Tontas später weckte ihn das Anruf-Signal der Wohnungs-KSOL. Noch etwas müde und verschlafen stand er auf und setzte sich wieder in den Sitz vor das Terminal. Ein Blick auf seine Vot sagte ihm, dass mittlerweile fast sechs Tontas vergangen waren, seit er den ersten Kontakt hatte. Er drückte die blinkende Taste, um den Anruf anzunehmen. Wieder waberte über das Display Rauch oder schwerer Nebel. Und wieder war die positronisch veränderte Stimme zu hören, die ihm mitteilte:

„Auftragnehmer steht zur Verfügung: viele Votharii Einsatzerfahrung, Erfolgsquote 98%, Auftragserledigung innerhalb von zwei Berlenprags. Kosten: 700.000 Chronners.

Dohan holte tief Luft. Das überstieg die Geldsumme, die er von Zerl de Enash erhalten hatte, bei weitem.

Er schüttelte den Kopf und erwiderte: „Diese Geldsumme steht nicht zur Verfügung. Haben Sie eine preiswertere Alternative?“

„Warten Sie“, erwiderte die verfremdete Stimme. Einige Palbertontas vergingen, bis sich die Stimme wieder meldete.

Alternative: junges Nachwuchstalent. Einige Votharii Erfahrung, Erfolgsquote 89%, Auftragserledigung innerhalb eines Vothanii. Kosten: 450.000 Chronners.

„Einverstanden“ sagte Dohan ohne zu zögern.

Er vertraute darauf, dass auch der Nachwuchskiller erfolgreich sein würde. Das Nachwuchstalent würde alles daran setzen, keinen Fehler zu machen. Seine Reputation in den einschlägigen Kreisen würde darunter leiden und die Aufträge ausbleiben.

„Zwei Drittel des Honorars sind sofort zu überweisen, der Rest nach Auftragsabschluss. Mit der Überweisung wird der Auftrag angenommen. Zusätzlich sind alle relevanten Informationen, die die Zielpersonen betreffen, mitzuteilen.“

Bevor Dohan noch etwas sagen konnte, verschwand das wabernde Nichts vom Monitor und auf dem Display stand zu lesen: „Datentransfer bereit“. Dohan zog mit einem leichten Seufzer den ID-Chip aus seiner Hosentasche und führte den Chip in das Lesegerät der Wohnungs-KSOL ein. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Vom Chip würde jetzt das Geld abgebucht werden. Nachdem das Geld überwiesen wurde, tauschte er den Chip gegen den anderen, der alle Informationen enthielt, aus und alle Informationen, die er von dieser Essoya hatte, wurden übermittelt.

Kurz darauf erlosch die Anzeige am Display. Zufrieden mit sich stand Dohan langsam auf. Er hatte den Auftrag erteilt und musste nur noch den erfolgreichen Abschluss abwarten, bevor er Zerl de Enash die Erfolgsmeldung mitteilen konnte. Er nahm die Chips an sich, überprüfte den Raum, ob er nichts von sich hatte liegen lassen. Anschließend gab er der Wohnungs-KSOL den Auftrag, den Raum mit Hilfe von Reinigungs-Roboter zu reinigen und verließ die Wohnung.

Als er wieder zum Gleiterlandeplatz hinaufschwebte, war ein neuer Prago angebrochen. Die Sonne würde jeden Moment am Horizont aufgehen. Er bestieg seinen Gleiter und gab der Positronik den Befehl, ihn zu sich nach Hause zu fliegen.

* * *

Nach einigen Palbortontas erreichte Charrut sein Quartier. Unterwegs war er einigen Thos’athor begegnet, meist aus niedrigeren Ausbildungsstufen als er selbst. Die entrüsteten Blicke, die sie ihm zuwarfen, als er mit der bunt zusammengestellten Kleidung durch die Akademiegänge lief, ignorierte er geflissentlich.

Kaum war er in sein Quartier eingetreten, riss er sich das Oberteil der Ausgehuniform vom Leib und warf es in den Abfallvernichter. Kurz darauf folgte dem Oberteil die Ersatzhose. Er ging in die Hygienekabine und duschte ausgiebig. Während er unter der Dusche stand, mit den Händen an der Wand abgestützt, und das heiße Wasser über seinen Körper lief, dachte er nach. Onista hatte ihn belogen. Vor Beginn der Modenschau hatte sie ihm gesagt, dass dieser Pergar nur ein Freund sei, und als Pergar sie überfiel, hatte dieser in seiner Wut gesagt, das sie sein Mädchen ist. Konnte er ihr noch vertrauen? Er wurde bei dem Gedanken an ihre Lüge wütend. Seine Hände hatten sich unbewusst zu Fäusten geballt. Aber er musste sich nach einiger Zeit eingestehen, dass zwei konträre Ansichten in ihm aufeinander prallten: sein Verstand und sein Gefühl. Und sein Gefühl hatte ihn vorhin Onista doch umarmen lassen. Und wenn ihn sein Gefühl nicht täuschte, liebte er sie. ‚Und wenn man jemanden liebt, dann kann man auch verzeihen‘, sagte er sich. Mit dieser Erkenntnis ließ er sich vom warmen Luftstrom der Hygienekabine trocknen und legte sich anschließend zum Schlafen auf sein Bett.

Als Charrut am nächsten Morgen in die Messe kam, ging er zielstrebig zu dem Tisch, der im Laufe der Votharii zu ihrem Stammplatz geworden war. Als er näher kam, sah er, dass bereits Ellie und Horta anwesend waren und gerade von den Robots das bestellte Frühstück erhielten. Er begrüßte sie und setzte sich ihnen gegenüber. Während er noch sein Frühstück an dem Eingabegerät auswählte, bekam er mit, das sich die beiden über ihren vorletzten Einsatz im Parsav-System unterhielten. Charrut verkniff sich eine Bemerkung dazu; der unangenehme Zusammenprall zwischen ihm und Horta, als er ihr helfen wollte nach einem Sturz im Fluss wieder auf die Beine zu kommen würde sicherlich noch eine Zeitlang Gesprächsstoff liefern. Wenn er sich allerdings an Ariols ‚Bestrafung‘ während des Einsatzes erinnerte, konnte er ein Grinsen nicht verbergen. Kurze Zeit später tauchten auch Tranthar, Kerasor und Etzor auf, grüßten die bereits Anwesenden und setzten sich. Während sie gemeinsam frühstückten fragte Ellie mit fast vollem Mund: „Du siehst aber noch ziemlich müde aus, Charrut. War wohl eine kurze Nacht, oder?“ Am Gesichtsausdruck und am Tonfall merkte Charrut, das Ellie wieder einmal der Schalk im Nacken saß. Bestätigend nickte er und erwiderte ernst: „Ja, das kann man sagen. Ich bin erst früh am Morgen aus einem Medik-Center in Varynkor-Etset entlassen worden und musste dann noch zu Jewon de’len Carnat“. Die Gespräche ihrer Gruppe verstummten und jeder sah ihn gespannt an. Charrut seufzte und fing dann an, das Abenteuer des gestrigen Abends zu erzählen. Nachdem er seine Geschichte mit den Worten beendete „…und nun habe ich einen Berlenprag Ausgangssperre und darf jede freie Tonta Dagor trainieren“, fingen die anderen an, Kommentare abzugeben. Von Etzor hörte er nur ein „Du und deine Frauengeschichten“, während Ellie und Kerasor ihn in seiner Handlung bestätigten. Nur von Tranthar kam kein Kommentar. Ihr Verhältnis war, nachdem er sich von Auris getrennt hatte, angespannt. Charrut wusste, das Tranthar Auris bewunderte, vielleicht sogar mehr. Aber er verstand nicht, warum Tranthar nicht zwischen ihrer Freundschaft und der Beziehung Auris zu ihm unterscheiden konnte. Nach einigen Palbertontas der Diskussionen brachen sie alle gemeinsam zur ersten Schulungstonta auf. Während sie die Messe verließen, hielt Charrut Kerasor am Arm fest, bis sie beide am Ende ihrer Gruppe waren. „Du musst mir ein Gefallen tun. Rufe bitte Onista an und sage ihr, dass wir uns erst wieder in einem Berlenprag sehen können.“ Kerasor nickte zustimmend und erwiderte: „Mache ich!“

„Ich übersende dir den Rufcode ihrer Wohnung“, sagte Charrut und tippte einige Zahlenkombinationen auf seinen Armbandkommunikator ein. Kurz darauf ertönte von Kerasors Armbandkommunikator das Empfangssignal.

* * *

Nach der letzten Schulungstonta machte sich Charrut auf den Weg zum Trainingsraum. Heute sollte seine letzte Dagor-Trainingseinheit sein, wenn er sich richtig erinnerte. Die Pragos der Berlenprag waren zum Schluss wie im Flug vergangen, nicht zu vergleichen mit den ersten Pragos. Es war hart gewesen. Am Anfang des ‚Sondertrainings‘ war er regelrecht verprügelt worden. Es verging kaum eine Tonta, wo er nicht am Boden lag oder Schläge einstecken musste, dass er dachte, er wäre ein blutjunger Anfänger. Charruts Körper war von vielen Blutergüssen übersät. Aber das Training hatte ihn besser, schneller und geschickter werden lassen. Nach dem ersten Prago war er so niedergeschmettert gewesen, dass er gegenüber Dor ter’len Gelin schon fast Hass empfunden hatte. Aber Dor hatte ihm gleich am Anfang gesagt, dass er den Auftrag bekommen hatte, keine Rücksicht zu nehmen, und das wolle er auch durchziehen. Als er in den Trainingsraum kam, war Dor ter’len Gelin bereits anwesend. Aber im Gegensatz zu den letzten Pragos trug er nicht den traditionellen Dagor-Trainingsanzug, sondern seine übliche Uniform. Charrut war verwundert. Und bevor er fragen konnte, warum sein Ausbilder nicht entsprechend gekleidet war, kam ihm Dor ter’len Gelin zuvor.

„Die heutige Trainingseinheit, die den Abschluss Ihres ‚Sondertrainings‘ markiert, wird auf Wunsch von Jewon de’len Carnat nicht von mir durchgeführt, sondern von jemand anderem!“. Mit seinen letzten Worten öffnete sich auf der anderen Seite des Trainingsraum eine verborgene Tür und Anowi Vrey trat herein, bekleidet mit dem Dagor-Anzug.

Charrut war leicht überrascht, sie zu sehen. Mit ihr hatte er jetzt nicht gerechnet. Aber andererseits durfte es für ihn keinen großen Unterschied machen, ob er den Abschluss seines ‚Sondertrainings‘ bei Dor oder der Assistentin von Jewon de’len Carnat, Anowi Vrey, durchführen musste.

Anowi Vrey nahm ihm gegenüber, in ungefähr drei Quars Abstand, Aufstellung und sah ihn abschätzend an.

„Sind Sie sicher, Dor, das Charrut del Harkon jetzt den Anforderungen genügt?“

„Ich habe ihm alles gezeigt und trainiert, was mir in der Kürze der Zeit möglich war“, erwiderte Dor ter’len Gelin.

„Wir werden sehen“, sagte Anowi Vrey kalt.

Und an Charrut gewandt sagte sie: „Nehmen Sie Aufstellung!“

Anowi und Charrut nahmen Aufstellung und verneigten sich. Charrut und Anowi fixierten sich mit ihren Augen, warteten gegenseitig darauf, dass der andere angriff. Übergangslos, praktisch aus dem Stand heraus, griff Anowi an. Charrut wurde mit einer Flut von Schlägen und Tritten eingedeckt und musste sich mit der Rolle des Verteidigers begnügen. Er wurde immer weiter nach hinten gedrängt, so dass er keine Zeit fand, selbst anzugreifen. Ein heftiger Tritt von Anowi traf und trotz seiner Abwehrhaltung stürzte er zu Boden. ‚Laß dich nicht von ihr provozieren‘, ging es ihm durch den Kopf. ‚Wenn du vor Zorn angreifst, wird sie es als Schwäche auslegen. Unterdrücke deinen Zorn und fokussiere ihn in einen Angriff‘. Er stand wieder auf und, tatsächlich, so wie er es gedacht hatte, griff sie gleich wieder an. Darauf hatte er gewartet. Zum Angreifen musste sie ihre Deckung öffnen. Er sah ihren Bewegungsablauf und ahnte den Fußtritt. Als sie ihr linkes Bein zum Tritt hob, griff er an. Er bewegte sich etwas zur Seite und trat dann selbst zu. Sein Tritt traf sie am Becken. Sie wurde regelrecht 2 Quars nach hinten geschleudert und stürzte, da sie wegen ihres geplanten Angriffs nur auf einen Bein gestanden hatte. Sie kam gleich wieder hoch, aber in ihren Augen konnte er Anerkennung und Respekt sehen. Angriff und Abwehr wogten Palbertontas zwischen ihnen hin und her, aber immer wieder musste er den Kürzeren ziehen, immer wieder landete er auf der Matte. Er hatte nicht gedacht, das Anowi eine so große Meisterin im Dagor sein würde. Sein Zorn, den er am Anfang empfunden hatte, war einem anderen Gefühl gewichen, dem Gefühl des Versagens! Er hasste es, zu versagen, zu verlieren. Deswegen war er nicht auf die Akademie gekommen. Nein, er wollte unter den Besten sein, nicht irgendwo im Mittelmaß. Mittlerweile atmeten beide schwer, der Schweiß lief in Strömen über ihre Gesichter.

„Genug!“ sagte Anowi heftig atmend. „5 Palbertontas Pause. Danach will ich sehen, wie sie mit den Dagor-Stock kämpfen können.“

Charrut war froh über diese Pause. Er war erschöpft und ausgelaugt und konnte eine Verschnaufpause gut gebrauchen. Ja, er spürte jeden Schlag und Tritt von ihr, aber das ‚Sondertraining‘ hatte ihn nicht nur geschickter und besser als davor agieren lassen, sondern auch seinen Körper war abgehärteter wegen der vielen Schläge und Tritte, die er im Training von Dor ter’len Gelin erhalten hatte. Trotzdem kehrten die Schmerzen wieder zurück. Er setzte sich in eine Ecke des Trainingsraums, schloss die Augen und versuchte sich mit Hilfe der Dagor-Meditation zu entspannen. Nach fünf Palbertontas erklang ein leiser Gongschlag, der das Ende der Pause verkündete. Charrut stand langsam auf und sah wie Anowi Vrey gerade einen Dagor-Stock von Dor überreicht bekam. Langsam und schweren Schrittes ging er zu Dor und ließ sich ebenfalls einen Dagor-Stock geben. Dor sah in verwundert an, hatten sie doch mehrere Pragos hintereinander mit den Dagor-Stöcken gekämpft. Dor konnte es nicht glauben, dass sein Schüler jetzt schon schlapp machte.
„Sie schaffen es“, sagte Dor leise zu Charrut, während er ihm den Dagor-Stock übergab. „Halten Sie durch!“