Begegnungen

Die Entscheidungen, die wir treffen, bestimmen, was für ein Leben wir führen.

 31. Prago to Tartor 14.597 da Ark

Charruts Gesichtsfarbe verdunkelte sich etwas und auf seiner Stirn sah man eine Ader immer deutlicher. Er konnte und wollte jetzt keine Gesellschaft haben, einfach nur allein sein. Darum hatte er sich von den anderen Thos’athor getrennt. Seit einiger Zeit schon hatte er Probleme mit einigen von Ihnen.

‚Hatte er sich verändert? Oder die anderen? Oder war es nur eine logische Entwicklung des Älterwerdens oder der Ausbildung auf der Raumakademie?‘ Er wusste es nicht.

Er betrat die belebte Straße und hielt kurz inne. ‚Zurück zur Akademie?‘ fragte er sich. Nein, heute nicht. Heute wollte er sich zerstreuen, wollte etwas erleben, und wenn er nur andere Gesichter sah.

Der Großteil der Arkii-Menge auf der Straße zog in Richtung Zentrum. ‚Warum auch nicht‘, sagte er sich, entfernte sich vom Ausgang, reihte sich in die Menge ein und ließ sich von der Menge treiben. Vorbei an auftauchenden Trinkhallen, Restaurants, Glücksspielhallen, Etablissements für einsame Herzen…

Die Reklame wurde bunter und greller, vor diversen Etablissements standen Werber, um Kundschaft in ihr Lokal zu locken.

‚Verdammt, was sollte das eben‘, ging es ihm durch den Kopf. Er ballte seine Hände zu Fäusten, bis die Fingernägel anfingen, sich schmerzhaft in die Haut zu bohren. Er war noch immer wütend auf die anderen Thos’athor, besonders auf die eine, Ma’chor Sinica Chinar. Sie hatte ihm gesagt, dass sie ihn und Auris vor einiger Zeit alleine zusammen gesehen hatte und ihm zwischen den Zeilen zu verstehen gegeben, dass die Akademie-Leitung es nicht tolerieren würde, wenn ihre Schüler gegen den Paragrafen 5 Absatz 17 verstoßen sollten. ‚Paragraf 5 Abs. 17 besagte nichts anderes, als dass sich die männlichen und weiblichen Thos’athor in ihrer Freizeit getrennt voneinander halten mussten‘, ging es ihm durch den Kopf. Natürlich war ihm das klar, aber alleine die Andeutung dieser Ma’chor hatte ihn wütend werden lassen. Was wusste diese Ma’chor schon von ihm oder Auris? Nichts!

Die Menge schob ihn in Richtung Vergnügungsviertel, unbewusst hatte er sich langsam an den Rand der Arkii-Menge bewegt.

Zdhopan, kommt herein, gutaussehende und willige Mädchen werden Euch einen unvergesslichen Abend bereiten“ wurde er von einem Werber angesprochen.

„Heute nicht“ antwortete er im Vorbeigehen. Dass ihn dieser Unirhi nicht nochmals ansprach, lag an seinem Gesichtsausdruck, das immer noch den Hauch von Ärger zeigte.

‚Frauen, nichts als Ärger mit Ihnen‘, sagte er sich ohne stehen zu bleiben.

Einige Geschäfte weiter tauchte an einer Kreuzung ein auffallend grell beleuchtetes Reklameschild auf, das den Weg zu einer Trinkhalle in der Seitenstraße wies. ’Der lachende Mehandor’ nannte sie sich.

‚Passt zwar eher zu Tranthar, wäre aber einen Versuch wert! Hier kommt bestimmt niemand herein, den ich kenne‘, sagte er sich und steuerte auf die Trinkhalle zu. Als er dort ankam, kamen ihm Zweifel. Die Trinkhalle sah eher aus wie eine düstere Spelunke. ‚Nur Mut‘, dachte sich Charrut und trat ein. Das Licht glich eher der Notversorgung an Bord eines Raumschiffes und es lag ein Geruch in der Luft, als wenn hier seit Jahrzehnten niemand mehr gelüftet hatte. Er rümpfte die Nase, ging aber zielstrebig auf einen freien Tisch zu und setzte sich.

Auf der am Tisch angebrachten Speise- und Getränkepositronik bestellte er sich gleich einen Raucasa-Schnaps, den ihm Tranthar empfohlen hatte, sollte er einmal Gelegenheit dazu haben. Tranthar hatte behauptet, kein Arki trinkt mehr als ein Glas davon, er soll sogar für Mehandor ein sehr starkes Getränk sein.

Kurze Zeit später kam ein älterer Mehandor mit einer verdreckten Schürze um seinen Wanst an seinen Tisch. Der Mehandor blickte kurz Charrut an, dann das Getränk, das er dabei hatte und wieder zurück, fragte auf die polternde Art der Mehandor.
Zdhopan, wirklich für Euch?“

Charrut antwortete energisch: „Ja, stellen Sie es hin und bringen Sie mir etwas vom In’asech“.

Der Mehandor grunzte irgendetwas in seinen schon gräulich durchwirkten roten Bart und trottete los und kam ein wenig später mit einer Portion In’asech zurück.

Charrut nahm einige Bissen vom In’asech – gebratene Fleischstreifen auf Salat – bevor er sich an das Getränk heranmachte. Es roch bitter. Er schickte ein kurzes Stoßgebet an die She’Huhan und nahm zwei kräftige Schlucke. Es schmeckte nicht schlecht, irgendwie nach vergorener Milch und dass es besonders stark sein sollte, hatte er beim Trinken auch nicht bemerkt. So aß er weiter und trank den Racausa aus, er bestellte sich gleich ein zweites Glas davon.

Gut eine zehnteltonta später spürte er, wie der Alkohol seinen Magen erwärmte und ihm in den Kopf stieg, so langsam bekam er einen glasigen Blick.

„Das hätte ich Euch nie zugetraut, Charrut del Harkon. Ich dachte schon, Ihr wäret ebenfalls ein Weichling, wie die meisten von der Akademie!“, sprach ihn auf einmal eine dunkel klingende Frauenstimme von hinten an.

‚An wen erinnert mich diese Stimme?‘ fragte sich Charrut, und bevor er sich umdrehen konnte, stand sie vor seinem Tisch. Überrascht sah Charrut auf: Es war die dunkelhaarige Schönheit der LEKA-Besatzung einer seiner letzten Einsätze. Er hatte schon damals ihr Aussehen bewundert. Ein markant geschnittenes Gesicht, kurzgeschnittenes schwarzes Haar, das so gar nicht dem vorherrschenden Erscheinungsbild weiblicher Arkii passte, aber ihr Gesicht umso mehr betonte. Dazu blaue Augen, in denen er sich verlieren konnte – sie erinnerten ihn an den kristallklaren Gebirgssee Nenin auf Harkon – von der sportlichen, durchtrainierten Figur gar nicht zu reden.

Onista Ferinei

‚Verdammt, wie hieß sie noch mal?‘ Doch Charrut fiel ihr Name nicht ein, sein altes Problem. Zahlen, Bezeichnungen und Gesichter waren für ihn kein Problem, aber Namen zu behalten…

„Was meint Ihr?“ fragte er zurück, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, ihren Namen, der ihm einfach nicht einfallen wollte, sagen zu müssen.

„Normalerweise verirrt sich hierher nie ein Adliger und erst recht nicht solche, die Racausa trinken. Das ist eine Mehandor-Spezialität, extrem stark!“ sagte sie und setzte sich ihm gegenüber. Sie deutete auf sein Glas. „Das wievielte ist es?“

„Jetzt das zweite in meinem Leben“ erwiderte Charrut und merkte, wie ihm so langsam das Sprechen schwerer fiel.

Sie lachte glucksend auf, drehte sich in Richtung Bar und rief: „Tungha, für mich das Übliche.“

„Das Übliche?“ fragte Charrut. „Ihr seid also öfter hier?“

„Wenn ich gerade nicht im Einsatz oder mit Freunden unterwegs bin, komme ich ein- bis zweimal die Woche hierher“, sagte sie. Der Mehandor von vorhin brachte ihr ein Glas – mit Racausa! Sie prostete Charrut zu und bevor er einen Schluck genommen hatte, stellte sie ihr halbvolles Glas ab.

„Alle Achtung, das würde ich nicht schaffen“ sagte Charrut erstaunt zu ihr.

Sie lachte und fragte: „Was habt Ihr so erlebt, seit wir vor einigen Vothanii gemeinsam mit der LEKA im Einsatz waren?“
Während die Trinkhalle immer voller wurde, draußen sich die Sonne dem Horizont entgegen neigte und die Zeit bis Mitternacht immer kürzer wurde, erzählten sich beide gegenseitig Geschichten von Einsätzen, von Freunden und der Familie. Mitten drin waren sie beim Vornamen angekommen und der Alkohol tat seine Schuldigkeit. Das dritte Glas Racausa stand auf ihren Tisch.