Begegnungen (Tartor 14.598 d. A.) – Teil 2
„Gut, eigentlich sehr gut.“ antwortete Ultral und nippte an seinem Glas. „Ich wäre froh, wenn ich das gleiche von meinen Sohn Charrut sagen könnte. Aber wie du weist, ist er auf der Raumakademie Varynkor. Es scheint, als wenn er langsam Interesse an den Khasurn-Aufgaben zeigt. Als er im Tarman für einige Pragos nach Harkon kam, habe ich das erste Mal sein Interesse bemerkt. Aber mir wäre wohler, wenn ich wüsste, dass er fest eingebunden wäre und irgendwann mein Nachfolger wird. Aber die Ausbildung auf der Raumakademie ist nicht ohne Risiko und Charrut hat mir schon von einigen Todesfällen berichtet. Wenn ich daran denke, dass er mein einziger Sohn ist, bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen.“ Er behielt die tragische Liebelei seines Sohnes mit einer Essoya für sich. Wenn das in den Adelskreisen bekannt würde… Der Khasurn hatte schon so genug Probleme im Adel mit der Votharsars alten Geschichte.
„Ja, das kann ich verstehen.“ erwiderte Onuk. „Vielleicht solltest du ihn verheiraten, dann muss er Verantwortung übernehmen!“
„Ja, der Gedanke ging mir durch den Kopf. Aber wie du weisst, ist die Vergangenheit des Harkon-Khasurns nicht gerade ruhmreich. Finde da einmal einen Khasurn, der seine Tochter mit einem Sohn der ‚del Harkon‘ vermählen würde“.
Onuk nickte und sagte: „Ja, das kann ich gut nachvollziehen. Mit einem Imperator in der Familienchronik, der abgesetzt worden ist und die Herabstufung des Khasurns ist es nicht einfach. Viele Khasurns vergessen so etwas nicht. Aber du wirst eine Lösung finden, da bin ich mir sicher. Auch ich muss eine Lösung für meine Tochter Merida finden“.
„Bereitet sie euch noch immer Probleme?“ fragte Ultral I. überrascht. „Ich dachte, du hättest die Lösung gehabt?“
„Hatte ich gedacht. Aber es wird immer schlimmer. Früher hat sie Chronnors mit vollen Händen ausgegeben, aber mittlerweile findet man sie auf jedem Empfang auf Ariga, ob eingeladen oder nicht und wenn sie zuviel getrunken hat, wird sie pretiös. Dann müssen meine Frau und ich bei den anderen Khasurns immer die Wogen glätten. Es ist ein nicht endend wollender Kampf“, sagte Onuk leicht verbittert und blickte nachdenklich und gedankenverloren vor sich auf den Tisch.
Ultral war froh, das Onuk selbst mit seinen Problemen beschäftigt war, ihn nicht fragte, wie es dazu kam, das Charrut auf eine Raumakademie gehen konnte. Er hätte es ihm nicht sagen können, nicht sagen dürfen, dass er vor ungefähr fünf Tai-Vothanii mit dem Shekur Errenol Agh Loksomh eine besondere Vereinbarung getroffen hatte. Und wie er es geschafft hatte, Charrut glauben zu lassen sich an die Faerhl von Varynkor anzumelden wäre seine eigene Idee gewesen.
Seine Gedanken eilten in die Vergangenheit zurück…
* * *
Die Nachrichten und Informationen, die Ultral aus Tanthur-Lok und dem übrigen Tai Ark’Tussan erhielt, verhießen nichts Gutes für die Zukunft.
Imperator Saran III. erlies Dekrete und verabschiedete Gesetze, die für das Tai Ark’Tussan und seinen Bewohnern im Laufe der Zeit weitreichende Veränderungen mit sich bringen würde. Eines der Dekrete, die er vor einigen Tai-Vothanii erließ, war die Errichtung einer Faehrl auf dem Planeten Varynkor, die auch für das einfache Volk offenstand. Gerade dieses Dekret des Imperators löste einen Sturm der Entrüstung im Adel aus. Insbesondere der oberste Adel sah sich in seinen elitären Grundfesten beschnitten, war doch der Besuch einer Raumakademie wie Iprasa, Goshbar oder Largamenia gleichbedeutend mit einer militärischen Karriere und auserwählten gesellschaftlichen Stellung. Und jetzt durften auch Essoya, Bras’cooi und andere auf eine Raumakademie gehen! Was der oberste Adel allerdings verschwieg, war die Tatsache, dass immer weniger adlige Söhne und Töchter auf eine Raumakademie gingen, um ihre Pflicht in der Flotte zu leisten.
Ultral I. war wie elektrisiert, als er das Dekret las und einige Zeit später erfuhr, dass mit dem Bau der Raumakademie auf Varynkor begonnen wurde. Er selbst war für eine Ausbildung auf der Raumakademie einfach zu alt und als Khasurnoberhaupt dafür nicht mehr in der Lage. Aber sein Sohn Charrut konnte gehen. Wenn dieser Erlass nicht wäre, der im direkten Zusammenhang mit der Verbannung der Harkonii von Gos’Ranton stand: Kein Harkonii durfte je wieder eine Raumakademie besuchen!
Ultral I. konnte warten. Vielleicht ergab sich ja in Zukunft eine Möglichkeit…
* * *
Eine Ordonanz, Ultral erkannte am Abzeichen, dass es der zweite Offizier des Flaggschiffs von Shekur Errenol Agh Loksomh war, geleitete ihn in das Arbeitszimmer des Sonnenkurs. Als Ultral I. del Harkon eintrat, erhob sich hinter dem großen Arbeitstisch der Shekur und kam ihm entgegen. Errenol und Ultral reichten sich ihre Hände und griffen sich an den Unterarmen und Errenol deutete auf eine gemütliche Sitzecke in dem hinteren Teil seines Arbeitszimmers mit einem Glastisch davor und einigen Sesseln.
„Bitte, Zdhopandel, nehmen Sie Platz. Möchten Sie etwas trinken?“ fragte Errenol und sah Ultral fragend an.
„Ein Glas Wenas wäre mir recht“, erwiderte Ultral und setzte sich in einen der Sessel.
Errenol holte zwei Gläser und eine Flasche Wenas aus einem verborgenem Depot, stellte je ein Glas bei Ultral und vor sich auf den Glastisch ab und goss ein.
Anschließend setzte er sich Ultral gegenüber, prostete ihm zu und nahmen einen Schluck. Nach dem Schluck stellte Errenol sein Glas ab, nahm eine bequeme Haltung auf der Couch ein und sagte: „Sie baten um eine Unterredung, Zdhopandel.“ Und sah Ultral auffordernd an.
Ultral hatte sich eine Strategie zurechtgelegt. Er lehnte sich im Sessel zurück, sah Errenol direkt an und sagte: „Die Zukunft des Tai Ark’Tussan ist bedroht. Seit Tai-Vothanii formiert sich Widerstand gegen Imperator Saran III. Erst wenig, jetzt immer deutlicher. Und der Widerstand tritt immer stärker in Erscheinung. Selbst kriegerische Auseinandersetzungen finden statt. Der Imperator hat wenig Rückhalt im Adel, nachdem er sich für viele Reformen entschieden hat.“ Er machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach: „Ich sehe es so, das auf langer Sicht es einen Bürgerkrieg geben wird, der das Tai Ark’Tussan destabilisieren wird. Der Imperator und letztendlich auch Sie werden nicht darum herumkommen, sich für die bevorstehenden Kämpfe zu rüsten und sich Mitstreiter im Adel zu suchen. Sehe ich es soweit richtig?“
Errenol überlegte kurz, bevor er eine zustimmende Geste mit seinen Händen machte und erwiderte: „Und Sie sind jetzt zu mir gekommen, um dem Imperator und mir die Loyalität des Khasurns der Harkonii darzulegen?“
Ultral machte eine abwehrende Geste mit seinen Händen und erwiderte: „Über die Loyalität meines Khasurns zum Imperator müssen wir nicht reden. Sie haben sich vorbereitet und kennen unsere Geschichte. Seit der Khasurn vor fast eintausend Tai-Vothanii von Gos’Ranton verbannt wurde, war der Khasurn IMMER loyal zum amtierenden Imperator. Nein, deswegen bin ich wahrlich nicht hier. Weshalb wir diese Unterredung führen, ist: Ich möchte Ihnen ein Geschäft vorschlagen, das für beide Seiten von Vorteil wäre!“
Errenol sah Ultral spöttisch an und meinte: „Welcherlei Geschäft könnte für den Imperator mit einem Khasurn von Vorteil sein? Soll er die berechtigte Verbannung des Khasurns von Gos’Ranton etwa aufheben?“
„Fast. Ich dachte eher an das Verbot, dass jemals wieder ein Harkonii eine Raumakademie besuchen darf!“ erwiderte Ultral und versuchte, wie bei allen Verhandlungen, die er führte, einen neutralen Gesichtsausdruck zu zeigen, um nicht seine Gefühle offen zulegen.
Errenol stand auf und erwiderte: „Wir vergeuden unsere Zeit. Dieses Verbot hatte damals der Thi Than ausgesprochen und der nachfolgende Imperator per Dekret bestätigt. Der Khasurn musste verbannt werden, wenn Khasurnmitglieder Morde und andere Verbrechen begehen und der Imperator das deckt.“ Errenol sah das Treffen eigentlich bereits als beendet an, als Ultral I., der noch immer im Sessel saß, fragte: „Wollen Sie gar nicht wissen, was Sie dafür erhalten würden?“
Ultral zog eine Mikro–KSOL aus einer Tasche seines Anzugs und hielt sie Errenol entgegen. Widerstrebend griff Errenol nach der KSOL. Es konnte nicht schaden, einen Blick darauf zu werfen. Er aktivierte die KSOL und sah sich die Informationen an, die sie enthielt. Je mehr er von den Daten lass, umso interessanter wurde es. Er setzte sich wieder auf die Couch und las weiter, während Ultral wartete und an seinem Glas Wenas nippte.
Als Errenol fertig war, blickte er leicht überrascht zu Ultral hinüber und fragte: „Sie wollen wirklich, als Gegenleistung, diesen Stützpunkt Hark’alor, dem Imperium überlassen?“
„Ja, das will ich!“ erwiderte Ultral fest und sah dabei Errenol in die Augen.
„Wer sagt mir, dass der Stützpunktplanet nicht längst von einer anderen Macht eingenommen worden ist? Dass die Anlagen, so wie es die vorliegenden Daten aussagen, noch funktionieren?“ fragte Errenol zurück.