Mit schnellen Schritten gingen sie in Richtung Antigravschacht und ließen sich zum Gleiterdeck nach oben tragen. Sidonas blasses Gesicht erschien im Licht der Antigravschachtbeleuchtung noch weißer und blasser. Als sie oben ankamen, gingen sie stumm in Richtung Sidonas Gleiter. Hinter den beiden Frauen gingen Charrut, gefolgt von Kerasor und Tranthar. Als sie schon fast bei Sidonas sportlichen Zweipersonengleiter waren, drehte sich Onista zu Charrut um und machte eine Kopfbewegung, die Charrut als Zeichen deutete, mit im Gleiter zu fliegen. Er drehte sich zu Tranthar und Kerasor um und sagte: „Ich fliege mit den beiden mit. Folgt uns mit einem Taxigleiter!“ Tranthar nickte und gemeinsam gingen er und Kerasor zu dem Taxigleiterstand. Währenddessen hatte Sidona das Schott ihres Sportgleiters geöffnet. Charrut zwängte sich nach hinten und setzte sich auf einen Notsitz, während vorne Sidona und Onista auf den Standardsitzen Platz nahmen.

Sidona war aufgewühlt. Sie hatte immer versucht, das Kind, das sie zur Welt gebracht hatte, zu verdrängen. Für sie war das Kind nur ein Mittel zum Zweck gewesen, nämlich Shyban de Enash zu erpressen. Aber als sie vorhin die Nachricht erhielt, dass mit dem Kind etwas Schreckliches passiert sei, kamen die unterdrückten und verdrängten Mutterinstinkte in ihr zum Vorschein. Nun machte sie sich Vorwürfe, dass sie sich nie um das Kind gekümmert hatte, sondern alles der bezahlten Amme überließ. Während sie von ihrem Büro zum Antigravschacht und dann zu ihrem Sportgleiter gingen, drehten sich ihre Gedanken wie im Kreis nur um das Kind und was passiert sein konnte. Sie nahm nur unbewusst war, wie sich Onistas Freund Charrut mit den anderen beiden Männer unterhielt und später sich hinter ihnen auf einen ausfahrbaren Notsitz Platz nahm. Nachdem das Schott des Gleiters geschlossen war, aktivierte sie die Bordpositronik und steuerte den Gleiter gen Himmel. Nur kurz wunderte sie sich, dass die Positronik langsamer reagierte als sonst, aber sie ignorierte das Symptom, sie schob es auf ihre Ungeduld und Nervosität. Nachdem der Gleiter eine vorgegebene Höhe erreicht hatte, beschleunigte sie mit maximalen Werten und steuerte den Gleiter in Richtung Vorstadt.

* * *

Charrut zwängte sich an den beiden Sitzen im Sportgleiter vorbei und fuhr den Notsitz aus. Nachdem er sich hingesetzt hatte, stiegen auch Onista und ihre Schwester Sidona ein. Sidona aktivierte die Bordpositronik, wobei sie hier etwas zögerte, bevor sie den Gleiter startete. Kurz darauf beschleunigte sie den Gleiter und dieser beschrieb eine langgestreckte Kurve, bevor er auf Kurs ging. Währenddessen dachte Charrut darüber nach, was er in der Eile von Onista erfahren hatte. Zwei Palbertontas später riss ihn Sidonas ‚Was…‘ aus seinen Gedanken.

Sie hatten Varynkor-Etset verlassen und steuerten eine Vorstadt an, als die Steuer- und Kontrolleinheiten vor Sidona anfingen zu flackern. Erst war das Flackern nur kurz, wurde aber von Petonta zu Petonta immer hektischer. „Was…“ stieß sie aus, den Rest verschluckte sie, denn kurz darauf fingen nun auch die Triebwerke an, auszusetzen. Sie starrte wie hypnotisiert auf die Kontrolleinheiten, unfähig, zu reagieren, einen klaren Gedanken zu fassen. Onista stieß sie von der Seite an und sagte scharf: „Nun unternimm endlich etwas!“

„Ich kann nicht!“ erwiderte sie tonlos und drückte wahllos diverse Sensorfelder auf der Steuereinheit. „Die Positronik reagiert nicht!“

„Positronik! Was ist los?“ rief Onista, aber es gab keine Antwort. Fast gleichzeitig wurden alle Kontrolllichter dunkel und die Triebwerke hörten auf zu arbeiten. Der Bug des Gleiters, der noch einige hundert Quars über den Boden dahinraste, neigte sich dem Erdboden entgegen.

„Wir stürzen ab“, sagte Sidona tonlos und starrte wie hypnotisiert durch das Bugfenster nach draußen.

„Zur Seite!“ sagte von hinten Charrut mit befehlender Stimme und zwängte sich zwischen den Sitzen nach vorne. Er blickte kurz die ausgefallenen Kontrolleinheiten an und stellte fest, dass es nur eine leicht modifizierte Variante der üblichen Gleiter war. Er griff zu einer fast unsichtbaren Klappe unterhalb der Steuereinheit und öffnete diese. Dahinter kam ein kleiner Steuerknüppel zum Vorschein, der rein hydraulisch-mechanisch funktionierte. Er ergriff den Steuerknüppel und zog ihn zu sich, um den Absturz abzufangen. Langsam, nur ganz leicht änderte sich der Flug des Gleiters. Der Boden war schon gefährlich Nahe, als der Bug des Gleiters endlich wieder auf den Horizont zeigte.

„Den She’Huhans sei Dank“ stieß Onista hervor und Sidona fing an hysterisch zu lachen.

„Wir werden es nicht ganz schaffen“ sagte Charrut schweratmend, bevor die euphorische Stimmung der Frauen zu groß wurde. „Die Tragflächen sind einfach zu klein. Der Gleiter ist schwerer zu steuern als ein Na’tha-meh“.

Die ersten Ausläufer der Vorstadt tauchten vor ihnen auf: kleinere Wälder und Parks. Charrut hatte alle Hände voll zu tun, den Gleiter daran vorbei zu dirigieren. Als der Gleiter noch ungefähr 20 quars über den Boden war, riß die Luftströmung ab und der Gleiter war dadurch nicht mehr steuerbar. Charrut ließ den Steuerknüppel los und rief: „Achtung! Ich kann nicht mehr steuern. Deckung!“ Er warf sich hinter die Sitze von Sidona und Onista, während sich der Bug des Gleiters den Erdboden neigte und einige Bäume ins Visier nahm.

Einige Atemzüge später war nur noch der Lärm von zersplitterndes Holz und zerreißendes Metall zu hören, dann herrschte tödliche Stille.

* * *

Wiederholt warf sie einen Blick auf ihre Votta. ‚Irgendwann muss doch die Zielperson herauskommen und mit ihrem Gleiter starten‘ ging es ihr durch den Kopf. Sie hatte sorgfältig recherchiert, sie kannte die Gewohnheiten der Zielperson In- und auswendig. ‚Warte einfach weiter‘ beruhigte sie sich selbst, ‚sie wird schon kommen‘. Trotzdem dauerte es noch fast eine Viertel Tonta, bis sich Bewegungen am Antigravschacht abzeichneten. Heraus kamen die Zielperson und, wenn sie sich nicht täuschte, die vier Personen von vorhin, die sie beinahe ertappt hatten. Die Zielperson ging mit einer anderen weiblichen Arki in Richtung ihres Gleiters, gefolgt von einem Mann, der sich wohl von den beiden anderen Männern verabschiedet hatte. Ihre Augen wurden immer größer, als sie feststellen musste, dass sowohl der Mann als auch die beiden Frauen zusammen in den Gleiter stiegen. ‚Das darf nicht wahr sein. Das war so nicht geplant!‘ schrie es in ihrem Kopf. Ihre sorgfältige Planung, ihre pragolange Recherche war mit einem Schlag über den Haufen geworfen. Leicht verbittert und mit Frust sah sie durch das Bugfensters ihres Mietgleiters, wie der Gleiter startete. Kurz darauf hob auch ein Taxigleiter ab und folgte den ersten. Sie schüttelte den Kopf. ‚So viel Pech kann ich doch gar nicht haben‘, sagte sie sich, als auch sie ihren Gleiter aktivierte und den beiden anderen Gleitern im Abstand folgte. Ein schneller Blick auf ihre Votta sagte ihr, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis der Positronikvirus die Systeme des Gleiters zum Erliegen bringen würde. Und tatsächlich, einige Augenblicke später sah sie, wie der erste Gleiter an Höhe verlor und kurz darauf in einen Sturzflug überging. Mit etwas Verzögerung folgte ihm der zweite Gleiter. Auch sie ging mit ihrem Mietgleiter niedriger, denn sie wollte nicht entdeckt werden. Jeden Augenblick musste der Gleiter der Zielperson am Boden zerschellen, undsie traute ihren Augen nicht, als der Gleiter vom Sturzflug in einen Gleitflug überging. Langsam zweifelte sie an ihrem Können. ‚Wie kann das sein?‘ fragte sie sich. Aber bevor sie darauf eine Antwort finden konnte, stürzte der Gleiter doch noch ab, raste gegen einen Baum in einem Park außerhalb Varynkor-Etsets. Kurze Zeit später landete der zweite Gleiter in der Nähe der Absturzstelle. Vorsichtig ging sie ebenfalls niedriger und verharrte mit ihrem Mietgleiter hinter einem Baumwipfel, keine 70 quars von der Abturzstelle entfernt. Sie sah, dass zwei Personen aus dem Gleiter geschleudert worden waren. Sie hatte genug gesehen. Jetzt musste sie sich zurückziehen, bevor die sicherlich benachrichtigten Rettungskräfte eintrafen. Sie wendete den Gleiter und flog nach Varynkor-Etset zurück. Dieser Teil ihres Auftrags war ein folgenreicher Misserfolg. Jetzt musste sie in Erfahrung bringen, ob ihre Zielperson ums Leben gekommen war und wer die beiden anderen Personen waren.

* * *

Tranthar und Kerasor sahen sich auf dem Gleiterdeck um und erspähten ein Gleitertaxi. Schnell gingen sie zum Gleiter und stiegen ein. Als die Positronik fragte, wohin der Flug gehen sollte, sagte Tranthar: „Folge dem Gleiter, der gleich von diesem Gleiterdeck starten wird“.

Wenige Augenblicke später startete der Gleiter und folgte dem von Onistas Schwester. Die Fluggeräte stiegen auf und nahmen Kurs auf ein unbekanntes Ziel.

Einige Zeit später bemerkten Kerasor und Tranthar, dass der Sportgleiter von Onistas Schwester etwas an Höhe verlor, um kurz darauf in einem Sturzflug zu übergehen.

„Was machen die denn?“ fragte Tranthar laut, mehr zu sich als zu Kerasor.

Überrascht und etwas verwirrt sahen beide dem schlingernden Flug des Gleiters zu, während ihrer diesen weiterhin verfolgte.

„Da stimmt etwas nicht“ sagte Kerasor, als sie sahen, dass der Gleiter von Onistas Schwester langsam seine Flugbahn korrigierte und viel zu nahe über den Boden flog. Als Sidonas Fluggerät nur mit wenig Abstand, aber viel zu hoher Geschwindigkeit einigen Bäumen eines Parks auswich, sagte Kerasor: „Ich informiere die Sicherheitskräfte“ und führte seinen Kommunikator zum Mund. Tranthar verfolgte wie gebannt den Flug des Gleiters vor ihnen, bis er sah, dass sich dessen Bug dem Boden näherte.

„Jetzt passiert es! Die stürzen ab!“ rief er.
Gemeinsam mit Kerasor sah er, wie der Gleiter zwischen einigen Bäumen hindurchraste, dabei mit den schmalen Tragflügeln hängenblieb, herumgewirbelt wurde und dann noch mit viel zu hoher Geschwindigkeit von einem anderen Baum abrupt aufgehalten wurde.