Begegnungen (Tartor 14.597 d. A.) – Teil 1
„Das sind deine ganzen Gründe?“ fragte er und in seiner Stimme schwang Ärger mit. „Du weißt doch genau, wie es bei Ihr familiär steht. Ihr Onkel ist der Shekur, dem auch Varynkor untersteht. Glaubst du nicht auch, dass Sie bei allem, was sie tut, seine Position berücksichtigen muss?“
„Natürlich wird Sie das. Aber die Frage, die sich stellt, ist doch: Welche Entscheidungen Sie selbst jetzt und zukünftig fällen kann, ohne immer auf das Wohlwollen Ihres Onkels angewiesen zu sein.“
Tranthars Gesicht und Körperhaltung drückten Ärger aus. Unbewusst fuhr er sich mit der Hand über sein Kinn, dort wo er einst einen Bart getragen hatte, den er, um auf der Akademie bleiben zu dürfen, abrasieren musste, genauso wie Etzor.
„Du bist dabei, Charrut, den größten Fehler Deines Lebens zu begehen!“ sagte er im Brustton der Überzeugung. „Keine der hier anwesenden weiblichen Thos’athor kann es sich leisten, auf der Raumakademie einen Freund zu haben. Du kennst den Paragraph 17. Die Akademieleitung verweist jeden, gleich welchen Ansehens, ohne Gnade von der Raumakademie. Diese Schande könnte Auris ihrem Onkel niemals antun. Wenn sie dich auf Abstand hält, tut sie das aus diesem Grund. Und sie hat recht damit. Gerade du, Charrut, der du in letzter Zeit immer mehr durchblicken lässt, wie wichtig dir der Harkon- Khasurn ist, solltest das begreifen. Schließlich bis Du Nachfolger eines Khasurn-Oberhauptes und sie nur eine unter vielen in ihrem Khasurn! Vielleicht aber bist du einfach nur zu egoistisch, um sie zu verstehen.“
Charruts Miene war mit jedem Wort Tranthars düsterer geworden.
„Nein!“ sagte Tranthar, der durchaus in der Lage war, Charruts Gemütszustand richtig einschätzen zu können. „Versuche erst gar nicht, beleidigt zu sein! Was wäre ich für ein Freund, wenn ich dir nicht unverblümt meine Meinung sagen würde. An deiner Stelle würde ich nochmals mit Auris reden, und genau das zur Sprache bringen. Ich vermute, dass du mit diesem neuen Blickwinkel das letzte Jahr auf der Raumakademie noch überstehen würdest. Wenn du dieses Gespräch nicht führen willst, hast du Auris ganz einfach nicht verdient. Das war mein letztes Wort zu diesem Thema, Charrut!“
„Auris und ich haben darüber geredet, vor fast einem Vothar, falls du dich erinnerst. Und seitdem ist es nicht besser geworden.“
Charrut stand auf und blickte zu Tranthar hinüber, der aber betrachtete das Thema tatsächlich als abgeschlossen und war nicht mehr gewillt, sich dazu zu äußern. Tranthar hatte wohl bemerkt, dass Charrut gar nicht die Absicht hatte, die Situation aus einem anderen Blickwinkel als seinem eigenen zu betrachten.
„Ich wollte dir es sagen, bevor du es von anderer Seite erfährst, da du mein Freund bist“, merkte Charrut noch an. Als Tranthar auch dazu schwieg, sagte er mit einer etwas kräftigeren Stimme: „Und außerdem: meine Entscheidungen treffe ich selbst! Ob sie richtig oder falsch sind, wird die Zukunft zeigen.“
Mit diesen Worten stand er auf und ging in Richtung Ausgang.
* * *
Onista warf zum wiederholten Male einen Blick auf ihr Vot. In wenigen Paltortontas würde Charrut kommen, so wie er es gestern beim Frühstück angekündigt hatte. Sie hatte, nachdem Charrut gestern gegangen war, sich selbst eine ‚Närrin‘ geschimpft. Hatte sie wirklich annehmen können, dass er gleich ‚Ja‘ zu einer Beziehung mit ihr sagen würde? Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hätte sie genauso wie er reagiert: Erst einmal in Ruhe darüber nachdenken! Sie selbst sah ihre beider Herkunft als die größte Bedrohung für eine Beziehung an: Sie, die Tochter ‚gewöhnlicher‘ Arkii, er ein Sohn aristokratischer Abstammung. Sie seufzte und blickte wieder auf die Vot. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Sie schaute nochmals durch den Aufenthaltsraum ihrer Wohnung und fand ihn perfekt vorbereitet für einen gemeinsamen Abend. Sie ging in Gedanken nochmals den heutigen Prago durch. Nach ihrer Einsatzbesprechung für den morgigen Flug war sie vor annähernd vier Tontas in ihre Wohnung gekommen. Sie hatte ihre Schwester angerufen und ihr mitgeteilt, dass sie den Freizeitanzug unbedingt behalten wolle, den sie gestern getragen hatte und der Charrut so gefiel. Am Morgen hatte sie ihre Wohnungs-KSOL beauftragt, das Tai Ark’Tussan-Netz nach allen Informationen über Harkon, angefangen von regionalen Speisen und Gerichten bis hin zu ausgefallenem Brauchtum, auszufiltern. So sah sie sich die gefundenen und gefilterten Datenpaketen an und entschied sie sich für ein Menü, dass ihr zusagte. Kurzentschlossen hatte sie die KSOL beauftragt, die notwendigen Zutaten zu bestellen und die Mahlzeit für 17-50 Vot herzustellen. Anschließend entfärbte sie sich spontan ihre erst vor kurzem schwarz gefärbten Haare und betrachtete zufrieden ihre silberweißen Haare im Spiegel.
Unbewusst sah sie wieder auf ihr Vot. „Verdammt“ schalt sie sich. „Du bist kein junges Mädchen mehr, dass ihre erste Liebe gefunden hat!“. Sie hatte schon viele Beziehungen gehabt, meistens mit irgendwelchen Mannschaftsmitgliedern unterschiedlicher Raumschiffen , auf welchen sie im Laufe der Zeit eingesetzt worden war. Doch sie konnte nicht mit Gewissheit sagen, ob es an ihr oder an den anderen lag, dass daraus nie etwas ernsthaftes wurde. Meist dauerten die Beziehungen nur wenige Vothanii bevor sie wieder zerbrachen. Irgendwann wurde sie als Ksol-Spezialistin und Funktechnikerin in einer LEKA eingesetzt, auf welcher Charrut das Kommando inne hatte. Damals war ihr nie der Gedanke gekommen, dass da möglicherweise mehr daraus werden könnte, als ein normales ‚Vorgesetzten-Untergebenen‘-Verhältnis. Damals fiel ihr angenehm auf, dass Charrut mehr der ruhige Typ eines Offiziers war, der seinen Status als Adeliger nicht hervorkehrte. Wenn sie da an andere Athor dachte…
Gewaltsam riss sie sich aus ihren Gedankengängen. Sie ging noch einmal in das Schlafzimmer und betrachtete sich im Feldspiegel. ‚Gut siehst Du aus‘ sagte sie sich, ‚Schlank und trotzdem Proportionen an den richtigen Stellen‘. Ein Lächeln flog über ihr Gesicht; sie wusste schon, wie man Männer becircen konnte.
Das Besuchersignal meldete sich an der Eingangstür. Onista blickte auf ihren Vottan und stellte fest, das es 17-12 Vot war. ‚Das muss er sein‘, sagte sie sich. „Unpünktlich wie ein Adeliger“, sagte sie laut zu sich. Sie ging zum Eingang und betätigte den Öffnungsmechanismus. Charrut stand vor ihr und sah sie überrascht an, schließlich kannte er Onista bisher nur mit schwarzen Haaren. Sie konnte in seinem Gesicht seine Gedanken lesen, musste lachen und zog in an seiner Hand in die Wohnung.
„Schau nicht so überrascht, ich wechsle von Zeit zu Zeit meine Haarfarbe“
In einem überrascht wirkendem Tonfall fragte Charrut: „Und welches ist deine richtige?“
„Die, die ich gerade trage: Silberweiß“.
Sie wollte schon in Richtung Aufenthaltsraum gehen, als Charrut sie an der Hand festhielt, langsam zu sich zog und sie mit seinem Körper an die Wand drückte. Ihr Herz fing an, schneller zu schlagen und sie hatte das Gefühl, jeder konnte es hören. Langsam näherte sich sein Gesicht ihrem Gesicht und sie küssten sich leidenschaftlich. Als sie nach einiger Zeit voneinander abließen, spürte sie, das sie leicht ins Schwitzen gekommen war und ohne das sie es sah, fühlte sie eine gewisse Röte im Gesicht.
Gemeinsam Arm in Arm, gingen sie zum Aufenthaltsraum. Dort angekommen, fragte Sie: „Was möchtest Du trinken?“
„Etwas kaltes, erfrischendes.“
Während Sie sich um die Getränke kümmerte, sagte sie: „Ich habe mir erlaubt und ein Mahl zusammengestellt, was du vermutlich kennst: As’buru.
Charrut, der noch im Aufenthaltsraum stand, blickte Onista überrascht an: „Sehr gute Idee. Das habe ich schon lange nicht mehr gegessen! Wie bist du auf dieses Gericht gekommen?“
„Ich habe die Ksol nach harkonischen Menüs suchen lassen und dieses Fisch-Gericht hat mir von der Zusammenstellung zugesagt.“
Onista brachte für Charrut und sich jeweils ein Glas kaltes Wasser und beide setzten sich gegenüber an den Tisch.
„Du hast dich also entschieden“ sagte Onista zu Charrut lächelnd, mehr eine Feststellung als eine Frage. „Aber irgendwie siehst du nicht gerade sehr glücklich aus“.
Charrut lehnte sich im Stuhl zurück und fuhr sich mit der Hand durch seine Haare, bevor er antwortete: „Das hat nichts mit dir zu tun. Ich hatte heute morgen mit einem Freund einen unangenehmen Meinungsaustausch und er hat mir Dinge erzählt, die ich erst einmal in Ruhe überdenken muss.“
„Willst du mir nicht davon erzählen? Vielleicht kann ich dir helfen.“
Charrut schüttelte den Kopf. „Nein, nicht heute, ein anderes mal. Hier und jetzt ist nur unsere Beziehung wichtig!“ Er machte eine kurze Pause, beugte sich wieder nach vorne und fuhr fort: „Aber wir müssen einige Punkte klären, die wichtig sind und uns betreffen“. Er nahm ihre Hände und sah sie an. Onista spürte, wie sich ein Knoten in ihrem Magen bildete und ihr der Gedanke ‚Oje, was kommt jetzt!‘ durch den Kopf schoss.
„Du weißt, das ich hier auf der Akademie bin, und wenn die Sternengötter es zulassen, bin ich ungefähr in einem Tai-Vothani mit der Ausbildung fertig. Diese Ausbildung ist mir sehr wichtig. Mit anderen Worten: Wir werden in dem folgenden Tai-Vothan nicht so viel Zeit miteinander verbringen können, wie wir wollen. Einsätze und Ausbildung werden uns wenig Zeit lassen. Außerdem möchte ich nicht, dass ich das Gesprächsthema bei deinen Freunden oder deiner Familie bin – jedenfalls vorerst nicht. Ich hoffe, du kannst das akzeptieren“.