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Als ihr Mietgleiter zur Landung ansetzte, verzog sie die Mundwinkel. Sie sah, dass direkt neben dem Gleiter der Zielperson, Sidona Ferinei, kein Landefeld mehr frei war. ‚Verdammt. Ausgerechnet heute stehen so viele Gleiter hier‘, ging es ihr durch den Kopf. Ihr Mietgleiter landete einige Landefelder entfernt vom Gleiter der Zielperson. Sie warf einen Blick hinaus in die aufziehende Dunkelheit, aber sie konnte niemanden erblicken. Sie holte die Transporttasche hervor und entnahm ihm den Speicherkristall mit dem Positronikvirus. Der Mietgleiter war zwar eng, aber mit etwas Anstrengung konnte sie sich entkleideten und den Freizeitanzug ausziehen. Sie warf einen Blick auf die bordeigene Votta: in einigen Palbertontas würde die Sonne endgültig untergegangen sein und dann würde ihre Tonta schlagen. Aber noch hatte sie Zeit. Während sie wartete, schweiften ihre Gedanken ab. Wenn der Auftrag erledigt sein würde konnte sie endlich wieder zu ihrem Stützpunkt zurückfliegen. Dieser Auftrag war für sie enorm wichtig, nachdem sie bei den letzten beiden Aufträgen keine 100%ige Erfolgsquote erreicht hatte. Man hatte ihr bei der Auftragsvergabe gesagt, dass dieser Auftrag über ihre weitere Zukunft in der Organisation entscheiden würde. Sie musste einfach erfolgreich sein! Aber sie war überzeugt davon, dass sie diesmal den Auftrag erfolgreich abschließen würde. Sie hatte ihre beiden Zielobjekte viele Pragos lang beobachtet und deren Gewohnheiten studiert und verinnerlicht. Am aufwendigsten war die Suche und das finden dieses Mädchen gewesen. Aber mit Hilfe der persönlichen Positronik in Sidona Ferineis Wohnung hatte sie in alten Einträgen die Vermittlung einer Amme gefunden. Danach war es nicht mehr schwer gewesen, das Institut zur Vermittlung von Ammen und damit die Amme selber herauszufinden. Sie warf einen Blick hinaus.

Mittlerweile war es dunkel geworden. Sie zog die antireflexionsbeschichteten Stiefel und Handschuhe an, entnahm noch die Fernsteuerungsmaske, die sie auf Nachtsichtmodus schaltete, griff sich den Speicherkristall sowie Spezialwerkzeug und öffnete die Gleitertür. Rasch schlüpfte sie in die Dunkelheit hinaus und verschloß wieder die Gleitertür. Wie ein unsichtbarer Schatten und mit einer Grazie, die ein Aussenstehender ihr niemals zugetraut hätte, eilte sie von Gleiter zu Gleiter, bis sie den Gleiter der Zielperson erreichte. Mit Hilfe des Spezialwerkzeugs und ihrer KSOL dauerte es nur eine kurze Zeit, bis sich die Gleitertür öffnen ließ. So schnell sie konnte verschwand sie im Gleiter und schloß die Gleitertür hinter sich. Sie warf einen Blick hinaus. Es war niemand da, der sie gesehen hätte. Mit Hilfe des Spezialwerkzeugs öffnete sie eine seitliche Verkleidung, um an die Bordpositronik heran zukommen. Rasch entfernte sie den vorhandenen Speicherkristall und ersetzte ihn durch ihren. Sofort fing der Speicherkristall an zu blinken als Zeichen dafür, dass der Positronikvirus heruntergeladen wurde. Nach wenigen Augenblicken ging das Blinken in ein permanentes Leuchten über; der Upload war vollzogen. Sie tauschte die Speicherkristalle wieder aus und verschloss wieder die Seitenverkleidung. Ein kritischer Blick von ihr auf die Verkleidung sagte ihr, dass niemand die Manipulation erkennen würde. Bevor sie die Gleitertür wieder öffnete, überzeugte sie sich mit einem Blick hinaus, dass niemand zu sehen war. Die Gleitertür öffnen, hinaus springen und die Gleitertür wieder zu verschließen war fast eins. Wieder lief sie im Schutze der Dunkelheit auf ihren Mietgleiter zu, als auf einmal ein Gleiter landete. Sie wurde völlig überrascht. Rasch warf sie sich hinter einen nahestehenden Gleiter. Sie sah, wie vier Arkii in der schummrigen Dunkelheit auf den Antigravschacht zugingen und sich dort hineinschwangen. Dann wartete sie noch einen kurzen Augenblick, bis sie sich hinter dem Gleiter hervorwagte, aufstand und zu ihrem Mietgleiter rannte. ‚Das ging nochmals gut‘, sagte sie zu sich selber. Jetzt musste sie nur noch warten, bis die Zielperson auftauchte und mit ihrem Gleiter startete.

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Nachdem der Taxigleiter gelandet war, gingen Tranthar, Kerasor, Charrut und Onista zum Antigravschacht und ließen sich zum Bürobereich von Sidonas Modedesignstudio hinuntertragen. Dort verließen sie den Antigravschacht und gingen zu Sidonas Büro. Onista wandte sich an die anderen und sagte: „Ich bin in wenigen Palbertontas wieder da. Ich will nur kurz mit Sidona reden“

Charrut nickte ihr zu und erwiderte: „Einverstanden!“.

Während Onista in das Büro ihrer Schwester ging, setzten sich Charrut, Tranthar und Kerasor in den Besuchersesseln im Empfangsbereich. Charrut konnte durch die Glasscheiben sehen, wie sich die beiden Schwestern durch Umarmung begrüßten und dann miteinander redeten.

„Nun, erzähle schon. Wie war der Kurzurlaub? Was hat dein Vater zu Onista gesagt?“ fragte Kerasor neugierig, während Tranthar leicht den Kopf schüttelte vor so viel Indiskretion.

Charrut seufzte innerlich, kannte er doch Kerasor. Er würde nicht eher nachgeben, bis er mehr wusste. Er dachte kurz nach und erzählte dann von ihrem Kurzurlaub.

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Sidona und Onista begrüßten sich durch Umarmung.

„So, du bist also wieder von deinem Kurzurlaub zurück!“ stellte Sidona fest. „Wie war es denn auf Harkon?“

Onista machte eine zustimmende Geste mit der rechten Hand und erzählte ihr in kurzen Sätzen von ihren Erlebnissen auf Harkon und im Besonderen vom Khasurn der Harkonii. Als sie geendet hatte, nickte ihr Sidona zu und erwiderte: „Ich wünsche dir wirklich viel Glück, dass es alles so wird, wie du es dir vorstellst. Vielleicht spreche ich ja wirklich gerade mit einer zukünftigen Adligen!“. Beide Frauen mussten lachen.

„Und, was gibt es bei dir neues?“ fragte Onista.

„Nur das übliche: Arbeit und nochmals Arbeit! Du weißt ja, wenn man was…“

Sidona wurde in ihrem Reden abrupt unterbrochen, als ihr Kommunikationsterminal ein durchdringendes Geräusch von sich gab. Das Signal bedeutete höchste Dringlichkeit und war nur für sehr wenige Vorgänge konfiguriert.

„Entschuldige bitte“ sagte Sidona zu Onista und aktivierte das Kommunikationsterminal.

Auf dem Schirm eine Arki, deren Augen angeschwollen waren, ein Zeichen für intensive Erregung oder dass sie geweint hatte. Sie erkannte auch nach Vothars die Frau: die Amme ihres Kindes.

„Sie sollen mich doch nicht kontakten, außer, es ist etwas geschehen“, fuhr sie die Frau an.

„Es ist etwas Schreckliches geschehen. Sie müssen unbedingt kommen. Das Kind wurde von einem Insekt gestochen…und stirbt“ Der Rest der Worte ging in einem Weinkrampf verloren. Die Frau war so aufgeregt und aufgebracht, dass sie keine weiteren sinnvollen Wörter mehr hervorbrachte.

Sidona wurde blaß im Gesicht. Ihre Gedanken überschlugen sich, was ihr die Amme zu sagen versuchte. Ihr Magen bildete ein Knoten, als sie die Tragweite erkannte, die das gesagte darstellte. Wenn das Kind sterben sollte, würde die Zukunft düster aussehen. Sie hatte ihre Zukunft darauf aufgebaut, das sie Shyban de Enash mit dem Kind erpressen konnte und er für ihr Stillschweigen bezahlen würde! Mit schwacher Stimme erwiderte sie: „Ich komme sofort!“.

Nachdem die Verbindung getrennt wurde, wandte sie sich langsam zu ihrer Schwester um und sagte wie abwesend: „Ich muss fort! Wir sprechen uns ein anderes mal!“

Onista hatte das Gespräch mitbekommen und war genauso wie Sidona vom Gehörten schockiert. Schließlich ging es um ihre Schwester. Und um das Kind ihrer Schwester. Als Sidona sagte, dass sie das Gespräch ein anderes Mal fortführen würden, schüttelte sie den Kopf und erwiderte bestimmt: „Nein, wir kommen mit. Lass‘ uns sofort aufbrechen!“

Beide verließen Sidonas Büro. Draußen vor dem Büro warteten Charrut und seine Freunde auf sie. Onista erklärte ihnen kurz, was sich eben ereignet hatte und das sie sofort aufbrechen mussten und dass der gemeinsame Abend mit Kerasor und Tranthar ein anderes mal stattfinden musste. „Selbstverständlich begleiten wir euch“, sagte Tranthar. Als Charrut etwas erwidern wollte, winkte er ab und sagte: „Wozu sind wir deine Freunde, wenn wir euch nicht auch in schlechten Zeiten beistehen?“ Charrut warf einen Blick von Tranthar zu Kerasor und als er auch in Kerasors Gesicht erkannte, dass dieser mitkommen wollte, nickte er und sagte: „In Ordnung“.

Gemeinsam gingen alle los…

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