12. Prago to Ansoor 14.598 da Ark

Seit zwei Pragos war Onuk bereits mit seiner Privatyacht „STERN VON ARIGA“ unterwegs, um die wie in jedem Tai-Vothan stattfindende Inspektionsreise durchzuführen. Das erste Ziel war Horgas im Ullishtan-Sektor, mehr als 24.700 Lichtjahre von Ariga entfernt. Fünf Transitionssprünge hatten sie bereits hinter sich, zwei sollten noch folgen. Während die ersten Sprünge nur von kurzer Distanz waren, erfolgten nun größere Reichweiten. Thantur-Lok, in denen auch Arkon und Ariga lagen, hatten sie bereits hinter sich gelassen. Während er im Kontursitz saß und auf den nächsten Transitionssprung wartete, schweiften seine Gedanken ab und kehrten zu seiner Familie zurück. Bei seinem Abschied hatte er nochmals mit seiner Frau über den bevorstehenden Besuch auf Harkon gesprochen und seiner Tochter ins Gewissen geredet, sich adäquat und standesgemäß zu verhalten. Er wäre gerne bei der Hochzeit seines Freundes Ultral I. dabei gewesen, um dessen neue Frau Onythia und den zukünftigen Mann seiner Tochter Merida, Charrut kennen zulernen. Aber die Pflicht ging vor. Seinem Sohn Arano musste er nicht viel sagen, was die Geschäfte anging; auf ihn war verlass.

‚Sprung erfolgt in 10…9…8…‘ zählte die Bordpositronik herunter und beendeten abrupt Onuks Gedanken an seine Familie. Im Privatbereich seiner Yacht entspannte er sich am Besten im Kontursitz. Er wusste schon gar nicht mehr, wie oft er in seinem Leben per Transmitter oder in einem Raumschiff durch den Hyperraum gesprungen war. Der Rematerilisationsschmerz äußerte sich bei ihm durch ein kurzes ziehen im Nacken, mal weniger, mal stärker, je nach Sprungdistanz. ‚..3…2…1‘. Onuk schloß die Augen. Aber der Rematerilisierungsschmerz blieb aus, stattdessen spürte er eine Vibration, die selbst sein Kontursitz nicht ausgleichen konnte. Gleich darauf wummerte der Alarm durch das Schiff. Verwundert öffnete Onuk seine Augen. Nach einem Augenblick der Überraschung drückte er an seinem Kontursitz einen Knopf und auf dem Monitor vor ihm erschien nach kurzer Zeit das Abbild von Athor Ethao wes‘tiga Gipho.

„Was ist geschehen? Warum sind wir nicht gesprungen?“

Zdhopanda, ich kann Euch momentan nur soviel sagen, dass wir eine Fehlfunktion am Strukturwandler haben. Die Techniker sind gerade dabei, den Fehler zu lokalisieren.“

Onuk überlegte. Eine Fehlfunktion am Strukturwandler war eine heikle Angelegenheit, die nicht innerhalb von wenigen Palbertontas korrigiert werden konnte. Es würde Tontas dauern, den Fehler zu lokalisieren und den Konverter neu zu kalibrieren.

Onuk sah seinen Athor wieder an, nickte ihm zu und erwiderte: „Halten Sie mich auf den Laufenden!“

Ti’Ghen, Zdhopanda“ bestätigte Athor Ethao wes‘tiga Gipho, salutierte und beendete die Verbindung.

Währenddessen löste Onuk die Sicherheitsgurte an seinem Kontursitz und stand auf. Er richtete sich auf eine längere Wartezeit ein. Sein selbst gesteckter Zeitplan geriet schon wenige Pragos nach dem Start der Inspektionsreise ins Wanken. ‚Wenn das kein böses Omen ist‘, ging es ihm durch den Kopf.

* * *

Mit einem unguten Gefühl betrat Onuk den neben der Zentrale gelegenen Besprechungsraum. Vor wenigen Palbertontas, drei Tontas nach dem eigentlich angesetzten Sprung hatte sich Athor Ethao wes‘tiga Gipho bei ihm gemeldet und ihn in diesen Besprechungsraum gebeten. Ethao wes‘tiga Gipho hatte angedeutet, dass sie vor einem großen Problem standen.

Als Onuk eintrat, erblickte er neben Athor Ethao wes‘tiga Gipho einen weiteren Mann, der versuchte, sich gerade seine verschmierten Hände an einem Tuch zu reinigen. Athor Ethao wes‘tiga Gipho war ein reinrassiger Arki, dessen genaues Alter man nicht aus dem Gesicht ablesen konnte, wenn man ihn nicht kannte. Nur die kleinen Falten in den Augenwinkeln und das Wissen, dass Ethao wes‘tiga Gipho früher in der Imperialen Flotte gedient hatte, ließen auf ein fortgeschrittenes Alter schließen. Auf den zweiten Blick erkannte er ein verkohltes und deformiertes Gerät, welches auf dem Tisch des Besprechungsraums lag. Athor Ethao wes‘tiga Gipho salutierte, genauso wie der zweite Mann.

Onuk winkte ab und fragte: „Ihr habt vorhin angedeutet, dass wir vor einem Problem stehen, Athor Gipho?“ und setzte sich in einen der freien Sessel am Tisch.

Ti’Ghen, Zdhopanda. Das habe ich. Aber wir sollten uns zuerst den Bericht von Atai Vessul anhören, dem verantwortlichen Leiter der Wartungstechniker. Erzählen Sie uns nochmals, was Sie mir bereits gesagt haben, Atai Vessul“.

Atai Vessul trat etwas näher und deutete auf das deformierte Gerät, welches auf dem Tisch lag.

„Wir können froh sein und den She’Huhani danken, dass wir noch leben. Das, was Sie dort auf dem Tisch liegen sehen“, er deutete mit einer Hand auf das Gerät, „ist ein Sprengsatz. So wie das Gerät montiert worden ist, hätte es den Strukturwandler zerstören sollen, als dieser beim letzten Sprung aktiviert worden ist“.

Onuk wurde blass. ‚Ein Sprengsatz!? Warum sollte jemand einen Sprengsatz am Strukturwandler anbringen? Er war der einzige an Bord, der nicht zur Stammbesatzung gehörte‘.

„Sie meinen also, jemand versuchte, das Schiff zu vernichten, um mich loszuwerden, mich zu töten?“ fragte Onuk schockiert und sah abwechselnd beide Männer an.

Athor Ethao wes‘tiga Gipho machte mit einer Hand eine zustimmende Geste und erwiderte: „Davon müssen wir gegenwärtig ausgehen. Aber das ist momentan nicht unser Hauptproblem.“ Er sah Atai Vessul wieder direkt an, sagte: „Bitte, Vessul“ und setzte sich Onuk gegenüber.

Atai Vessul setzte sich jetzt ebenfals und fuhr fort: „Wenn ein Schiff transitiert, erzeugt der Strukturwandler ein 5D-Feld, das wie eine Blase das Schiff einhüllt. Alle Objekte innerhalb der Blase werden dann an die jeweiligen Zielkoordinaten im Standard-Universum durch den 5D-Raum versetzt. Weiter will ich garnicht darauf eingehen, es sind die üblichen 5D-mathematischen Berechnungen. Was ich damit sagen will ist: als der Sprengsatz zu früh explodierte, als der Strukturwandler anfing, das 5D-Feld aufzubauen begann, kollabierte das 5D-Feld unkontrolliert. Alle Geräte, die auf 5D-Technik basieren, sind durch das kollabierende Feld ausgefallen oder wurden schwer beschädigt. Wir haben auf die Schnelle eine Stichprobe gemacht und ich gehe davon aus, dass es jedes Gerät im Raumschiff betrifft. Wir haben keinen Hyperfunk, keine Hyperortung, kein Transistionstriebwerk. Wir sind hier gestrandet, viele Lichtberlenprags vom nächsten Sonnensystem entfernt“.

Atai Vessul machte eine kurze Pause, damit Onuk de Ariga als auch Ethao wes‘tiga Gipho seine Nachricht verdauen konnten.

„Erschwerend kommt hinzu“ fuhr Atai Vessul fort, „dass auch alle Beiboote, Roboter usw. davon betroffen sind. So wie wir es gewohnt sind, funktionieren unsere Systeme nicht mehr. Und es hilft nichts, Komponenten aus beschädigten Systemen in andere Systeme einzubauen, um diese wieder vollständig einsatzbereit zu bekommen. Denn leider sind auch die entsprechenden Abgleich- und Kallibrierungssysteme ausgefallen“.

„Welche Systeme arbeiten noch?“ fragte Onuk, der Technik als Mitttel zum Zweck benutzte und kein Techniker war, selbst wenn er entsprechende Hypnoschulungen vor langer Zeit absolviert hatte.

„Eigentlich nur noch zwei und auch vermutlich nur deswegen, weil der Bereich besonders gut abgeschirmt ist: der Andruck-Absorber und der Gravitationserzeuger der Zentrale. Zwei Ebenen oberhalb bzw. unterhalb der Zentrale geginnt schon die Schwerelosigkeit, wie sie im gesamten Schiff herrscht“.

Es herrschte für einige Palbertontas fast totenstille im Besprechungsraum, bis                               Athor Ethao wes‘tiga Gipho das Wort ergriff: „Ich verhänge mit sofortiger Wirkung den Ausnahmezustand über dieses Schiff! Wir müssen mit den noch vorhandenen Resourcen viele Berlenprags, im schlimmsten Fall viele Vothanii auskommen. Ich werde zusammen mit den Führungsoffizieren Pläne ausarbeiten, die uns ein Überleben und möglicherweise die Rettung ermöglichen. Glücklicherweise hat uns die letzte Transition nicht allzuweit von Trantagossa gebracht. Ich werde Kurs auf Trantagossa setzen lassen und wenn uns die She’Huhanii gewogen sind, findet uns vielleicht ein anderes Schiff in der Zwischenzeit“.

Onuk wollte Einspruch erheben, aber Ethao wes‘tiga Gipho kam ihm zuvor: „Ich beziehe mich auf das im Imperium allgemeingültige Bordgesetz, dem auch Privatyachten unterstehen. Danach hat der Athor des betroffenen Schiffes die alleinige Befehlsgewalt, solange dem Schiff oder der Besatzung Gefahr droht. Diese Situation ist gegeben!“

Onuk musste sich eingestehen, das Athor Gipho Recht und Gesetz auf seiner Seite hatte, so zu handeln. Andererseits war es für ihn eine unwirkliche Situation, möglicherweise Befehle befolgen zu müssen oder zur Untätigkeit verdammt zu sein.

„Haben Sie schon eine Ahnung, wie lange wir nach Trantagossa benötigen werden?“ fragte er.

Athor Gipho trommelte unbewusst mit seinen Fingerspitzen auf die Tischplatte, bevor er die Frage beantwortete: „Bei ‚normaler‘ Unterlichtgeschwindigkeit würden wir ungefähr 216 Pragos benötigen. Aber solange werden unsere Vörräte nicht ausreichen. Darum habe ich beschlossen, das Schiff auf 80% der Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen und diese Geschwindigkeit beizubehalten. Das hat zwei Nebenwirkungen: zum einen eine Zeitdillatation und zum anderen sind wir blind, was vor uns liegt. Durch die Zeitdillatation werden wir Trantagossa in ungefähr 97 Pragos erreichen, während im Imperium 162 Pragos vergehen. Gegen den Blindflug können wir nichts ausrichten: wir haben keine Hyperortung mehr und selbst wenn, wäre die Reaktionszeit mit unseren angeschlagenen Systemen viel zu langsam“.

„Warum gerade 80% der Lichtgeschwindigkeit?“ fragte Atai Vessul, der sich bisher zurück gehalten hatte.

„Nun, die ‚normale‘ Geschwindigkeit für ein Transitionssprung beträgt 40% der Lichtgeschwindigkeit. Damit würden wir Trantagossa in 216 Pragos erreichen. Unsere Vorräte an Lebensmittel und Wasser reichen nur für neun Berlenprags, also 108 Pragos. Wenn ich noch etwas Reserve in diesen 108 Pragos einrechne, dann komme ich auf 80% der Lichtgeschwindigkeit“.

Onuk dachte nach. Ihnen blieb kaum eine andere Möglichkeit, als so, wie es Athor Ethao wes‘tiga Gipho eben gesagt hatte, zu verfahren. Keine Möglichkeit, ein anderes Schiff um Hilfe zu bitte, keine Möglichkeit, seiner Familie mitzuteilen, was vorgefallen war. Sie waren von jeder Hilfe abgeschnitten!

Onuk stand auf und mit ihm die beiden Männer. Er sah beide an, bevor er sich an Ethao Gipho wandte. „Sie haben meine Unterstützung. Unternehmen Sie alles, was für das Überleben der Besatzung notwendig ist. Eine andere Möglichkeit sehe ich auch nicht. Wenn etwas sein sollte finden Sie mich in meinem Quartier“. Damit drehte er sich um und verließ niedergeschlagen den Besprechungsraum.

* * *