angriff mit dem Messer in der rechten Hand an, wechselte blitzschnell das Messer in die linke Hand und stach zu. Gleichzeitig durchzuckte ein heißer Schmerz seinen rechten Arm, so das er überrascht aufstöhnte.
Charrut hatte es geahnt, das sein Gegner ihn schnell unschädlich machen wollte. Er hatte dessen Wut und die dadurch hervorgerufene Unvorsichtigkeit ausgenutzt, als dieser ihn in eine Falle locken wollte, in dem er einen intensiven Schlag mit den Knöcheln seiner Faust in dessen rechten Achselhöhle setzte. Sein Gegner stöhnte kurz vor Schmerz auf und blickte ihn mit einer Mischung aus Wut und Erstaunen an. Der Arm würde vorläufig keine Kraft mehr besitzen. Aber er durfte den Gegner nicht unterschätzen. Nochmals würde dieser Pergar nicht darauf hereinfallen und war jetzt gewarnt, dass er auch ohne Waffe ein ernst zu nehmender Gegner war. Und er besaß noch immer das Messer.
„Aufhören!“ schrie Onista wieder verzweifelt, „Es ist alles meine Schuld. Ihr dürft euch nicht gegenseitig töten!“, aber die Worte verhalten ungehört. Sie konnte nicht glauben, was sie sah. Pergar war rasend vor Wut und Eifersucht und würde den Mann, den sie liebte, töten.
Charrut beobachtete aufmerksam Pergar, wie er das Messer in seiner linken Hand drehte, so dass die Klinge waagerecht lag. Er schob seine linke Seite mit dem Messer vor, tat einen schnellen Schritt vorwärts und vollführte mit dem linken Arm und dem Messer eine Kreisbewegung.
Charrut ahnte, was Pergar vorhatte. Als dieser einen Schritt vortrat, sprang er kurz zurück, wartete, bis der Arm mit dem Messer an seiner bisherigen Position vorbei gezogen war und katapultierte sich dann mit einem Sprung in dessen Rücken. Er wollte gerade den rechten Arm nehmen und herumreißen, um so Pergar aus dem Gleichgewicht zu bringen, als er einen höllischen Schmerz in Höhe seines rechten Beckens verspürte. Ein unterdrückter kurzer Schrei entrang sich seiner Kehle. Unbewusst hielt er die rechte Hand an der Wunde, als er sich aus der Nähe seines Gegners bewegte.
Onista schrie auf, als sie sah, wie Pergar Charrut mit dem Messer verwundete. Sie konnte fast das Blut spritzen sehen, als das Messer in Charruts Körper fuhr. Tränen liefen ihr über das Gesicht, als sie sich vor Angst geschwächt hinsetzte.
Pergar frohlockte innerlich. Er hatte es gewusst. Gewusst, wie dieser Mann, den Onista Charrut nannte, reagieren würde. Er hatte sich, anstatt wie vermutet, mit dem Messer nur einen Halbkreis zu ziehen, weiter um die eigene Achse gedreht und konnte so seinen Gegner einen Treffer setzen. Er sah, wie Charrut mit schmerzverzehrtem Gesicht und mit einer Hand auf der Wunde versuchte, aus seiner Nähe zu kommen. Jetzt noch einmal nachsetzen und er würde seinen Nebenbuhler besiegen…
Charrut spürte, wie das Blut aus seiner Wunde sickerte. ‚Nur eine Fleischwunde‘ sagte er sich. ‚Achte auf deinen Gegner, nicht auf das Fleisch!‘. Er sah im Gesicht des anderen, dass dieser siegessicher war. ‚Er wird nachsetzen. Und zwar sofort. Und er will dich töten‘. Wut stieg in ihm auf: Wut darüber, dass ihn der andere töten wollte, ohne dass er etwas getan hatte. Als Pergar schnellen Schrittes auf ihn zukam und ihn fast erreicht hatte und mit der Hand zum Stoß ansetzte, ließ sich Charrut nach hinten fallen, griff gleichzeitig mit beiden Händen von unten zum Arm, der das Messer führte, benutzte seinen Schwung, trat Pergar mit seinen Beinen in die Bauchgegend und schleuderte ihn über sich. Pergar fiel hart mit dem Rücken neben Charrut auf den Boden und blieb einige Paltortontas liegen und schnappte nach Luft. Auch Charrut spürte, wie ihm die Wunde zu schaffen machte und blieb schwer atmend liegen.
Pergar richtete sich langsam auf und sah Charrut neben sich liegen. ‚Dieser verfluchte Adlige! Nicht nur, das sie uns ausbeuten, jetzt stehlen sie uns noch unsere Frauen‘, flammte seine Wut wieder auf. In seinem Kopf tobte der Schmerz, Blut sickerte aus einer Kopfwunde und lief über seine Augen und seinen rechten Arm konnte er noch immer nicht bewegen. Er warf sich auf den Boden liegenden Charrut und griff mit der Hand seines linken Arms nach Charruts Kehle und würgte ihn.
Charrut wehrte sich gegen den harten Würgegriff seines Gegners. Überlebenswillen und Wut ließen ihm seine Schmerzen vergessen, Kraftreserven mobilisieren, trotz seiner Schwächung durch die Wunde. Wieder und wieder schlug er mit seiner rechten Faust schwer an den Kopf von Pergar, aber dieser war hart im nehmen.