Onista, die nur den letzten Teil des Streits zwischen Charrut und seinem Vater zusammen mit Onythia mitbekommen hatte, nickte Onythia zu und ging hinter Charrut her, ohne ein Wort zu sagen.

Nachdem sie außer Hörweite war, wandte sich Onythia erzürnt an Ultral: „Wie konntest Du es nur so eskalieren lassen?“

„Ach, ein Wort gab das andere“, erwiderte Ultral noch etwas erregt.

„Du hast Ihn vor dem Kopf gestoßen, Ihm keine Möglichkeit gegeben, seinen Standpunkt zu überdenken oder darzulegen!“ erwiderte Onythia.

„Er wird wieder zur Vernunft kommen. Er wird einsehen, dass ich Recht habe.“

Onythia schüttelte den Kopf und sagte: „Das glaube ich nicht. Er ist genauso wie Du ein Dickkopf! Außerdem, was denkst Du, wird ihm jetzt durch den Kopf gehen? Im Eyilon hat er unser Leben gerettet und seines riskiert und das einzige, was er erwarten durfte, war etwas Verständnis. Aber Du kommst gleich mit Traditionen daher. Ist unsere ‚Liebe‘ auch nur traditionsgemäß, weil ich eine ‚de Chihan‘ bin?“

Ultral schaute Onythia verwirrt und nachdenklich an, bevor er antwortete: „Das ist hier ganz etwas anderes. Hier geht es darum, dass es Regeln, Kodexe und Protokolle gibt. Und eine der Regeln ist und bleibt der Gehorsam. Gehorsam gegenüber dem Khasurnoberhaupt, Gehorsam seinem Vater gegenüber. Wenn ich mich schon nicht mehr auf meinen eigenen Sohn verlassen kann, wie soll es dann erst Recht im Khasurn funktionieren? Wie im Reich?“

„Du vergisst dabei eins: ER ist DEIN Sohn. Er kann und darf von dir Milde erwarten. Nur wenn ihr beide aufeinander zugeht, Verständnis für den anderen zeigt, werdet ihr zusammen leben können. Und aus dem Khasurn jagen willst du ihn doch nicht, oder?“ Nach wenigen Palsartontas fügte sie hinzu: „Ich werde jetzt mit Charrut sprechen!“ Dann verließ sie den Raum. Zurück blieb ein nachdenklicher Ultral.

* * *

Währenddessen war Onista beim Wohntrakt angekommen. Sie öffnete das Schott und trat ein. An der Fensterfront zum Park im Kelch stand Charrut und seine Haltung deutete darauf hin, dass er immer noch etwas erregt war; seine Hände waren zu Fäusten geballt. Er schlug damit gegen die Glaswand. Onista ging zu ihm, umarmte ihn von hinten, schmiegte sich an ihn und sagte leise: „Ich wusste, dass so etwas kommen würde: ein Adeliger und eine Essoya, das kann nicht gut gehen.“

Charrut befreite sich sanft aus Onistas Umarmung, drehte sich um und erwiderte: „ICH habe mich entschieden! Für dich! Denkst du wirklich, dass ich wegen dem Ärger mit meinem Vater zu unserer Liebe wankelmütig werde? Zweifel habe? Ich hoffe nicht, dass du das glaubst!“

Bevor Onista antworten konnte, ertönte vom Eingangsschott ein melodisches Klingelsignal. Charrut stöhnte leicht auf. Als er keine Anstalten machte, auf das Signal zu reagieren, ging Onista zum Schott und öffnete es. Vor dem Eingang stand Onythia.

„Es tut mir leid, wenn ich Euch störe, aber ich würde gerne mit Charrut reden. Alleine.“ Onista drehte sich zu Charrut um, sah ihn an, drehte sich wieder zu Onythia um und sagte: „Ich gehe im Park spazieren“ und verließ den Wohntrakt.

Nachdem Onythia eingetreten war, ging sie zur Couch im Aufenthaltsraum und setze sich. Sie deutete auf den Platz neben sich und sagte: „Charrut, setzen Sie sich zur mir. Bitte.“ Charrut überlegte kurz, ob er dem Wunsch Onythias nachgeben sollte, aber dann setzte er sich zu ihr.

„Es tut mir leid, dass wir uns unter diesen weniger positiven Umständen näher kennenlernen. Aber manchmal kann Euer Vater ein ziemlicher Dickkopf sein. Und er ist ziemlich traditionsbewusst. Das hättet Ihr in Bezug auf Onista einkalkulieren müssen.“ Sie machte eine kurze Pause und fuhr fort. „Natürlich hat es Ihren Vater getroffen, dass Ihr mit einer Essoya liiert seit.“

Charrut erwiderte: „Ich wusste, wie er reagieren würde. Alle Freundinnen, die ich früher hatte, hat er vergrault. An keiner ließ er ein gutes Haar, keine war Ihm gut genug. Aber damit ist jetzt Schluss. Das ist meine Entscheidung, und die ist unumstößlich. Entweder akzeptiert mein Vater Onista oder er muss mit der Entscheidung leben, die ich dann treffen werde. Bis hierher und nicht weiter! Ich bin nicht mehr der unerfahrene junge Mann von früher, als ich zur Akademie aufbrach. Das scheint mein Vater noch nicht bemerkt zu haben.“ Charruts Stimme war zum Schluss immer heftiger, immer lauter geworden, noch immer schwang die Verärgerung des Disputs mit seinem Vater in seiner Stimme mit. Für einen Augenblick war es still im Aufenthaltsraum, bis Charrut mit ruhiger Stimme sagte: „Verzeiht mir, Onythia. Ich habe mich gehen lassen. Ich bitte Euch um Entschuldigung!“

„Ihr seid noch jung, Charrut. Vergesst es nicht. Euch steht noch das ganze Leben offen, Dinge zu tun, die Ihr tun wollt“, sagte Onythia.

Charrut schüttelte den Kopf und erwiderte: „Onythia, kennt Ihr unsere Geschichte, unsere Schmach? Als ich mich vor Votharii für die Akademie entschied, wusste ich nicht, warum. Es war wie ein innerer Drang, der mich dazu zwang. Heute weiß ich es. Seit Vothartors hat sich kein ‚del Harkon‘ mehr gegen das Los, den der Khasurn einst erlitten hat, aufgelehnt. Ich werde es ändern, so fern mir Arkons Götter beistehen. Und was das ganze Leben angeht: die Einsätze, die wir in unserer Ausbildung haben, sind oftmals riskant, und ich habe schon Freunde in Einsätzen verloren und sie begraben. Ihr seht, ‚mein ganzes Leben‘ könnte eine sehr kurz bemessene Zeit sein. Schon morgen könnte ich mich auf den Weg zu den She’Huhan befinden. Und ich habe nur dieses eine Leben. Und das will ich leben – gemeinsam mit Onista! Das ist mein Leben und es ist meine Entscheidung.“

Es herrschte ein kurzer Augenblick der Stille, bis Onythia aufstand und erwiderte: „Ich werde mit Eurem Vater reden“. Sie ging zum Eingangsschott, öffnete es und verließ den Wohntrakt.

Nachdem Onythia den Wohnbereich verlassen hatte, lehnte sich Charrut auf der Couch zurück und schloss die Augen. Er musste sich erst einmal beruhigen, Abstand gewinnen, damit er klare Gedanken fassen konnte.

* * *

Als Onythia wieder in den Essensraum kam, saß Charruts Vater noch immer dort und trank Kerisu. Er blickte zu Onythia auf, die an ihn herangetreten war und fragte: „Und?“

Onythia schüttelte den Kopf und erwiderte: „Onista, oder…“

„Was meinst Du mit ‚oder‘?“

„Nun, er ist fest entschlossen. Entweder akzeptierst Du Sie… oder er zieht die Konsequenzen. Er überlässt Dir die Entscheidung. Und so, wie er sich ausgedrückt hat, ist er zu allem bereit.“

„Ich lasse mich nicht erpressen, und schon gar nicht von meinem eigenem Sohn!“ brach es zornig aus Ultral hervor. Er schlug mit der Hand auf den Tisch, stand auf und ging aus dem Essensraum. Zurück blieb Onythia, die sich langsam an den Tisch setzte und den Kopf schüttelte vor so viel Dickköpfigkeit von beiden Seiten.

* * *

Nach dem Essen sprach Onythia Charrut an: „Charrut, ich habe mich noch gar nicht bei Ihnen bedankt, dassIhrim Hara das Leben von Eurem Vater und mir gerettet habt und Euch dafür in äußerste Lebensgefahr gebracht hattet. Ich hoffe, Ihre Verletzungen, die Sie davon getragen haben, sind verheilt“

„Sie müssen mir nicht danken, Onythia. Es ging schließlich um die Ehre des Khasurns. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn meine Familie dabei zu Schaden gekommen wäre. Ich musste einfach handeln.“

Auf Onythias Gesicht erschien ein Lächeln, als sie erwiderte: „Ich danke Euch, das Ihr mich mit in Eure Familie aufgenommen habt“ und warf dabei einen anerkennenden Blick zu Ultral.

Onistas Augen wurden während dieses kurzen Gesprächs immer größer und der Blick, mit dem sie Charrut dabei ansah, sagte, dass sie wütend war.

Onythia war der Blick nicht entgangen und ihr Gespür sagte ihr, dass sich zwischen Onista und Charrut Ärger anbahnte. Darum sprach sie Onista an: „Onista, wir kennen uns noch nicht. Begleiten Sie mich ein Stück?“ und stand auf. Mit einem vorwurfsvollen Blick auf Charrut gerichtet, stand auch Onista auf und sagte: „Gerne.“ Gemeinsam verließen sie den Essensraum in Richtung Khasurnpark.

Nachdem die Frauen fortgegangen waren, saßen Charrut und sein Vater einen Moment still am Tisch. Ultral beobachtete seinen Sohn, der nachdenklich in sich gekehrt auf die Tischplatte blickte.

* * *

Onythia und Onista erreichten den Khasurnpark und wanderten nebeneinander durch die reichhaltige Botanik, „Seien Sie Charrut nicht böse, meine Liebe. Er hat nur das getan, was er für richtig und notwendig hielt“, sagte Onythia zu Onista.

„Er hätte es mir sagen müssen“, beharrte Onista. „Er sagte nur etwas von ‚Familienangelegenheiten‘, die geklärt werden mussten!“

Onythia konnte Onistas Ärger verstehen. Sie wusste nicht, warum Charrut Onista nicht eingeweiht hatte, aber sie vermutete, dass er dafür seine Gründe hatte. Vielleicht würde sie jetzt einen Fehler begehen, aber sie entschloss sich, Onista von den damaligen Vorkommnissen zu berichten „Charruts Vater wollte im Suhenu-System eine routinemäßige Inspektion machen und mir anschließend den Planeten zeigen, als wir von dem dortigen Tato entführt wurden. Jedenfalls wurden wir einige Pragos später von Charrut und einigen Arbtans befreit. Ich weiß leider auch nicht alles, jedenfalls gab es eine Raumschlacht und im Duell Charrut gegen den Tato konnte Charrut den Tato töten, aber durch eine Explosion wurde er verletzt und lag einige Pragos im Medikcenter. Viele Arkii sind dabei gestorben, um uns zu befreien. Seitdem sind die Sicherheitsvorkehrungen im gesamten Elimor-Sektor verschärft worden. Ich habe sogar gehört, dass der damalige Vorfall hier auf Harkon als ‚Testfall Elimor-Sektor‘ in die Analen des Khasurns eingegangen ist.“

Onythia machte eine kleine Pause, um Onista Zeit zu geben, das Gehörte zu verarbeiten. „Und um an den Punkt von vorhin anzuknüpfen: Charrut als zukünftiges Khasurnoberhaupt und letzter männliche Nachkomme der ‚del Harkon‘ konnte gar nicht anders als so zu handeln Vergessen Sie nicht, dass er aristokratischer Herkunft ist. Im Adel gibt es eigene Regeln, eigene Kodexe. Er ist das Resultat seiner Erziehung, mehr nicht.“

„Trotzdem“, erwiderte Onista schon wieder etwas besänftigt. Onista bewunderte die ruhige, bestimmte Art, mit der Onythia redete. Sie spürte, dass aus ihr die votharlange Umgebung des Adels sprach.

„Übrigens, Sie tragen einen recht interessanten Anzug. Ist das jetzt die neueste Mode auf Varynkor?“ fragte Onythia und betrachtete Onista von oben bis unten.

„Nein, nicht wirklich, vielleicht wird sie es. Meine Schwester Sidona entwirft Freizeitkleidung, und bevor die Modelle vorgestellt werden, trage ich Ihre Entwürfe zur Probe.“
„Jedenfalls wirkt der Anzug sehr provozierend. Ich vermute, das ist beabsichtigt?“ fragte Onythia.