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Sidona ging langsam zum Fenster und sah hinunter, um zu sehen, wann ihre Schwester das Gebäude verließ. Erst als sie sah, wie Onista auf das Laufband Richtung Rohrbahn sprang, erlaubte sie sich, ihre Lippen zu kräuseln. ‚Wie einfältig, dumm und naiv muss Onista sein, um auf die Geschichte hereinzufallen?‘ fragte sie sich. Ihr Gesicht nahm einen hinterhältigen Ausdruck an. ‚Sie wird immer nur eine unbedeutende Rolle spielen. Aber ICH nicht! ICH will weiterkommen!‘ ging es ihr durch den Kopf, während sie unbewusst ihre Hände zu Fäuste ballte. Dass sie es damals auf eine Schwangerschaft angelegt hatte, war der Preis, den sie zahlen musste. Und seither musste Shyban de Enash dafür zahlen. Vothani für Vothani. Sie verachtete ihn. Sie verachtete diesen Adligen, weil er nicht Manns genug war, zu seinem „Fehltritt“ zu stehen, weder bei seinen Eltern noch ihr gegenüber. Nein, er war damals fast angekrochen gekommen, hatte ihr Cronners angeboten und sie gebeten, den Mund zu halten. Seither erpresste sie ihn, immer mit dem Hinweis, was wohl passieren würde, wenn sie mit dem Kind eines Pragos im Khasurn auftauchen würde. Das Kind, dass sie damals ausgetragen hatte, hatte sie gleich nach der Geburt abgeschoben zu einer Amme. Jeden Vothani ließ sie ein „Betreuungsentgeld“ über diverse Zwischenkonten überweisen und erhielt einmal im Vothar ein Bericht über das Kind. Aber ansonsten interessierte es sie nicht. Es wäre nur hinderlich gewesen in ihren Plänen. Während sie wieder zu ihrem Schreibtisch ging, schüttelte sie den Kopf: ‚Arme Onista, sie glaubt wirklich noch an Liebe‘.

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Während der Fahrt mit der Rohrbahn drehten sich Ihre Gedanken immer wieder um ihre Schwester auf der einen Seite und Charrut auf der anderen. Es tat ihr leid, was Sidona durchgemacht hatte. Es musste schrecklich für sie gewesen sein, alles durchzustehen: alleine, ohne Familie, das verlorene Kind… Bei diesen Gedanken überkam sie eine nie gekannte Traurigkeit. Dann dachte sie wieder schnell an Charrut, um nicht in Schwermut zu versinken. Die kurze Zeit, die sie bisher mit Charrut verbracht hatte, gehörten für sie eindeutig zu glücklichsten Zeiten ihres Lebens.

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zur gleichen Zeit auf Planet Honroth – Khasurn de Enash

Zerl de Enash hatte schon den ganzen Vormittag das unbestimmte Gefühl, dass heute sich etwas schreckliches ereignen würde. Er konnte es nicht in Worte fassen, aber es war da, dieses belastendes Gefühl.

„Auf deine alten Pragos wirst du noch wunderlich“, versuchte er sich selbst einzureden, dass an diesem Gefühl nichts dran war, es beiseite zu wischen. Um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen, vertiefte er sich noch intensiver in seine Arbeit: Berichte lesen, Genehmigungen erteilen oder verweigern; die ganze Palette an Verwaltungsarbeiten, die ein Khasurnoberhaupt erledigen musste.

Tontas später trat der Stellvertreter seines Sicherheitschefs, Dohan Tanoth, in sein Arbeitszimmer und blieb wartend vor seinem Schreibtisch stehen. Als Zerl nach einigen Augenblicken aufsah, war es für Dohan die Erlaubnis, zu sprechen.

Zdhopanda, wir haben ein Problem!“

Zerl sah in überrascht an, lehnte sich in seinem Sessel zurück und gab Dohan mit einer Geste zu verstehen, sich zu setzen und fortzufahren.

Dohan setzte sich in den Sessel vor Zerls Schreibtisch, sah auf seine Mikropositronik und sagte:

Zdhopanda, die interne Revision hat herausgefunden, dass dem Vermögen Eures Khasurns über einen Zeitraum von viereinhalb Votharii mehr als 450.000 Cronners entwendet worden sind.“

Zerl war überrascht. ‚450.000 Cronners. Und wegen einer solchen geringen Summe, verglichen mit dem Khasurnvermögen, belästigte ihn Dohan Tanoth?‘ ging es Zerl de Enash durch den Kopf. Darum sagte er: „Dann findet den Verantwortlichen und stellt in vor das Gericht!“. Er wollte sich schon wieder seiner Arbeit widmen, aber Dohan machte keine Anstalten, zu gehen.

Zerl blickte Dohan an. „Noch etwas?“ fragte er.

„Wir wissen bereits, wer der Schuldige ist, Zdhopanda. Es wird Euch nicht gefallen. Es ist Euer Sohn Shyban.“

Cerl wurde bleich im Gesicht. „Unmöglich! Ihr müsst Euch irren“, brachte er tonlos hervor.

„Es tut mir leid, Zdhopanda! Aber ich habe alle Informationen doppelt und dreifach recherchieren lassen.“

Zerl benötigte einige Augenblicke, um die Informationen zu verarbeiten. Sein einziger Sohn hatte ihn um Geld betrogen. Dass er nicht zu ihm kam, wenn er in Schwierigkeiten steckte, konnte nur bedeuten, dass die Probleme, die sein Sohn hatte, bedeutend waren.

„Warum? Wie? Wofür?“ brachte er krächzend hervor.

Dass, was er seinem Khasurnoberhaupt jetzt mitteilen musste, war auch für Dohan nicht einfach. Er versuchte es so zu formulieren, das Zerl de Enash selbst zur Erkenntniss kam.

„Wir konnten den Weg des Geldes zurück verfolgen. Über diverse Zwischenkonten, getarnt als Sonderausgaben, gelangt es nach Varynkor. Auch dort wird es mehrmals umgebucht, bis es bei einer Frau landet, einer gewissen Sidona Ferinei, eine Essoya. Jeden Vothan wird eine Summe von 10.000 Cronners an diese Frau überwiesen. Und wir konnten herausfinden, das ein Teil des Geldes auch jeden Vothan an eine Kinderfrau weitergeleitet wird.“

Zerl glaubte nicht, was er hörte. ‚Varynkor, eine Essoya namens Sidona Ferinei‘ schoss es ihm durch den Kopf. ‚Ja, sein Sohn war damals auf der Akademie gewesen‘, erinnerte er sich. Was konnte für seinen Sohn so schlimm gewesen sein, dass er jeden Vothan 10.000 Cronners überwies? Er wurde erpresst‘. Eine andere logische Erklärung fiel ihm nicht ein. ‚Mit was konnte diese Frau seinen Sohn vothariilang erpressen? Ihm kam ein schlimmer Gedanke. Nein, er wollte erst gar nicht daran denken…‘

Zerl stützte seinen Kopf schwer in seine Hände und fragte halblaut zwischen den Fingern hervor: „Erpresst sie ihn mit dem Kind?“

Dohan war erleichtert. Er hatte seinem Herrn einige Hinweise und Andeutungen gegeben und Zerl de Enash war scharfsinnig genug gewesen, die richtigen Schlüsse selbst zu ziehen, ohne dass er etwas sagen musste.

Zdhopanda, darüber liegen keine Informationen vor. Aber unter diesen Umständen… bleiben nicht allzu viele andere Möglichkeiten.“

Zerl de Enash überlegte kurz, bevor er sagte:

„Klären Sie diesen Punkt, ich brauche Gewissheit! Aber diskret.“

„Jawohl, Hochedler“, erwiderte Dohan Tanoth, stand auf und verließ das Arbeitszimmer von Zerl de Enash.

Nachdem Dohan das Zimmer verlassen hatte, brach die Wut aus Zerl hervor. Er schlug mit der Faust so stark auf seinen Schreibtisch, dass seine Hand schmerzte. Das stachelte Zerls Zorn über seinen Sohn noch mehr an, so dass er mit einer Handbewegung seinen halben Schreibtisch leerfegte und die Schreibutensilien und etliche Berichte auf den Boden fielen. ‚Wenn das bekannt wird. Nicht auszudenken! Der Makel würde ewig auf seinem Khasurn liegen, dass sein Sohn mit einer Essoya ein Verhältnis gehabt und sie von ihm ein Kind bekommen hatte. Und nicht nur das. Andere Khasurns würden einer Ehe mit seinem Sohn von vornherein ablehnend gegenüber stehen. Seine Planungen für den zukünftigen Weg seines Khasurns würden vollkommen illusorisch.‘ Zerl de Enash versuchte sich zu beruhigen. ‚Denke in Ruhe darüber nach, was getan werden muss‘ rief er sich zur Ordnung.

Er drückte eine Taste an seinem Schreibtisch und auf dem Monitor vor ihm erschien kurz darauf das Abbild seiner Assistentin D’emia. Bevor sie etwas sagen konnte, befahl er ihr mit verärgerter Stimme: „Ich bin heute für niemanden mehr zu sprechen, ausgenommen Dohan!“ und beendete das Gespräch.

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Viele Tontas vergingen, bis Dohan wieder im Arbeitszimmer von Zerl de Enash erschien. Er schloss die Tür und ging in Richtung von Zerls Arbeitstisch, von wo aus ihn Zerl bereits erwartungsvoll ansah und mit einer einladenden Geste auf den Sessel vor seinem Schreibtisch deutete. Dohan setzte sich und sah Zerl fragend an. Zerl gab ihm ein aufmunterndes, zustimmendes Zeichen.

„Es ist so, wie Ihr vermutet, Zdhopanda. Diese Essoya ist von Eurem Sohn schwanger geworden und hat ein Kind zur Welt gebracht. Die Frau entwirft Freizeitkleidung und hat wohl mit der Erpressung ein kleines Modeunternehmen auf Varynkor aufgebaut.“
Zerl sah Dohan intensiv an und fragte: „Wer weis alles über diese Vorgänge bescheid?“