Begegnungen (Tartor 14.597 d. A.) – Teil 1
„Ich hole uns etwas zu trinken“, sagte Charrut und ging zu einer Bar, hinter der ein Roboter stand und ließ sich zwei Gläser agorianischen Sekts geben. Als er sich umdrehte, während er auf die Getränke wartete, beobachtete er, wie ein anderer Mann bei Onista stand und mit Gesten auf sie einredete. Den Gesten und Gesichtsausdrücken nach war es eher ein Streit als ein Gespräch. Charrut sah sich den Mann genauer an. Es musste ein Bras’cooi sein, denn seine Haare waren hellbraun und schulterlang. Er war athletisch und kräftig gebaut, größer als er selbst. Charrut schätzte die Größe auf zwei Quars und sein Alter auf ungefähr fünfundzwanzig Vothars. Plötzlich konnte er verstehen, warum manche Frauen von bestimmten Männer schwärmten. So einen athletisch gebauten Mann mit einem gleichmäßig, ästhetisch geformten Gesicht hatte er schon lange nicht mehr gesehen. Und er war beim Militär, denn er trug die Uniform der Systemflotte von Varynkor.
„Zdhopan, Ihre Erfrischungen“ sagte der Roboter hinter der Bar.
* * *
Onista freute sich riesig. ‚Das scheint ein interessanter Abend zu werden‘, ging es ihr durch den Kopf, ‚erst Charruts exklusives Geschenk, dann das Aufeinandertreffen zwischen ihrer Schwester Sidona mit Charrut, gleich anschließend die Modenschau und später vielleicht…‘. Ein Glücksgefühl breitete sich in ihr aus. Sie blickte kurz hinter Charrut hinterher, wie er sich einen Weg durch die anderen Gäste ihrer Schwester bahnte, die mittlerweile den Empfangsraum bevölkerten.
„Hallo Onista!“ sprach sie auf einmal eine wohlbekannte Stimme an.
Sie drehte sich abrupt um und sah sich Pergar gegenüber. Ihr Herz schien auszusetzen. Sie hatte das Gefühl, abwechselnd rot anzulaufen und weiß zu werden.
„Was machst du denn hier?“ stieß sie überrascht hervor.
Pergar sah sie argwöhnisch an. „Was soll die Frage? Auch wenn ich gerade von einem 4-Berlenprag-langen Außeneinsatz der Systemflotte komme, solltest du immer noch wissen, dass wir zusammen sind! Und ich habe eine Einladung zu dieser Modenschau. Darum dachte ich, nachdem wir uns solange nicht mehr gesehen haben, wir sehen uns die Präsentation gemeinsam an!“
Onista fiel fast in Ohnmacht. ‚Wenn Charrut mitbekommt, dass es noch jemand in meinem Leben gibt, mit dem ich mangels Gelegenheit noch nicht habe Schluss machen können… Nicht auszudenken. Das wäre eine Katastrophe!‘ Händeringend suchte sie nach einer Möglichkeit, eine Begegnung zwischen Pergar und Charrut zu verhindern.
„Ich bin bereits mit jemand hier, der wichtig für Sidona und mich ist. Siehst du den Arki dort an der Bar?“ und deutete mit dem Kopf in Richtung Charrut.
Pergar blickte kurz hinüber und dann wieder zu Onista. „Ein Adliger von der Akademie? Warum ist der für Sidona und dich wichtig?“ fragte er zurück. Er wusste es. Er hatte von Sidona einen Hinweis und die Einladung erhalten, damit er sich selbst ein Bild machen konnte. Erst hatte er es nicht glauben wollen, an einen schlechten Scherz von Sidona gedacht. Aber als er Onista und diesen Mann beobachtete, wie sie aus ihrer Wohnung kamen und sich gemeinsam auf den Weg zur Modenschau machten, wurde die Vermutung zur Gewissheit und in ihm kochte die Wut. Ihre Beziehung war schon lange Zeit nicht mehr das, was sie einmal war, zu viele Unterschiede hatten sich im Laufe der Zeit aufgetan. Aber noch war ihre Beziehung nicht beendet und er dachte gar nicht daran, sie zu beenden. Und jetzt erzählte sie ihm eine Lüge!
Onista sah, wie es im Gesicht von Pergar arbeitete. Als er zu Charrut sah, verfinsterten sich seine Gesichtszüge, die sich nur ein wenig erhellten, als er sie wieder ansah und fragte, warum Charrut für ihre Schwester und sie wichtig sei.
Sie erzählte Pergar, das sich Charrut für sie interessieren würde und sie die Gelegenheit beim Schopf gepackt hätte, ihn hierher zu bringen, damit ihre Schwester damit werben konnte, das sich sogar Adlige ihre Modenschau ansehen würden. Das wäre gut für das Geschäft.
„Und darum wäre es gut, wenn er mit uns alleine wäre, dich nicht mit Sidona oder mir sehen würde. Womöglich würde er sonst abgeschreckt werden und die Modenschau verlassen!“ beendete Onista ihre Erklärung.
Mit jedem Wort, das die Lüge von Onista vergrößerte, wurde Pergars Gesicht härter und in ihm kochte wütende Eifersucht hoch.
„Lüge mich nicht an! Ich weiß bescheid. Glaubst du etwa, ich bin blind? Ich habe euch beobachtet!“ zischte er gepresst zwischen seinen Zähnen hervor, während er mit seinem Gesicht ganz nah an ihrem war.
Onista wurde es mulmig zumute. Der wütend drohende Gesichtsausdruck Pergars ließ sie das schlimmste befürchten. Sie hatte zu dieser Notlüge greifen müssen, um die Situation einigermaßen unter Kontrolle halten sie können, und Pergar hatte sie durchschaut.
„Du hast Recht, Pergar“, erwiderte sie leise und blickte dabei zu Boden. „Ich werde die Angelegenheit klären“. Sie blickte kurz in Richtung Bar und sah, wie Charrut die Getränke vom Roboter entgegen nahm. „Aber, bitte, geh jetzt!“ sagte sie zu Pergar und blickte ihm dabei offen ins Gesicht.
Pergar war von ihrer Offenheit überrascht. Vielleicht würde sich doch noch alles zum Guten wenden. Einige Paltortontas überlegte er, ob er noch etwas sagen sollte, blickte zu diesem Mann, der sich gerade von der Bar entfernte, drehte sich um und ging.
Charrut drehte sich um, nahm die beiden Gläser und ging wieder in Richtung Onista. Sie sah in kommen und sagte etwas zu dem Mann, der kurz in seine Richtung mit einem grimmigen Gesichtsausdruck herüber sah und dann fortging.
Als Charrut wieder bei Onista war, reichte er ihr ein Glas und fragte: „Wer war das?“
„Ein Freund“, erwiderte sie tonlos.
So, wie Onista sich ausgedrückt hatte konnte sich Charrut des Eindrucks nicht erwehren, dass sie ihm nicht alles gesagt hatte, ihre Stimme klang irgendwie hetzt.
„Es sah aus, als hättet ihr euch gestritten!“ warf er ein und nahm einen Schluck vom Glas.
„Nein, wir hatten nur eine Meinungsverschiedenheit, aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist nur, das wir beide heute hier zusammen sind.“
In diesem Moment erklangen leise und bestimmte harmonische Klänge und sie reihten sich in die Menge ein, um in den Präsentationsraum zu ihren Sitzplätzen zu gelangen.
* * *
Die Modenschau gefiel Charrut. Er hatte zwar schon viel erlebt, war auf vielen Veranstaltungen und Auktionen im Elimor-Sektor gewesen, aber eine Modenschau war auch für ihn neu. Interessant war, wie die neuen Kleidungsstücke angeboten wurden: Die Frauen und Männer, welche die Kleidungsstücke präsentierten, schwebten durch den Raum, getragen durch versteckte Antigrav-Geräte, und landeten immer wieder bei denen, die sich für das eine oder andere Modell interessierten. So hatten diese die Gelegenheit, sich die Stoffe und Materialien genauer anzusehen und konnten auch gleich Bestellungen vornehmen. Auch bei ihnen waren nach und nach einige Frauen und Männer gelandet, um ihnen ihre Modelle hautnah zu präsentieren und sie zum Kauf zu animieren, aber gekauft hatten sie nichts. Die Modelle für Männer waren ihm zu schwülstig und Onista brauchte nichts zu kaufen, sie konnte sich jederzeit bei Sidona etwas ausleihen. Aber Charrut hatte aufgepasst, welche Modelle Onista interessierten und welche Stilrichtung sie bevorzugte. Vielleicht ergab sich ja die eine oder andere Gelegenheit, Onista etwas zu schenken. Die Präsentation war untermalt mit begeisternder Musik und Lichteffekten, die die Kauflaune der Gäste steigern sollten. Nach ungefähr eineinhalb Tontas war die Modenschau beendet und als sie wieder in den Empfangsraum kamen, schwebten einige Roboter mit Tabletts umher und boten den Besuchern Trinken und Essenshäppchen an. Der Raum war erfüllt mit Stimmengewirr der Anwesenden, die sich über die Modenschau an sich und über die einzelnen Modelle unterhielten. Die Männer und Frauen, die eben noch fliegend die Modelle präsentiert hatten, liefen nun zwischen den Gästen herum, verwickelten diese in Gespräche zu ihren Modellen und versuchten so, die Gäste zu weiteren Bestellungen zu animieren. Onista und Charrut ließen sich gerade Knabbereien von einem Roboter geben, als Sidona plötzlich wieder bei ihnen auftauchte.
„Und, wie hat euch die Modenschau gefallen?“ fragte sie und sah Charrut an.
„Ich muss gestehen, dass ich noch nie auf einer Modenschau war“, erwiderte Charrut. „Sie hat mir sehr gefallen. Vor allem die Art der Präsentation war sehr interessant. Eine tolle Idee, meinen Respekt!“
„Und, war etwas für Sie dabei, Charrut, was Sie interessiert hat?“ fragte Sidona und sah ihn gespannt an.