„Wollen Sie eine Nachricht hinterlassen?“ fragte die Wohnungs-KSOL. „Ja, das will ich“, erwiderte Onista.

„Aufzeichnung läuft“, meldete die Wohnungs-KSOL.

„Pergar, ich bin es, Onista. Ich sage es frei heraus: ab sofort gehen wir beide getrennte Wege. Es war mein Fehler, dass ich Dir nicht gesagt habe, dass zwischen uns Schluss ist. Du wolltest Charrut töten, obwohl er mit der Angelegenheit noch am wenigsten zu tun hatte. Das ist unverzeihlich! Mehr habe ich Dir nicht mehr zu sagen.“

Onista beendete die Verbindung. Sie spürte, dass sie sich etwas aufgeregt hatte, während sie die Botschaft an Pergar der Wohnungs-KSOL vorgetragen hatte.

Sie ging zur Essenzubereitungseinheit und ließ sich ein Glas kaltes Wasser geben, das sie in einem Zug leerte. Gleich darauf fühlte sie sich entspannter. Sie atmete einige male durch, stellte das Glas ab und ging zum Ausgang. Sie wollte gerade die Wohnungstür öffnen, als ihre Wohnungs-KSOL einen Anruf meldete. ‚Charrut. Bitte, lass‘ es Charrut sein…‘ wünschte sie sich, während sie kehrt machte und mit schnellen Schritten zum Kommunikationsterminal eilte.

„Anruf annehmen“, befahl sie der KSOL.

Blitzartig baute sich ein Bild auf und zeigte einen Fremden, einen Bras’cooi, aber nicht Charrut. Etwas enttäuscht fragte sie:

„Ja?“

„Mein Name ist Kerasor nert Tamanar. Ich habe eine Botschaft von Charrut für Sie. Sie lautet: Wir sehen uns erst wieder, wenn eine Berlenprag vergangen ist.“

Onista war bestürzt. ‚Eine Berlenprag will sich Charrut nicht mehr bei mir melden, mich nicht mehr sehen?‘ fragte sie sich.

Kerasor war die Bestürzung, die sich deutlich im Gesicht der Frau wiederspiegelte, die Charrut als Onista Ferinei bezeichnet hatte, nicht entgangen. Darum fügte er noch hinzu:

„Charrut darf sich nicht melden. Er hat eine Berlenprag Ausgangssperre, und dazu gehört auch ein externes Kommunikationsverbot“.

Onista fühlte Erleichterung. Ihre Befürchtung, Charrut hätte doch an ihrer Liebe zu ihm gezweifelt, war verflogen. Sie bedankte sich bei diesem Kerasor nert Tamanar für die Nachricht und beendete das Gespräch. Sie seufzte in sich hinein. ‚Eine Berlenprag…‘

Nach einigen Augenblicken ging sie wieder zur Wohnungstür und verließ endgültig ihre Wohnung. Sie nahm wieder den Weg, den sie vor vielen Tontas gemeinsam mit Charrut genommen hatte, um zu ihrer Schwester zu gelangen.

Als sie den Glasbau erreichte und das Gebäude betrat, sah sie diverse Reinigungsroboter die Empfangshalle reinigen. Wie in den letzten drei Votharii nahm sie den Weg, der sie zum Büro ihrer Schwester führte. ‚Wie oft bin ich schon hierher gekommen?‘ fragte sie sich. ‚Ungezählte male, aber heute würde der Besuch bei ihrer Schwester eine andere Dimension, eine andere Qualität haben‘, beantwortete sie ihre eigene Frage. Kurz darauf stand sie vor dem Büro und trat ein. Sidona saß fast verborgen hinter einem Monitor. Bei ihrem Eintritt blickte sie auf und warf Onista ein Lächeln zu.

„Hallo Schwester! Wie geht es Dir?“ fragte sie und stand dabei auf, ging um ihren Schreibtisch herum auf Onista zu.

Onista legte den Kopf etwas schräg, fixierte ihre Schwester und erwiderte mit einem Tonfall, dem man anmerkte, dass in ihm unterdrückte Wut mitschwang: „Mir? Mir geht es jetzt wieder gut“.

Sidona war inzwischen bis an Onista herangetreten. Sie merkte an dem Tonfall, dass etwas nicht stimmte; sie blickte ihre Schwester mit einem fragenden Gesichtsausdruck an.

„Was meinst Du mit ‚Mir geht es jetzt wieder gut‘?“

„Hast Du Pergar eine Einladung zur Modenschau gegeben?“ fragte Onista zurück, ohne auf die Frage ihrer Schwester einzugehen.

„Ja. Vor einigen Pragos habe ich ihm eine Einladung zukommen lassen. Du weist doch, dass er sich schon immer für meine Entwürfe interessiert hatte.“

„Aber dass ich mich von ihm getrennt habe und jetzt mit Charrut zusammen bin, daran hast Du nicht gedacht, oder?“

„Ich dachte, das wär alles geklärt?“ erwiderte Sidona, die merkte, dass Onista, so wie sie dastand, ihre Wut unterdrücken musste.

„Nichts war geklärt!“ erwiderte Onista heftig. „Warum hast Du mich nicht vorher gefragt? Gestern Abend auf dem Weg zu mir hat uns Pergar mit einer Waffe überfallen. Es hätte nicht viel gefehlt, und Charrut wäre tot gewesen. Hast Du gehört? Tot!“. Die letzten Worte brachen sturzflutartig aus Onista heraus. Sie musste an sich halten, um nicht Sidona ins Gesicht zu schlagen.

Sidona war leichenblass geworden und setze sich schwer in einem Stuhl vor ihrem Schreibtisch.

„Das, das habe ich nicht gewollt“ erwiderte Sidona tonlos und mit schwacher Stimme. „Ich wollte doch nur, dass Du nicht das selbe Schicksal erleidest wie ich vor einigen Votharii.“

Onista glaubte, sich verhört zu haben. „Was hast Du gesagt?“ fragte sie noch wütender zurück. „Du hast das alles geplant gehabt? Das Pergar mich mit Charrut antrifft?“ Sie stand jetzt dicht vor Sidona, und ihre angespannte Haltung deutete darauf hin, dass sie jeden Augenblick explodieren würde.

Sidona fing an zu weinen und legte ihr Gesicht in beide Hände. Während sie weinte, schluchzte sie: „Ich habe es doch nur gut für Dich gemeint. Du solltest doch nicht so wie ich von einem Adligen sitzen gelassen werden: alleine und schwanger“.

Onista traute ihren Ohren nicht. Was erzählte ihre Schwester ihr? Dass sie einmal mit einem Adligen zusammen gewesen war? Dass sie schwanger gewesen war? Davon wusste sie ja gar nichts. Der Zorn, den sie auf ihre Schwester verspürt hatte, war fast verflogen, in den Hintergrund getreten ob dieser Eröffnung. Langsam kniete sie sich vor ihrer Schwester nieder und nahm Sidona in den Arm. Nach einer Weile, als sich Sidona wieder beruhigt und aufgehört hatte, zu weinen, entließ sie ihre Schwester aus der Umarmung und setze sich auf einen anderen Stuhl.

„So, jetzt erzähle mir, was damals vorgefallen ist. Ich weis gar nichts davon!“

Sie sah, wie Sidona mehrmals zum sprechen ansetzte und dann doch nichts herausbrachte. Erst beim dritten Versuch gelang es Sidona, über ihren Schatten zu springen und zu erzählen.

„Vor ungefähr viereinhalb Tai-Votharii lernte auch ich, sowie Du jetzt, einen Adligen von der Faerl kennen. Damals war ich noch jung und dumm und bin auf seine Verführungskünste hereingefallen. Er sprach von Liebe und meinte doch nur das Bett. Unser Verhältnis dauerte ungefähr ein dreiviertel Vothar, bis ich schwanger wurde. Als ich es ihm damals sagte, sagte er, dass das überhaupt kein Problem wäre; er würde sich darum kümmern. Und von einem Prago zum anderen habe ich ihn nie wieder gesehen. Jeder Kontaktversuch zu ihm wurde abgelehnt, er war nie zu erreichen. Irgendwann habe ich dann erfahren, das er Varynkor verlassen hat, kurz nach seinem Abschluss. Ich stand da, mittellos und schwanger.“

Onista brannten Fragen unter den Nägeln. „Wissen Vater und Mutter davon? Und – warum weis ich nichts davon?“ fragte sie.

Sidona schüttelte heftig den Kopf. „Niemand aus der Familie weis davon. Wäre ich zu unseren Eltern gegangen und hätte davon gesprochen… Du weist, wie Mutter auf Adlige reagiert. Und Du warst gerade am Ende Deiner Ausbildung und dadurch viel mit der Systemflotte im Einsatz. Nein, niemand weis davon!“

Sidona machte eine allesumfassende Geste mit den Armen und fuhr fort: „Weist Du, wie ich zu meinem Geschäft gekommen bin? Ich habe damals meine ganze Überredungskunst aufbieten müssen und habe mir Cronners geliehen, viele Cronners. Ich habe meine schlecht bezahlte Stellung als Modedesignerin aufgegeben und mir dieses Geschäft angemietet, seither arbeite ich nur für mich. Und von einem kleinen Teil des Geldes bin ich zu einem zwielichtigen Mediker gegangen und habe mein Kind fortmachen lassen….“. Sidona fing wieder an zu weinen, überwältigt von ihrer Scham und Schuldgefühl.

Onista war sprachlos und überrascht zugleich. Was sollte sie sagen? Sie ließ Sidona weinen und strich ihrer Schwester mit der Hand über den Kopf. Langsam hörte Sidona auf zu weinen und sagte dann mit leiser Stimme: „Und als Du vor einiger Zeit zu mir gekommen bist, verliebt über beide Ohren, und mir erzählt hast, dass Du mit einem Adligen zusammen bist, war es für mich wie ein Déjà-Vu-Erlebnis. Ich wollte nicht, dass es Dir so ergeht wie mir. Darum habe ich Pergar eine Einladung zukommen lassen und ihm dabei gleichzeitig mitgeteilt, dass Du mit jemand anderem zusammen bist, mit Charrut.“

Onista verstand ihre Schwester. Sie konnte es verstehen und nachvollziehen, aber sie konnte es nicht billigen. Laut erwiderte sie: „Es tut mir leid, was Dir widerfahren ist. Aber lass‘ Charrut und mich unser Leben leben. Misch Dich da nicht ein. Nicht jeder Adlige ist so, wie Du es am eigenen Leib erfahren musstest.“

Sidona nickte leicht und sagte: „Es tut mir wirklich leid. Wenn ich geahnt hätte, zu was Pergar fähig ist, hätte ich ihn nie informiert.“

Onista nickte verstehend. Sie wollte etwas erwidern, aber in diesen Moment gab ihr Vot ein Lautsignal von sich. Onista warf einen Blick darauf und seufzte laut. „Ich muss leider los. In einer Tonta muss ich am Raumhafen sein, wir haben einen Einsatz. Ich hätte mich noch gerne weiter mit Dir unterhalten, aber das müssen wir auf einen anderen Prago verschieben, wenn ich wiederkomme.“ Beide Schwestern standen auf und umarmten sich. Nach einigen Augenblicken lösten sie die Umarmung, und Onista hielt ihre Schwester an den Händen fest.

„Versprich mir, dass Du Charrut und mich in Ruhe lässt, Dich nicht wieder in unsere Beziehung einmischst.“

Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen sagte Sidona: „Versprochen!“

„Also gut, dann gehe ich jetzt“ erwiderte Onista, ging zur Bürotür und öffnete diese. Beim hinausgehen drehte sie sich nochmals zu ihrer Schwester um, die ihr nach sah und winkte ihr kurz zu, bevor sie die Tür schloss und sich auf den Weg zu ihrer Wohnung machte, um die bereitgestellten Sachen zu holen.