„Und wie hat sie reagiert?“

Charrut machte eine unbestimmte Handbewegung und erwiderte: „Na, wie wohl? Du kennst sie doch. Sie hat nichts gesagt und ist ohne ein Wort zu sagen gegangen.“

Kerasor schüttelte den Kopf und erwiderte: „Ich verstehe es nicht. Nein, falsch: Ich verstehe dich nicht! Auf mich hat Auris immer einen patenten Eindruck gemacht. Ich nahm immer an, dass ihr zwei wie geschaffen für einander seit! Und jetzt hast du ihr den ‚Laufpass‘ gegeben. Du hättest ihr noch eine Chance geben und abwarten können, wie es sich für euch entwickelt. Der eine Vothar hätte auch nichts mehr geändert, oder?“

Charrut verzog unwillig sein Gesicht und erwiderte: „Noch ein Vothar, oder vielleicht zwei Votharii, noch mehr Einsätze von ihr, die von ihrem Onkel beauftragt und beobachtet werden. Und wieder keine Entscheidung von ihr, für oder gegen mich. Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass es besser geworden wäre?“

Kerasor erkannte Charrut gar nicht wieder. Er überlegte kurz, bevor er fragte: „Und diese Frau, die du gestern wiedergetroffen hast? Willst du nicht etwas über sie erzählen?“

Charrut überlegte kurz, was er Kerasor sagen sollte. „Nun, da gibt es nicht viel zu erzählen. Sie war auf meiner LEKA-Disk als Positronik-Spezialistin und Navigatorin und heißt Onista Ferinei. Wie du dir sicherlich schon selbst überlegt hast, ist sie eine Essoya, und sie sieht ganz anders aus als die meisten Arkii: kurze, schwarze Haare und blaue Augen.“

„Eine Essoya! Und deine Gefühle für sie?“

„Frage mich lieber etwas anderes, ich weis es selbst nicht. Auf der einen Seite gefällt sie mir vom Aussehen und an manchen Punkten habe ich eine gewisse Seelenverwandtschaft entdeckt, auf der anderen Seite kenne ich sie noch viel zu wenig.“ Mit diesen Worten stand Charrut auf und ging langsam auf und ab, bis er in Gedanken die richtigen Worte gefunden hatte.

„Aber jetzt etwas anderes: Ich muss dir ein kleines Geheimnis anvertrauen! Eigentlich wollte ich es niemand sagen, aber ich denke, du solltest es wissen.“

Er blieb vor Kerasor stehen und sah in an. „Du weist, das ich das Risiko liebe.“ Charrut machte eine kurze Pause, um Kerasor Zeit zu geben, sich auf das neue Thema einzustellen.

„Darum hatte ich in den letzten beiden Votharii an einem noch nicht genehmigten Raumrennen teilgenommen.“

Kerasor sah Charrut verblüfft an. „Was hast du?“

„Ich wollte wieder etwas machen, was mir Spaß macht! Etwas, was mich reizt, abseits der Ausbildung.“

Kerasor fragte zurück: „Mir sind ’noch nicht genehmigte Raumrennen‘ nicht bekannt. Wo finden denn diese statt?“

„Na ja. ‚Noch nicht genehmigte Raumrennen‘ ist vielleicht positiv umschrieben. In Wahrheit sind sie ‚illegal‘.“

„Das dachte ich mir schon“. Kerasor schüttelte den Kopf. „Du überraschst mich heute sehr: Erst gibst du Auris den Laufpass und dann erzählst du mir von illegalen Raumrennen. Das mit den Raumrennen kann ich noch nachvollziehen, aber deine Trennung von Auris… Sei froh, dass ich hier bin und nicht Tranthar, der hätte dir wegen Auris gewaltig den Kopf gewaschen. Du weist doch, wie sehr er Auris bewundert.“

„Ich weis, wie Tranthar zu Auris steht. Mag sein, dass ich das etwas ungeschickt angestellt habe, aber ich stehe dazu. Und wenn Tranthar deswegen ein Problem mit mir hat, muss ich das akzeptieren“.

Kerasor stand auf und sah Charrut nachdenklich an: „Es war deine Entscheidung, Charrut. Gehen wir jetzt noch die Lerneinheiten durch?“

„Ja, selbstverständlich“

„Dann lass uns gehen“ erwiderte Kerasor und gemeinsam verließen sie Charruts Wohnraum.

* * *

Nach einigen Tontas kam Charrut zurück. Das Durcharbeiten der Lerneinheiten mit Kerasor hatte ihn ermüdet, da ihm immer wieder andere Gedanken versucht hatten, abzulenken. Er legte sich auf sein Bett und ließ die letzten Pragos nochmals Revue passieren. Was konnte er im nach hinein rechtfertigen? Wo hatte er Fehler gemacht? Wo hatte er richtig gehandelt?

* * *

33. Prago to Tartor 14.597 da Ark

Als er am nächsten Morgen aufwachte, hatte er sich entschieden. Die Bemerkung Kerasors, das Tranthar Auris stark bewunderte, hatte den Ausschlag gegeben. Er musste unbedingt mit Tranthar sprechen, bevor dieser aus anderer Quelle erfuhr, dass er sich von Auris getrennt hatte. So schnell er konnte, ganz ohne K’amana, stand er auf, duschte sich, zog sich an und machte sich auf den Weg in die Messe. Er suchte den Bereich auf, den ihre Gruppe im allgemeinen benutzte, um zu speisen. Als er dort hinkam, sah er Ellie, Etzor und Tranthar. Sie hatten bereits gegessen, da ihre Teller leer waren, und unterhielten sich angeregt. Charrut setzte sich zu ihnen und begrüßte sie.

„Guten Morgen Charrut, auch schon wach?“ fragte Ellie.

„Was man so wach nennt“ erwiderte er und bestellte sich eine große Tasse K’amana über das dem Tisch zugeordnete Eingabegerät. „Gestern Abend ist es spät geworden. Kerasor und ich sind noch etliche Lerneinheiten durchgegangen und als ich im Bett lag, gingen mir noch viele Gedanken durch den Kopf, bis ich einschlafen konnte“. Dann trank er einen großen Schluck aus der Tasse, die ihn ein Servierroboter inzwischen gebracht hatte.

„Du solltest einmal anständig frühstücken, mein Freund! Du siehst sowieso recht hager aus, selbst für einen Arki“, sagte Etzor mitfühlend, um gleich darauf lauthals loszulachen, als hätte er einen guten Witz gemacht. Andere Thos’athor an benachbarten Tischen blickten indigniert zu ihnen herüber ob der Lautstärke. Da erkannten sie Etzor und nahmen es mit Gelassenheit hin.

Charrut nahm den letzten Schluck aus der Tasse und bestellte sich gleich eine weitere, da seine Müdigkeit noch immer nicht verflogen war. Er wandte sich an Tranthar.

„Hättest du einen Augenblick Zeit für mich? Ich müsste unbedingt mit dir reden.“

Tranthar sah ihn fragend an.

„Etwas privates!“ ergänzte Charrut und sah dabei Ellie und Etzor an.

„Oh, ho!“ sagte Ellie. „Komm Etzor, lassen wir die beiden alleine. Gehen wir in das Sportzentrum? Ich könnte noch etwas Dagor-Training gebrauchen, und du gibst einen hervorragenden Trainingspartner ab!“

„Ja, äh… machen wir“ sagte Etzor und beide standen auf und gingen. Charrut kannte Etzor mittlerweile so gut, dass er an dessen Stimme erkannte, dass er liebend gerne geblieben wäre.

Nachdem beide außer Hörweite waren, fragte Tranthar leise: „Was gibt es so dringendes, dass du die beiden schon fast hinaus komplementiert hast?“ Während er auf Charruts Antwort wartete, nahm er aus seiner Tasse einen Schluck.

Charrut hatte sich auf den Weg zur Messe überlegt, wie er Tranthar es beibringen sollte. Letztendlich hatte er sich entschieden, es ihm direkt zu sagen; er wollte nicht lange um den heißen Brei reden.

„Ich habe meine Beziehung zu Auris beendet!“

Andere Thos’athor an benachbarten Tischen blickten neugierig zu ihnen herüber.

Tranthar verschluckte sich an seinem Schluck aus der Tasse und musste erst einmal kräftig husten, bevor er Charrut mit heiserer, krächzender Stimme fragte: „Was hast du? Und wieso?“

„Ich habe mich in all den Votharii um Sie intensiv bemüht. Aber nie gab es eine Entscheidung für oder gegen mich. Und seit annähernd einem Vothar wurde unsere Beziehung immer einseitiger. Ich habe Sie so gut wie überhaupt nicht mehr erreicht oder Sie wollte nicht mit mir reden.“
Tranthar hatte sich mittlerweile soweit von seinem Verschlucken erholt, dass er wieder mit normaler Stimme reden konnte.