Begegnungen (Tartor 14.597 d. A.) – Teil 1
Charrut traf sich zur selben Zeit mit seinem Vater in dessen Verwaltungsbüro. Das Büro seines Vaters war ähnlich opulent eingerichtet wie das Büro von Antor Agh’len Kolamir, in dessen Büro er im Eyilon gerufen worden war. Aber sein Geschmack war es nicht, zu viele persönliche Dinge waren hier vorhanden, er bevorzugte eine mehr sachlichere Umgebung.
„Setz Dich und erzähle, was Du Dir überlegt hast. Du hast angedeutet, dass wir unsere wirtschaftliche Beziehung zu den Mehandor überdenken sollten. Was willst Du denn überdenken, und wie? Die Mehandor haben per Imperator-Dekret das Handelsmonopol im Tai Ark’Tussan! Wir können nur insofern Einfluss nehmen, dass wir wie viele andere Khasurns auch, die Handelsrechte zeitlich begrenzt vergeben und uns immer wieder neue Angebote einholen“, sagte Ultral und blickte Charrut auffordernd an, darauf zu antworten.
Charrut sagte: „Stimmst Du mir zu, das freundschaftliche Beziehungen zu einem Handelspartner besser sind als eine reine sachliche Beziehung?“
„Natürlich“ stimmte sein Vater nickend zu. „Aber worauf willst Du hinaus?“
„Zu meinem Geburtstag im Ansoor werden zwei Freunde von mir kommen, und wenn ich sage Freunde, dann meine ich Freunde. Der eine ist Kerasor nert Tamanar. Mit dem Khasurn Tamanar verbinden uns verwandtschaftliche Beziehungen.“ Sein Vater nickte ihm zu. „Und der andere Freund ist Tranthar pas Tramethlar. Er ist der Sohn eines Mehandor-Patriarchen und hat dort dieselbe Stellung wie ich bei uns. Und die Flotte der Sippe Tramethlar ist annähernd 200 Schiffe groß, also nicht gerade eine unbedeutende Sippe.“
Charrut legte eine wohldurchdachte Pause ein und fuhr dann fort: „Du erinnerst Dich doch an die Rebellenorganisation TDA?“
Ultral Gesichtszüge verhärteten sich, als er antwortete: „Natürlich. Wie könnte ich das vergessen!“
“Was ich Dir jetzt sage, ist eigentlich Verschlusssache: Im Hara war eine Flotte des Imperiums in Debara Hamtar im Einsatz gegen diese Organisation, und war fast schon geschlagen, als der Sonnenkur Errenol Agh’Loksomh mit Verstärkung eintraf und die imperialen Kräfte doch noch zum schon verloren geglaubten Sieg führte! Und bevor Du fragst, woher ich das weiß: meine Jahrgangsstufe von der Akademie Varynkor und somit auch ich haben an diesem Einsatz teilgenommen. Wenn also schon eine Flotte dieser Größenordnung fast unterliegt, kann man sich vorstellen, was alles noch kommen könnte. Der Elimor-Sektor ist nur 45 Lichtjahre von Tiga Ranton entfernt. Es könnte, die Sternengötter mögen uns davor bewahren, der Notfallplan eintreten. D.h. wir müssten Teile unserer Sektorflotte der Imperialen Flotte zur Verfügung stellen. Wir werden, denke ich, nicht umhinkommen, über kurz oder lang mehr in den Ausbau unserer Flotte zu investieren. Davon sind nicht nur Neubauten, Mannschaften, Sold usw. betroffen, sondern auch die Infrastruktur des Militärs. Wir haben aber nur begrenzte Mittel zur Verfügung. Und vor diesem Hintergrund habe ich mir folgenden Plan ausgedacht: im Tartor laufen die Handelsrechte im Elimor-Sektor aus. Was hältst Du von der Idee, Tranthar bzw. seinem Vater anzubieten, für, sagen wir einmal fünf Votharii, ein exklusives Handelsrecht im Elimor-Sektor zu erhalten, und zwar zu günstigeren Konditionen als wie sie momentan ausgehandelt sind. Als Gegenleistung müssen sie uns Zugriff auf ihre Werften und Reparaturschiffe geben, zu entsprechend reduzierten Kosten!“
Charrut holte seine faltbare KSOL hervor und sagte: „Ich habe mir einige Zahlen von den entsprechenden Ressorts besorgt und einmal grob durchkalkuliert. Unterm Strich würden beide Parteien davon profitieren, die Tramethlar-Sippe etwas mehr als wir. Aber wir hätten fünf Votharii Zeit! Ich möchte, dass Du Dir das ganze einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lässt und mir dann bescheid gibst.“
Ultral schaute seinen Sohn nachdenklich an und erwiderte: „Es freut mich, das Du zum Khasurn gefunden hast. Ich werde Deine Daten analysieren und sage Dir morgen bescheid.“
Nachdem Charrut keine Anstalten machte, zu gehen, sah ihn sein Vater an und fragte: „Noch etwas?“
„Ja. Ich hatte vorhin von Debara Hamtar und der Imperiums-Flotte gesprochen. Weißt Du, wie der Stützpunkt hieß, von wo wir gestartet sind? Hark’alor! Was kannst Du mir darüber erzählen?“
Charruts Vater rieb sich das Kinn, sah Charrut an und überlegte. Einige Augenblicke später sagte er: „Es tut mir leid, aber das kann ich dir nicht sagen, jedenfalls jetzt noch nicht. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich dich informieren“
Charruts Gesichtszüge verhärteten sich, aber während er aufstand, sagte er: „Ich verstehe!“. Er nickte seinem Vater zu und verließ dessen Büro.
* * *
am nächsten Prago (30. Prago to Tarman 14.598 da Ark)
Charrut wachte langsam auf. Vorsichtig richtete er sich auf, um Onista neben sich nicht zu wecken. Mit leisen Schritten ging er zur Fensterfront und verringerte die Abschirmung, so dass er in das Khasurninnere blicken konnte. Über die Begrenzung des Khasurns ganz oben brach gerade die Sonne Yeta hervor, so dass der Innenbereich des Khasurns langsam in das strahlende Licht der gelben Sonne eingetaucht wurde. Schräg unten sah er im Park, den sein Vater so liebte, einige Ebitii ihr Vogelkleid aufplustern. Nicht allzu weit entfernt davon liefen Bedienstete des Khasurns geschäftig hin und her und stellten Tische und Stühle auf und dekorierten sie. Er wollte sich gerade umdrehen, um in die Hygienekabine zu gehen, als er von hinten umarmt wurde.
„Guten Morgen, mein Schatz“, sagte Onista noch etwas verschlafen.
Charrut drehte sich langsam um und erwiderte: „Guten Morgen, Neentin“ und küsste Onista. „Habe ich dich geweckt?“ fragte er.
„Nein, nicht direkt. Ich habe gespürt, dass du nicht mehr neben mir liegst und bin wachgeworden.“
Charruts Magen knurrte leicht.
„Lass uns in die Hygienekabine gehen und anschließend frühstücken“, meinte er und zog Onista mit sich in Richtung Hygienekabine.
* * *
Der Tag der Abreise war gekommen. Als sie fünf Zehnteltonta später zur 6. Tonta in den Essensraum kamen, saßen dort bereits Onythia und sein Vater und aßen. Sie grüßten, nahmen Platz und bestellten sich bei den Bediensteten heißes Gebäck und K’amana.
Als sie mit dem Frühstück fertig waren, klatschte Onythia kurz mit ihren Händen und kurz darauf kam ein Bediensteter und brachte Charrut eine kleine, edel aussehende Holzschatulle. Charrut schaute Onythia überrascht an. Onythia lächelte und sagte: „Ich weiß, welche Hobbies Sie pflegen, und dieses Geschenk von mir soll Sie daran erinnern, besser auf sich aufzupassen.“
Charrut neigte leicht den Kopf als Zeichen des Dankes und öffnete den Deckel der Schatulle. Zum Vorschein kam dieselbe Waffe wie die, die der Tato benutzt hatte, um Charrut in den letzten Momenten seines Lebens zu töten. Neben der Waffe lagen drei Projektile und ein Speicherkristall, der wahrscheinlich Dokumentationen, Beschreibungen und Anwendungshinweise zur Waffe selbst enthielt. Charrut betrachtete die Waffe einige Zeit, bevor er den Deckel wieder verschloss und an Onythia gerichtet sagte: „Ich danke Euch, Onythia. Sie wird in meiner Sammlung einen besonderen Platz einnehmen!“.
Während er aufstand, wandte er sich an Onista und sagte: „Komm, ich will Dir etwas zeigen.“
Charrut ging zum Sitzplatz von Onythia, reichte ihr die Hand, verneigte sich und sagte: „Ich danke Euch für Euer Verständnis und Zuspruch, Onythia. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder“. Seinem Vater nickte er nur kurz zu. Gemeinsam verließen sie den Essensraum und begaben sich zum Wohntrakt von Charrut. Dort allerdings führte Charrut Onista zu einem etwas abseits gelegenen Raum. Der Raum war relativ spärlich ausgestattet; nur einige Sitzgelegenheiten und ein ovaler Tisch. Nachdem sie eingetreten waren, ging Charrut zu einer an der Seitenwand angebrachten Zugangskontrolleinheit und drückte auf dem dortigen Fingerabdrucksensor seinen Daumen. Daraufhin wurde von der Wand, vor der die Sitzgelegenheiten und der Tisch standen, die Wandverkleidung in die Decke gefahren und in der Decke wurden einige Leuchteinheiten aktiviert. Zum Vorschein kam eine unübersehbare Anzahl von verschiedensten Handfeuerwaffen aller Art.
„Dala!“ sagte Onista erstaunt und ging näher an die Wand heran. „Wie lange sammelst Du denn schon?“ fragte sie.
„Ungefähr seit fünfzehn Votharii“, erwiderte Charrut und stellte die Holzschatulle mit der Projektilwaffe, die er von Onythia erhalten hatte, in ein mittig angebrachtes leeres Fach.
„Das war die Waffe, die der Tato benutzt hatte, um Dich zu töten?“
„Ja, und fast wäre es Ihm gelungen.“
Onista ging langsam die Wand entlang und betrachtete die Handfeuerwaffen. Vor einer etwas kleineren blieb sie stehen und fragte: „Darf ich?“
„Natürlich, aber pass auf, sie sind alle Einsatzbereit!“
Onista nahm vorsichtig die kleine Handfeuerwaffe aus dem Fach, wog sie in der Hand und meinte: „Wie für Frauenhände gemacht. Sie liegt leicht und handlich in der Hand.“ Anschließend legte sie die Waffe wieder zurück, blickte Charrut an und sagte: „Auch ich habe ein Geschenk für Dich, das ich Dir gerne noch geben würde, bevor wir zum Raumhafen aufbrechen.“
Charrut lächelte sie an, verschloss die Handfeuerwaffensammlung und beide gingen zu ihrem Wohntrakt. Nachdem sie dort angekommen waren, ging Onista zu ihren Reisesachen und holte ein Paket hervor. Sie drehte sich zu Charrut um und sagte: „Ausziehen!“
Charrut war überrascht. „Ausziehen? Alles?“
Onista lachte auf. „Nein, nur Deinen Anzug.“
Charrut zog sich den Anzug aus, und als er damit fertig war, bekam er von Onista das Paket mit den Worten überreicht: „Von Sidona und mir!“
„Von Euch beiden?“ fragte Charrut überrascht zurück, setzte sich und wog das Paket kurz in den Händen: „Relativ schwer.“ Dann entfernte er die Geschenkverpackung und öffnete das Paket. Zum Vorschein kam eine schlichte, blütenweise Uniform, die bis auf das Abzeichen des ‚del Harkon‘-Khasurns nichts enthielt. Unter der Uniform lagen im Paket ein Paar glänzende schwarze, wadenhohe Stiefel und ein leerer schwarzer Waffengurt.
Charrut blickte überrascht Onista an: „Das war doch bestimmt teuer?“
„Lass das meine Sorge sein, mein Schatz“, antwortete Onista und begutachtete das Werk ihrer Schwester, als sich Charrut die Uniform anzog.
Nachdem Charrut alle Teile der Uniform angezogen hatte, betrachtete er sich selbst in einem Feldspiegel und meinte dann zu Onista: „Die Uniform wirkt richtig elegant. Schlicht, einfach, elegant und edel. Kein überbordender Protz wie bei vielen Adeligen.“
„Gefällt sie Dir wirklich?“ fragte Onista zweifelnd.
„Aber ja. Sie gefällt mir sehr. Da werden sich bestimmt einige Frauen nach mir umsehen und …“
„Hey, pass auf, was Du sagst!“ fuhr ihm Onista dazwischen. Charrut fing an, laut und herzhaft zu lachen, und nach einigen Augenblicken musste auch Onista lachen.