Begegnungen (Tartor 14.597 d. A.) – Teil 1
12. Prago to Tarman
Ungestüm drang der Roboter vor. Mit einem Schwert in der einen Klaue griff er sie an, drängte sie immer weiter zurück. Trotz ihrer hervorragenden Kampftechnik mit dem Schwert spürte sie, dass ihre Kräfte nachließen, da der Kampf bereits einige Palbertontas andauerte.
Da empfing sie in ihrem Kopf überraschend ein Signal, das nur ihre Spezialpositronik aussenden konnte, was einen neuen Auftrag bedeutete.
„Halt! Pause!“ rief sie und der Trainingsroboter, mit dem sie gerade ihr tägliches Kampftraining absolvierte, hielt in seiner Bewegung inne. Sie unterbrach ihr Training und ging in Richtung Positronik, während sie sich gleichzeitig mit einem Handtuch den Schweiß aus dem Gesicht wischte und ihre braunen nassgeschwitzten Haare nach hinten abwischte. Auf dem Weg zur Positronik kam sie an einer spiegelnden Verkleidung des Trainingsraums vorbei, blieb kurz davor stehen und betrachtete sich selbst. Von der aparten, jungen Bras’cooi, die Karriere machen wollte, war nicht mehr viel zu sehen. Sie war schlank, kräftiger gebaut als üblich bei weiblichen Bras‘cooi, hatte eine durchschnittliche Größe, braune, schulterlange Haare und dunkelgrüne Augen. Aber das tägliche Training machte sie jeden normalen Arki überlegen, sowohl in Kraft und Geschicklichkeit als auch in der Ausdauer. Viele kleine Narben an ihrem Körper zeugten von diversen Einsätzen. Sie schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse und ging weiter den Flur entlang zum Zimmer, wo ihre Positronik stand. Als sie eintrat, druckte die Positronik gerade alle Informationen auf Folien aus. Sie nahm die Folien und überflog den Auftrag. ‚Eine Frau und ihr Kind‘ sollten auf Varynkor liquidiert werden. ‚Die Frau war eine Modedesignerin in Varynkor-Etset, 30 Vothars alt, das Kind vier Vothars. Das Kind lebte aber nicht bei der Frau, sondern bei einer Kinderfrau‘. Sie las weiter: ‚Auftragserledigung innerhalb eines Vothan; die Honorarvergütung betrug 450.000 Chronners, abzüglich 15% Vermittlungsgebühr. Und das ganze sollte wie ein Unfall aussehen.‘ Sie schürzte die Lippen. Wann würde endlich einmal ein Auftrag eingehen, wo sie selbst die Todesart bestimmen konnte? Sie „liebte“ es, jemanden beim Sterben in die Augen sehen zu können. Sie hatte dann immer das Gefühl, die Seele zu sehen, wenn sie den Körper verließ und die Augen brachen. Aber sie wischte gleich darauf den Gedanken zur Seite. Auftrag war Auftrag! Und sie hatte schon einige Zeit keinen Auftrag mehr erhalten. Es lag auch ein Bild der Frau vor, allerdings nicht von dem Kind. Und die Adressen, wo sie das Kind vorfinden würde wie auch die Privat- und Geschäftsadresse der Frau, einer gewissen Sidona Ferinei.
„Positronik, wie weit ist Varynkor entfernt und wie lange dauert ein Direktflug?“ fragte sie die Positronik.
„Entfernung beträgt 2.711 Lichtjahre. Zwei Pragos bei Flug der normalen Transitrouten“, erwiderte die Positronik.
Sie dachte nach. Heute war der 12. Prago to Tarman. Zwei Pragos Flug sowie ein Prago, um ihre Spuren zu verwischen. Außerdem noch einige Pragos Aufenthalt auf Varynkor, um sich mit den Gegebenheiten vertraut zu machen und alles vorzubereiten. Überschlagsmäßig kam sie auf nicht ganz einen Berlenprag, den sie einkalkulieren musste. Also hatte sie noch genügend Zeit.
Sie warf einen Blick auf den Kalender ihrer Vottan und sagte: „Positronik, reserviere mir auf Varynkor für den 26. Tarman in der Nähe des Zivilraumhafens ein Hotelzimmer mittlerer Preisklasse unter dem Namen ‚Anyar Omnydan‘. Aufenthalt 12 Pragos!“
„Reservierung wird gestartet“ antwortete die Positronik.
Während sie sich vom anstrengenden Training erholte und über den Auftrag nachdachte, warf sie einen Blick aus dem Fenster. Hier, auf diesen jungen, wilden, namenlosen Planeten hatte sie ihr Domizil aufgeschlagen. Neben ihrer Wohnkuppel stand ihre alte Privatjacht, alles durch einen Energieschirm geschützt. Keine 100 Quars weiter begann der Urwald. Sie überlegte, ob sie nicht später nochmals auf die Jagd gehen sollte, nur mit einem Vibratormesser sowie mit Pfeil und Bogen bewaffnet.
* * *
26. Prago to Tarman
Die kleine Privatjacht war im Landeanflug. Auch wenn das Raumschiff alt war und man die vielen Vothars an seiner zernarbten Oberfläche erkennen konnte, so war es doch ausgestattet mit modernster Technik. So war es ihr möglich, ohne Besatzung das Schiff zu steuern. Sie saß im einzigen Kontursessel in der Zentrale und beobachtete das Landemanöver. Für diesen Auftrag hatte sie ihr Aussehen verändert: sie sah jetzt aus wie jede gewöhnliche Arki, weiße, schulterlange Haare, rote Augen und bekleidet hatte sie sich nach dem derzeitigen Modetrend. Und sollte sie, aus welchen Gründen auch immer, genauer überprüft werden, so hatte sie eine entsprechende Vergangenheit vorzuweisen: als moderne Kunsthändlerin führte sie im Schiff diverse Kunst- und Gebrauchsmaterialien mit sich. Ihr letzter Einkauf, um die Illusion einer Kunsthändlerin aufrecht zu erhalten, hatte sie nach Zalit geführt. Dort war sie einem örtlichen Händler begegnet, der ihr verschiedenste Waren als Muster angeboten hatte, u.a. auch aufblasbare weibliche Plastikpuppen. Sie hatte innerlich den Kopf geschüttelt, als der Händler ihr diese Plastikpuppen feilbot. Wie krank musste ein Zaliti sein, der anstatt in diverse Etablissements zu gehen auf diese Plastikpuppen zurück zugreifen musste? Aber sie hatte sich nichts anmerken lassen und sich stattdessen verstärkt für die anderen Produkte interessiert.
Ihre Gedanken kehrten in die Vergangenheit zurück. Als junges Mädchen war sie nach langem Martyrium zuhause ausgerissen. Ihr versoffener Vater hatte sie fast jeden Prago verprügelt und ihre Mutter hatte aus Angst vor ihm stillgehalten und nichts unternommen. Mehrere Vothars zog sie so von Planet zu Planet, von System zu System. Um sich am Leben zu erhalten, hatte sie in der Anfangsphase ihren Körper verkauft, später hatte sie gelernt, bei Glücksspielen zu betrügen. Irgendwann lernte sie einen älteren Arki kennen, und mit ihm das Geschäft des Mordens. Er bildete sie aus, brachte ihr bei, wie man schnell und effizient tötete. Sie hatte die Ausbildung aufgesogen wie ein trockener Schwamm, bis sie einen Punkt erreichte, an dem er ihr nichts mehr neues beibringen konnte. Von da ab durfte sie in seinem Beisein Aufträge, die er erhielt, für ihn erledigen. Nach einigen Vothars hatte sie soviel Chronners zur Seite gelegt, das sie sich selbständig machen konnte. Mit den Kontakten, mit denen sie bei ihrem Ausbilder in Berührung kam, war es ihr ein leichtes, sich in der Gilde der Attentäter zu etablieren. Selbst ihren Ausbilder…
Ein Signal ihrer Bordpositronik riss sie aus ihren Gedanken und sie konzentrierte sich wieder auf das Landemanöver. Sie sah bereits den Raumhafen und kurze Zeit später landete das Schiff, exakt geleitet vom Leitstrahl. Nachdem sie alle Bordsysteme auf Standby geschaltet hatte, orderte sie per Funk ein Gleiter-Taxi, stand auf und ging zur Schleuse. Als sie in der Schleuse ankam, aktivierte sie die KSOL ihres Reisekoffers und die Antigravvorrichtung der Schleuse und ließ sich dann vom Antigravfeld ihres Schiffes zur Landefläche schweben, während der Reisekoffer ihr in einem gewissen Abstand folgte. Unten angekommen, sandte sie von ihrem Armbandkommunikator ein Signal und kurz darauf erlosch das Antigravfeld und die Schleuse schloss und versiegelte sich. Während sie das gerufene Gleiter-Taxi bestieg und sich in Richtung Raumhafenverwaltung fliegen ließ, folgte der Reisekoffer dem Gleiter-Taxi.
‚Der erste Schritt war getan‘‚ jetzt folgte der zweite‘. Und das bedeutete, ohne Probleme durch die Raumhafenkontrolle zu kommen. Ihre Informationen hatten ausgesagt, das Varynkor ein relativ unbedeutender Planet war mit wenig Raumschiffsverkehr, erst durch die Gründung einer Faehrl vor einigen Vothars, die vom Imperator protegiert wurde, hatte Varynkor innerhalb der imperialen Flottenverwaltung etwas an Bedeutung gewonnen. Sie vermutete daher, dass in der Raumhafenverwaltung keine Roboter die Einreise- und Zollbearbeitungen durchführten. Sie holte aus einer Tasche ihres Anzugs eine kleine Phiole und betrachtete diese. Der Geruch dieses Parfüms war extrem süß und fast alle Arkii, die es riechen würden, hatten das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Zwar würde der Geruch nur wenige Palbertontas anhalten, aber sie hoffte, dass sie so schneller „durchgewunken“ wurde, ohne dass viele Fragen gestellt wurden. Aus einer anderen Tasche holte sie eine Injektionspistole mit dem Gegenmittel für das Parfüm. ‚Verdammte Araii. Jede Kleinigkeit ließen sie sich teuer bezahlen, sowohl das Parfüm als auch das Gegenmittel waren ein Vermögen wert‘. Mit einem verärgerten Gesichtsausdruck injizierte sie sich das Gegenmittel. Als sie wenige Augenblicke später sah, dass das Gleiter-Taxi gleich vor der Raumhafenverwaltung landen würde, öffnete sie den Verschluss der Phiole und sprühte sich mit diesem Parfüm intensiv ein.
* * *
Nachdem Charrut und Onista die Rohrbahn am Zivilraumhafen von Varynkor-Etset verlassen hatten, schwebten sie in einem Antigravfeld bis zur Erdoberfläche hinauf und betraten anschließend das Zubringerlaufband. Unterwegs auf dem Laufband, konnten sie die diversen Raumschiffe aller Größenordnungen beim Starten und Landen beobachten. Einmal deutete Onista auf eine Privatjacht, die in weiter Entfernung auf dem Landefeld stand und fragte: „Habt Ihr auch solch eine Jacht?“
Charrut musste schmunzeln, sah sich die Jacht an und erwiderte: „Ich will nicht angeben, aber ja, mein Vater hat auch eine Privatjacht. Allerdings wesentlich moderner als diese hier und in einem besseren Zustand. Für Geschäftsbeziehungen ist es einfach unerlässlich. Und bevor du weiterfragst: die Sektorflotte von Elimor besteht aus über eintausenddreihundert Schiffen aller Größenordnungen.“
Hand in Hand sprangen Onista und Charrut mit einem leichten Schritt im zentralen Verteilerpunkt des Zivilraumhafens vom Zubringerlaufband. Hier führten in verschiedene Richtungen weitere Laufbänder zu den jeweiligen Andockbuchten der Raumschiffe.
„Weißt du, in welche Richtung wir gehen müssen?“ fragte Onista.
„Nein, nicht genau. Das Abflugfeld nach Harkon ändert sich ständig. Aber da drüben“ und Charrut zeigte auf eine Holoprojektion, „werden alle ankommende und abfliegende Schiffe angezeigt. Dort sollten wir die Informationen finden.“ Gemeinsam schlenderten sie zu der Holoprojektion und sahen sich die Abflugtermine an.
Während sie die Holoprojektion betrachteten, um ihr abfliegendes Schiff zu finden, stieg ein markant süßer, intensiver Parfümgeruch in Charruts Nase, als eine Frau dicht hinter ihnen beiden vorbei ging, gefolgt von einem Reisekoffer. Für einen Moment hatte er das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Charrut sah der Frau, einer Arki, kurz hinterher und wunderte sich, dass eine Frau solch eine aufdringliche Note bevorzugte. Innerlich schüttelte er den Kopf. Aber gleich darauf hatte er die Frau mit ihrem extrem süßlichen Parfüm vergessen, da Onista zu ihm sagte: „Das müsste das Schiff sein“. Er wandte sich wieder um, sah sich den Hinweis an, zu dem Onista auf dem Holoschirm deutete und erwiderte: „Ja, du hast Recht. Dann lass uns gehen!“