11. Prago to Dryhan 14.598 da Ark

Das Ortungsgerät des Raumjägers gab ein akustisches Signal ab. Er warf einen Blick auf das Display, das ihm die tief in den Felsen des Asteroiden gelegene alte und vor langer Zeit aufgegebene Ortungsstation abbildete. Nur kurz ging ihm die Frage durch den Kopf, wie lange er schon nicht mehr hier war, seitdem er das letzte mal an einem ‚nicht genehmigten‘ Raumrennen teilgenommen hatte. Durch seine alten Kontakte zu der Gruppe, die die Raumrennen veranstalteten, hatte er sich einen dieser alten, von der Flotte ausgemusterten Raumjäger für einige Zeit ausleihen können. Aber er verwarf gleich wieder den Gedanken. Unwichtig! Er war nicht hier, um in Sentimentalitäten zu schwelgen, sondern um sich mit dem Mörder von Onista zu treffen. Er drückte die Sendetaste und der ihm bekannte Öffnungscode wurde ausgesandt. Kurz darauf erkannte er am Ortungsbild, dass sich der Hangar öffnete.

Wenige Palbertontas später bremste er den Raumjäger ab und schwebte mit geringer Geschwindigkeit in den Hangar ein. Direkt neben einem ihm unbekannten Beiboot setzte er den Raumjäger auf und deaktivierte die Schiffsysteme. Der Mörder wartete also bereits!

Nach dem Aussteigen begab er sich in die Luftschleuse und wartete den Druckausgleich ab. Erst danach konnte er den Helm des Raumanzugs öffnen und die etwas abgestandene Luft einatmen. Mit unterdrückter Wut stapfte er in Richtung des Aufenthaltsraums.

* * *

Er trat in den Aufenthaltsraum und blieb überrascht stehen, als er eine Frau erkannte. Damit hatte er nicht gerechnet. Langsam schritt er voran, während sich hinter ihm das Schott schloss. Er setzte sich ihr gegenüber und sah sie fixierend an. In seinem Gesicht zuckten einige Muskeln, als er an Onista denken musste, die er geliebt hatte und die jetzt Tot war. Ihm gegenüber saß die Frau, die vorgab, alle seine Fragen beantworten zu können.

„Steht unser Abkommen noch?“ fragte sie kalt.

„Selbstverständlich. Ich stehe zu meinem Wort. Nach unserem Gespräch können Sie durch dieses Schott gehen…“, er deutete mit einer Kopfbewegung auf das Schott, durch das er gerade den Raum betreten hatte, „…und werden an einem sicheren Zufluchtsort gebracht. Aber zuvor…“ antwortete er mit einer rauen Stimme, die nicht seine zu sein schien, aber seine Wut und Haß durchklingen ließ, „…will ich den Speicherkristall mit allen Informationen und alles wissen! Versuchen Sie erst gar nicht, es zu leugnen. Für mich sind Sie die Mörderin von Onista und ihrer Schwester!“

Sie sah ihn eine Weile an, bevor sie zustimmend nickte und ohne Regung sagte: „Ja, Sie haben Recht!“. Anschließend holte sie aus einer versteckten Anzugtasche einen Speicherkristall und legte ihn auf die Mitte des Tisches. Danach fing sie an, vom Auftrag und von seiner Durchführung zu erzählen.

Nachdem sie geendet hatte, saß Charrut noch einige Zeit wie versteinert da und versuchte, das eben gehörte zu verarbeiten. Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt, nachdem er hören musste, wie leidenschaftslos sie von einem Mord sprach. Er war Soldat. Der Tod war in seiner Welt allgegenwärtig, war Teil seiner Aufgabe. Sie aber hatte für Chronners Leben ausgelöscht. Er verabscheute sie zutiefst.

„Was ist der Preis für das Auslöschen eines Lebens?“ fragte er.

„Das gehört nicht hierher“ erwiderte sie kalt.

„Wieviel?“ brauste er auf und der Blick, den er ihr zuwarf, sagte, dass er sich am liebsten auf sie gestürzt hätte.

„450.000 Chronners“, erwiderte sie. Charrut schloss kurz die Augen und musste schwer schlucken. ‚So wenig ist also ein Leben wert‘ ging es ihm durch den Kopf. Nach einem kurzen Augenblick öffneten Charrut seine vor Erregung tränenden Augen und presste heraus: „Wenn ich nicht mein Wort gegeben hätte, wären Sie jetzt tot. Gehen Sie mir aus den Augen. Verschwinden Sie!“ Gleichzeitig drückte er auf seinem Armbandkommunikator eine Taste und sendete das verabredete Signal aus, als seine Vermutung zur Gewissheit wurde, dass sie die Attentäterin war.

Die Frau stand auf, eine schlanke, kräftiger gebaute Bras’cooi, und ging zum Schott. Als es sich öffnete, standen dahinter vier bewaffnete Mehandor, mit flimmernden Strahlenkarabinern schweren Kalibers im Anschlag, sowie ein fünfter Mann in der Uniform der Raumakademie Varynkor.

Ruckartig blieb sie stehen.

„Hände hinter den Kopf und keine Bewegung“, fuhr sie einer der Mehandor laut an. Langsam hob sie die Hände.

„Ich wusste, dass man einem Adligen nicht trauen darf, als ich mich auf dieses Abkommen einließ , zischte sie wütend hervor.

Charrut, der in der Zwischenzeit auch aufgestanden war und jetzt schräg hinter ihr stand, erwiderte kalt: „Ich habe gesagt, dass ich mich an mein gegebenes Wort halte. Aber es war nie die Rede davon, was und wo der Zufluchtsort sein würde.

Der fünfte Mann trat in den Raum ein und stellte sich zu Charrut.

„Alles in Ordnung?“

„Ja, ich danke Dir, dass du und deine Sippe mir diesen Gefallen tun.“

Tranthar nickte leicht mit den Kopf und erwiderte, wobei er die Frau ansah: „Bleibt es dabei?“

Charrut nickte ebenfalls und sagte: „Ja. Nimm sie, solange sie lebt, als Mitglied auf einem eurer Schiffe auf. Sie ist kräftig gebaut, körperliche Arbeit wird ihr nicht schaden. Und was ihr Raumschiff und ihr Vermögen angeht: Macht damit, was ihr wollt, es interessiert mich nicht“.

„Wenn ich jemals frei komme, bringe ich Sie um!“ stieß sie wütend hervor, während sie Charrut mit zornig-glänzenden Augen ansah. Charrut konnte erkennen, dass sie sich sofort auf ihn gestürzt hätte, wenn da nicht die drohenden Waffen der Mehandor gewesen wären.

Mit kalten Augen erwiderte Charrut: „Der Tod ist nur der Anfang. Ich werde eines Tages vor den She’Huhanii treten und zu ihren Füßen sitzen. Aber nicht Sie, Sie Mörderin!“

Tranthar gab seinen Leuten ein Zeichen. Ein Mehandor trat vor und legte der Frau wenig feinfühlig Handschellen hinter den Kopf an und führte dann eine Leibesvisitation durch. Danach wurde sie in die Mitte der Mehandor genommen, vorwärts gestoßen und fortgeführt.

Tranthar sah seinen Freund Charrut an.

Er deutete auf Charruts Hand, die den Speicherkristall hielt und fragte: „Was wirst du mit den Informationen machen?“

Charrut sah auf seine Hand und erwiderte: „Darüber muss ich erst in Ruhe nachdenken“.

Tranthar nickte verstehend und erwiderte: „Dann lass' uns aufbrechen. Wir müssen pünktlich in der Akademie sein!“

Charrut nickte und gemeinsam gingen sie zurück zum Hangar. Unbewusst ballte Charrut die Hand, die den Speicherkristall hielt, zur Faust. Die Informationen waren für ihn sein wertvollster Schatz!

* * *

4. Prago to Messon 14.598 da Ark – irgendwo im Tai Ark‘Tussan

Die Türen des Vortragsraums öffneten sich und die Khasurnführer strömten heraus. Gemeinsam mit Onuk de Ariga ging Ultral I. de Harkon, Vater von Charrut, zum Dinnerbereich. Dort nahmen Sie an den für Sie reservierten Tisch Platz und bestellten bei der sofort herbeieilenden Bedienung Getränke.

"Und, wie beurteilst Du die Vorträge?"

Ultral wiegte den Kopf, bevor er antwortete:

"Man merkt, dass sich Imperator Saran III. Gedanken gemacht hat."

Bevor Ultral weiter antworteten konnte, kam die Bedienung wieder und brachte beiden die bestellten Getränke.

Beide prosteten sich zu und tranken einen Schluck.

"Wie laufen die Geschäfte?" fragte Ultral I.
"Danke, ich kann mich nicht beklagen. Da sich mein Sohn Arano immer mehr in die Khasurnführung einbringt und Aufgaben selbstständig erledigt, kann ich mich mehr und mehr um neue Geschäftskontakte bemühen" erwiderte Onuk. "Und wie läuft es im Elimor-Sektor

"Gut, eigentlich sehr gut." antwortete Ultral und nippte an seinem Glas. "Ich wäre froh, wenn ich das gleiche von meinen Sohn Charrut sagen könnte. Aber wie du weist, ist er auf der Raumakademie Varynkor. Es scheint, als wenn er langsam Interesse an den Khasurn-Aufgaben zeigt. Als er im Tarman für einige Pragos nach Harkon kam, habe ich das erste Mal sein Interesse bemerkt. Aber mir wäre wohler, wenn ich wüsste, dass er fest eingebunden wäre und irgendwann mein Nachfolger wird. Aber die Ausbildung auf der Raumakademie ist nicht ohne Risiko und Charrut hat mir schon von einigen Todesfällen berichtet. Wenn ich daran denke, dass er mein einziger Sohn ist, bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen." Er behielt die tragische Liebelei seines Sohnes mit einer Essoya für sich. Wenn das in den Adelskreisen bekannt würde… Der Khasurn hatte schon so genug Probleme im Adel mit der Votharsars alten Geschichte.

"Ja, das kann ich verstehen." erwiderte Onuk. "Vielleicht solltest du ihn verheiraten, dann muss er Verantwortung übernehmen!"

"Ja, der Gedanke ging mir durch den Kopf. Aber wie du weisst, ist die Vergangenheit des Harkon-Khasurns nicht gerade ruhmreich. Finde da einmal einen Khasurn, der seine Tochter mit einem Sohn der 'del Harkon' vermählen würde".

Onuk nickte und sagte: "Ja, das kann ich gut nachvollziehen. Mit einem Imperator in der Familienchronik, der abgesetzt worden ist und die Herabstufung des Khasurns ist es nicht einfach. Viele Khasurns vergessen so etwas nicht. Aber du wirst eine Lösung finden, da bin ich mir sicher. Auch ich muss eine Lösung für meine Tochter Merida finden".

"Bereitet sie euch noch immer Probleme?" fragte Ultral I. überrascht. "Ich dachte, du hättest die Lösung gehabt?"

"Hatte ich gedacht. Aber es wird immer schlimmer. Früher hat sie Chronnors mit vollen Händen ausgegeben, aber mittlerweile findet man sie auf jedem Empfang auf Ariga, ob eingeladen oder nicht und wenn sie zuviel getrunken hat, wird sie pretiös. Dann müssen meine Frau und ich bei den anderen Khasurns immer die Wogen glätten. Es ist ein nicht endend wollender Kampf", sagte Onuk leicht verbittert und blickte nachdenklich und gedankenverloren vor sich auf den Tisch.

Ultral war froh, das Onuk selbst mit seinen Problemen beschäftigt war, ihn nicht fragte, wie es dazu kam, das Charrut auf eine Raumakademie gehen konnte. Er hätte es ihm nicht sagen können, nicht sagen dürfen, dass er vor ungefähr fünf Tai-Vothanii mit dem Shekur Errenol Agh Loksomh eine besondere Vereinbarung getroffen hatte. Und wie er es geschafft hatte, Charrut glauben zu lassen sich an die Faerhl von Varynkor anzumelden wäre seine eigene Idee gewesen.

Seine Gedanken eilten in die Vergangenheit zurück…

* * *

Die Nachrichten und Informationen, die Ultral aus Tanthur-Lok und dem übrigen Tai Ark’Tussan erhielt, verhießen nichts Gutes für die Zukunft.

Imperator Saran III. erlies Dekrete und verabschiedete Gesetze, die für das Tai Ark’Tussan und seinen Bewohnern im Laufe der Zeit weitreichende Veränderungen mit sich bringen würde. Eines der Dekrete, die er vor einigen Tai-Vothanii erließ, war die Errichtung einer Faehrl auf dem Planeten Varynkor, die auch für das einfache Volk offenstand. Gerade dieses Dekret des Imperators löste einen Sturm der Entrüstung im Adel aus. Insbesondere der oberste Adel sah sich in seinen elitären Grundfesten beschnitten, war doch der Besuch einer Raumakademie wie Iprasa, Goshbar oder Largamenia gleichbedeutend mit einer militärischen Karriere und auserwählten gesellschaftlichen Stellung. Und jetzt durften auch Essoya, Bras’cooi und andere auf eine Raumakademie gehen! Was der oberste Adel allerdings verschwieg, war die Tatsache, dass immer weniger adlige Söhne und Töchter auf eine Raumakademie gingen, um ihre Pflicht in der Flotte zu leisten.

Ultral I. war wie elektrisiert, als er das Dekret las und einige Zeit später erfuhr, dass mit dem Bau der Raumakademie auf Varynkor begonnen wurde. Er selbst war für eine Ausbildung auf der Raumakademie einfach zu alt und als Khasurnoberhaupt dafür nicht mehr in der Lage. Aber sein Sohn Charrut konnte gehen. Wenn dieser Erlass nicht wäre, der im direkten Zusammenhang mit der Verbannung der Harkonii von Gos’Ranton stand: Kein Harkonii durfte je wieder eine Raumakademie besuchen!

Ultral I. konnte warten. Vielleicht ergab sich ja in Zukunft eine Möglichkeit…

* * *

Eine Ordonanz, Ultral erkannte am Abzeichen, dass es der zweite Offizier des Flaggschiffs von Shekur Errenol Agh Loksomh war, geleitete ihn in das Arbeitszimmer des Sonnenkurs. Als Ultral I. del Harkon eintrat, erhob sich hinter dem großen Arbeitstisch der Shekur und kam ihm entgegen. Errenol und Ultral reichten sich ihre Hände und griffen sich an den Unterarmen und Errenol deutete auf eine gemütliche Sitzecke in dem hinteren Teil seines Arbeitszimmers mit einem Glastisch davor und einigen Sesseln.

„Bitte, Zdhopandel, nehmen Sie Platz. Möchten Sie etwas trinken?“ fragte Errenol und sah Ultral fragend an.

„Ein Glas Wenas wäre mir recht“, erwiderte Ultral und setzte sich in einen der Sessel.

Errenol holte zwei Gläser und eine Flasche Wenas aus einem verborgenem Depot, stellte je ein Glas bei Ultral und vor sich auf den Glastisch ab und goss ein.

Anschließend setzte er sich Ultral gegenüber, prostete ihm zu und nahmen einen Schluck. Nach dem Schluck stellte Errenol sein Glas ab, nahm eine bequeme Haltung auf der Couch ein und sagte: „Sie baten um eine Unterredung, Zdhopandel.“ Und sah Ultral auffordernd an.

Ultral hatte sich eine Strategie zurechtgelegt. Er lehnte sich im Sessel zurück, sah Errenol direkt an und sagte: „Die Zukunft des Tai Ark’Tussan ist bedroht. Seit Tai-Vothanii formiert sich Widerstand gegen Imperator Saran III. Erst wenig, jetzt immer deutlicher. Und der Widerstand tritt immer stärker in Erscheinung. Selbst kriegerische Auseinandersetzungen finden statt. Der Imperator hat wenig Rückhalt im Adel, nachdem er sich für viele Reformen entschieden hat.“ Er machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach: „Ich sehe es so, das auf langer Sicht es einen Bürgerkrieg geben wird, der das Tai Ark’Tussan destabilisieren wird. Der Imperator und letztendlich auch Sie werden nicht darum herumkommen, sich für die bevorstehenden Kämpfe zu rüsten und sich Mitstreiter im Adel zu suchen. Sehe ich es soweit richtig?“

Errenol überlegte kurz, bevor er eine zustimmende Geste mit seinen Händen machte und erwiderte: „Und Sie sind jetzt zu mir gekommen, um dem Imperator und mir die Loyalität des Khasurns der Harkonii darzulegen?“

Ultral machte eine abwehrende Geste mit seinen Händen und erwiderte: „Über die Loyalität meines Khasurns zum Imperator müssen wir nicht reden. Sie haben sich vorbereitet und kennen unsere Geschichte. Seit der Khasurn vor fast eintausend Tai-Vothanii von Gos’Ranton verbannt wurde, war der Khasurn IMMER loyal zum amtierenden Imperator. Nein, deswegen bin ich wahrlich nicht hier. Weshalb wir diese Unterredung führen, ist: Ich möchte Ihnen ein Geschäft vorschlagen, das für beide Seiten von Vorteil wäre!“

Errenol sah Ultral spöttisch an und meinte: „Welcherlei Geschäft könnte für den Imperator mit einem Khasurn von Vorteil sein? Soll er die berechtigte Verbannung des Khasurns von Gos’Ranton etwa aufheben?“

„Fast. Ich dachte eher an das Verbot, dass jemals wieder ein Harkonii eine Raumakademie besuchen darf!“ erwiderte Ultral und versuchte, wie bei allen Verhandlungen, die er führte, einen neutralen Gesichtsausdruck zu zeigen, um nicht seine Gefühle offen zulegen.

Errenol stand auf und erwiderte: „Wir vergeuden unsere Zeit. Dieses Verbot hatte damals der Thi Than ausgesprochen und der nachfolgende Imperator per Dekret bestätigt. Der Khasurn musste verbannt werden, wenn Khasurnmitglieder Morde und andere Verbrechen begehen und der Imperator das deckt.“ Errenol sah das Treffen eigentlich bereits als beendet an, als Ultral I., der noch immer im Sessel saß, fragte: „Wollen Sie gar nicht wissen, was Sie dafür erhalten würden?“

Ultral zog eine MikroKSOL aus einer Tasche seines Anzugs und hielt sie Errenol entgegen. Widerstrebend griff Errenol nach der KSOL. Es konnte nicht schaden, einen Blick darauf zu werfen. Er aktivierte die KSOL und sah sich die Informationen an, die sie enthielt. Je mehr er von den Daten lass, umso interessanter wurde es. Er setzte sich wieder auf die Couch und las weiter, während Ultral wartete und an seinem Glas Wenas nippte.

Als Errenol fertig war, blickte er leicht überrascht zu Ultral hinüber und fragte: „Sie wollen wirklich, als Gegenleistung, diesen Stützpunkt Hark’alor, dem Imperium überlassen?“

„Ja, das will ich!“ erwiderte Ultral fest und sah dabei Errenol in die Augen.
„Wer sagt mir, dass der Stützpunktplanet nicht längst von einer anderen Macht eingenommen worden ist? Dass die Anlagen, so wie es die vorliegenden Daten aussagen, noch funktionieren?“ fragte Errenol zurück.

„Sie haben mein Wort. Ich war erst vor kurzem dort, habe die Anlage inspiziert und mich vom Zustand überzeugt.“

Ultral legte eine kleine Pause ein, bevor er weiter fortfuhr. „Sicherlich, hier und da müssten Dinge modernisiert werden, Positroniken aktualisiert oder ausgetauscht werden. Aber, alles in allem, sparen Sie eine Menge an Zeit und Geld. Grundsätzlich ist der Stützpunkt sofort einsatzbereit!“

Errenol dachte nach. Das Angebot war verlockend, sehr verlockend sogar. Und er kannte die militärischen Pläne des Imperators. Ein Stützpunkt dieser Größenordnung würde tatsächlich das militärische Machtgefüge in diesem Teil des Tai Ark’Tussan zu Gunsten des Imperators und damit auch für ihn beeinflussen. Und, der Imperator konnte es sich nicht leisten, das womöglich dieser Stützpunkt an die rebellische TDA ‚verloren‘ ging.

Er legte die KSOL vor sich auf den Tisch und fragte: „Wie kommt ein Khasurn Ihrer Größenordnung zu solch einem Objekt? Der Aufbau hat sicher viele Tai-Vothanii gedauert, abgesehen von den immensen Kosten?“

Ultral erwiderte seinen Blick und sagte: „Wir haben keinen Verwendungszweck mehr für diesen Stützpunkt. Er wurde damals, noch bevor Serlan I. abdanken musste, von Mitgliedern des Khasurns aufgebaut. Er war ursprünglich als ein Rückzugsort gedacht.“

Errenol sah Ultral abschätzend und nachdenklich an. Ultral konnte, auch wenn er kein Extrasinn hatte, fast die Gedanken erraten, die sich hinter der Stirn von Errenol verbargen. Darum sagte er energisch: „Zu meiner Sicherheit habe ich vorgesorgt. Ich kann Ihnen nicht die Koordinaten verraten, wo sich Hark’alor befindet. Eine Gefangennahme wäre also sinnlos und würde nur dafür sorgen, dass es nicht zu einer einvernehmlichen Lösung kommt!“

Errenol nickte verstehend und ein wissendes lächeln huschte kurz über sein Gesicht. Er fasste einen Entschluss. „Ich kann nichts versprechen, aber ich werde persönlich mit dem Imperator über diese Angelegenheit sprechen. Ich werde Sie kontaktieren, sobald ich das Gespräch geführt habe!“

Ultral hatte nichts anderes erwartet. Gemeinsam mit dem Shekur stand er auf. Errenol begleitete Ultral bis zum Ausgang seines Büros und zum Abschied reichten sie sich die Hände.

Als Ultral in den Gang trat fragte Errenol von hinten: „Sie haben mir noch nicht verraten, wer auf die Raumakademie gehen soll!“

Ultral drehte sich um und erwiderte: „Ab jetzt für alle Zeiten jeder Nachkomme ersten Grades des obersten Harkon-Khasurns, einschließlich meines Sohnes!“

In Errenols Gesicht zuckten die Gesichtsmuskeln, als er versuchte, nicht zu lachen. ‚Was für ein gewiefter Geschäftsmann dieser Ultral del Harkon doch war. Mit diesem einen Satz hatte das Khasurnoberhaupt den Ausgangspunkt für einen gesellschaftlichen Neuanfang geschaffen‘.

Er nickte verstehend und gab der Ordonanz, die in der Nähe gewartet hatte, ein Zeichen, um Ultral del Harkon fortzuführen, bevor er sich in sein Büro zurückzog.

* * *

Ultral wurde etwas unsanft aus seinen Erinnerungen geholt. Onuk musste ihn angestoßen haben, denn dieser fragte: „Was ist los mit dir? Du hast überhaupt nicht reagiert, als ich dich jetzt zweimal ansprach“.

Ultral I. schloß kurz die Augen und wischte sein Haar mit einer Bewegung nach hinten, bevor er antwortete: „Tut mir leid. Ich musste kurz an die Vergangenheit denken…“.

Onuk sah in fragend an, aber Ultral überging die unausgesprochene Frage seines Freundes, indem er sagte: „Laß uns lieber etwas von erfreulichen Dingen reden. Wir haben derzeit einen Überschuß an Erzförderung. Hättest du Interesse, mir den Produktionsüberschuss abzukaufen?".

Onuk nickte verstehend und erwiderte: "Wieviel Überschuss für wieviel und für wie lange?" und aktivierte seine KSOL, um die Werte einzugeben.

* * *

einige Berlanprags später im Messon im Kasurn de Ariga

Die Hiobsbotschaften für Onuk de Ariga rissen nicht ab. Vor einem Berlenprag kam die Nachricht aus Sektor Erynu vom Planeten Zhean, das die langandauernde Trockenperiode einen Großteil der Ernte zunichte machen würde. Gestern Abend erreichte ihn dann die Meldung dass sich auf dem Planeten Verol ein starker Vulkanausbruch ereignet hatte. Der Vulkanausbruch war an sich kein Problem, da er sich weit genug von allen zivilisatorischen Ansammlungen befand, aber er hatte Auswirkungen auf verschiedene Erzförderstätten und Bergwerke. Viele verherrende Einstürze brachten die Erzförderung praktisch zum erliegen. Die Produktionsausfälle sowohl auf Zhean wie auch von Verol würden hohe Vertragsstrafen nach sich ziehen, wenn er nicht innerhalb der nächsten Berlenprags die vereinbarten Tonnagen liefern konnte.

Die Khasurn-Positronik hatte errechnet, wie hoch die Produktionsausfälle sein würden und wie lange es dauern würde, bis die Erzförderung wieder anlaufen würde. Onuk traute seinen Augen nicht, als er die Zahlen sah. Sie deuteten noch höhere Verluste an, als er sich ausgemalt hatte.

'Ich kann von Glück reden, das ich von Ultral die überschüssige Erzförderung für die nächsten fünf Tai-Vothanii aufgekauft habe' ging es ihm durch den Kopf. 'Aber das wird nicht reichen, um die ausgefallene Erzförderung halbwegs auszugleichen. Ich brauche noch erheblich mehr Erz. Vielleicht kann Ultral mir da entgegen kommen!'. Er wollte gerade die Positronik befehlen, ihm mitzuteilen, welche Zeit gerade auf Harkon war, damit er Ultral per Hyperfunk kontaktieren konnte, als sich die Positronik bei ihm meldete:

"Zhdopandel, Khasurnoberhaupt Augh Agh'moas Zhalyemor wünscht Euch in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen!"

'Unser wichtigster Handelspartner ruft an? Was kann er wollen? Wir haben doch erst vor einigen Berlenprags neue Verträge geschlossen!' fragte er sich, laut antwortete er: "Durchstellen!"

Er trat vor dem großen Monitor, der sich gerade aktivierte und zeigte Augh Agh'moas Zhalyemor, einen alten Arki. Aughs Gesichtsausdruck wies sonst immer eine vornehme, edle Zurückhaltung auf, von der jetzt nichts zu sehen war. Im Gegenteil, sein Gesicht drückte unübersehbar Ärger und Zorn aus.

"Zhdopanda, ich grüße Euch" begrüsste Onuk seinen wichtigsten Geschäftspartner. "Wie kann ich…" Weiter kam er nicht. Augh schnitt mit einer gebieterischen Handbewegung seinen Redefluß ab.

Mit einer Stimme, die unterdrückte Wut durchklingen ließ, sagte Augh Agh'moas Zhalyemor:

"Zdhopandel, gestern Abend war Eure Tochter Merida auf einem für unseren Khasurn wichtigen Empfang. Bedeutende Handelspartner und ranghohe, aus dem direkten Umfeld des Imperators stammende Adlige waren anwesend. Und Eure Tochter hat es geschafft, unter dem Einfluß von Alkohol einige wichtige Personen zu beleidigen. Ich lasse es nicht zu, dass eine berauschte Tochter aus dem Tai-Khasurn unseren Ruf schädigt. Ich sage es Euch ohne viel herum zu reden: Löst das Problem, ansonsten sehe ich mich gezwungen, unsere Geschäftsbeziehungen aufzulösen!"

Bevor Onuk etwas erwidern konnte, wurde die Verbindung von Augh Agh'moas Zhalyemor beendet.

In Onuk kochte die Wut hoch. Wut und Zorn breiteten sich in ihm aus. Mit schnellen Schritten verließ er sein Arbeitszimmer und ging zum Aufenthaltsraum, wo er Merida vermutete. Noch bevor er den Aufenthaltsraum erreicht hatte, rief er mit wütender Stimme nach ihr. Als er in den Aufenthaltsraum eintrat, saßen dort seine Frau Adara und seine Tochter Utaiy und blickten ihn verwundert an.

"Wo ist Merida? Wo ist die Wahnsinnige?" brüllte er.

Seine Frau sprang auf und fragte erschrocken: "Was ist geschehen?"

"Was geschehen ist?" rief Onuk. "Eben rief mich Augh Agh’moas Zhalyemor an und drohte mir, alle Geschäftsverbindungen aufzulösen, weil unsere Tochter wieder einmal ihre Eskapaden getrieben hat und bei ihm gestern Abend ranghohe Mitarbeiter des Imperators beleidigt hat. Wo ist sie?"
"Sie ist nicht hier. Ich nehme an, sie wird bei einer Freundin übernachtet haben. Aber jetzt beruhige dich erst mal! Wenn sie kommt, werden wir ins Gewissen reden."

"Beruhigen? Wir haben so oft mit ihr geredet, und es hat nichts geholfen. Ich lasse nicht zu, dass sie uns mit ihrem Verhalten weiter schädigt. Nein, jetzt ist Schluss. Jetzt gibt es eine endgültige Lösung!"

"Was meinst du mit ‚endgültige Lösung'?" fragte Utaiy.

"Das weis ich noch nicht, aber ich lasse mir etwas einfallen" erwiderte Onuk zornig. Onuk drehte sich um und verließ den Aufenthaltsraum in Richtung Arbeitszimmer.

Adara sah ihm hinterher, bis er außer Sichtweite war und drehte sich dann langsam zu ihrer Tochter Utaiy um.

"Wenn sie nach Hause kommt, müssen wir beide mit ihr sprechen. Sorge dafür, dass sie Onuk heute nicht mehr über den Weg läuft. So aufgebracht habe ich deinen Vater noch nie gesehen!"

* * *

Onuk saß in seinem Arbeitszimmer und brütete düster vor sich hin. 'Das ganze Universum scheint sich momentan gegen mich verschworen zu haben. Warum, bei Arkons Heroen, warum muss ich so bestraft werden?' ging es ihm durch den Kopf. 'Erst die Probleme mit der Erzförderung und den Ernteausfällen und jetzt auch noch Merida. Ach ja, ich wollte eigentlich Ultral anrufen' fiel es ihm wieder ein. Er hatte es fast vergessen über den Ärger mit Merida. Seufzend richtete er sich in seinem Sessel auf und wollte nach der KSOL greifen, um sich nochmals die damals mit Ultral vereinbarten Erzmengen und die dafür ausgemachten Zahlungen anzusehen, als seine Hand unbeabsichtigt über den Holo-Projektor strich. Ein 3D-Bild wurde projeziert, das seine Familie zeigt: seine über alles geliebte Frau, seinen Sohn Arano mit seiner Frau Isandra,… 'Das ist die Lösung! Er musste sie verheiraten. Dann war er nicht mehr für sie verantwortlich, dann würde sie traditionsgemäß den Khasurn verlassen müssen. Leider interessierte sich kein potenzieller Kandidat für Merida. Aber hatte Ultral nicht durchblicken lassen, das er seinen Sohn gerne verheiraten würde?‘ Er dachte nach. Es würde auf Dauer weniger Probleme bereiten, seine Tochter mit dem ‚del Harkon‘-Khasurn zu verheiraten als sie weiterhin in seinem Khasurn zu behalten und sich immer wieder mit den Problemen, die sie verursachte, auseinander setzen zu müssen. Das würde dann Ultrals Sohn Charrut Problem sein.

Wenige Palbertontas später öffnete sich die Tür zum Arbeitszimmer und seine Frau Adara kam herein. Sie setzte sich im gegenüber an den Schreibtisch und fragte: "Jetzt erzähle mir, was geschehen ist".

Onuk holte tief Luft und fing dann an, ihr von dem Anruf zu erzählen. Als er geendet hatte, dachte Adara kurz nach, bevor sie erwiderte: "Wir sollten mit ihr in Ruhe reden, wenn sie wieder im Khasurn ist"

"Nein! Die Zeit des Redens ist vorbei" erwiderte Onuk heftig und stand dabei auf. "Wir haben es im Guten versucht, immer wieder mit ihr geredet. Wir haben Ausgangssperren verhängt, ihre Finanzmittel erheblich reduziert. Wenn du dich erinnerst haben wir, als wir der Meinung waren, bei der Erziehung versagt zu haben, sogar eine Erzieherin für Merida eingestellt. Es hat alles nichts geholfen. DU musst dir im Klaren sein, das Merida kein Kind bzw. keine Jugendliche mehr ist, sondern eine Frau von 22 Tai-Vothanii. Ich habe ihr viel durch gehen lassen, weil sie unsere Tochter ist, aber sie hat einen Punkt überschritten, der inakzeptabel ist. Sie schädigt nicht nur sich selbst, sondern auch uns und unseren Ruf!"

Adara musste ihm nach einigen überlegen insgeheim Recht geben, auch wenn es ihr nicht gefiel.

"Hast du dir schon etwas überlegt?" fragte sie.

Onuk spürte aus der Fragestellung seiner Frau, das sie mit ihm letztendlich einer Meinung war.

Ruhiger erwiderte Onuk: "Mit 21 Tai-Vothanii ist es an der Zeit, dass sich eine Frau um eine feste Beziehung bemüht. Leider sieht das unsere Tochter nicht so. Darum bin ich der Meinung, dass wir ihr helfen sollten".

"Du meinst, dass sie heiraten sollte?" fragte Adara überrascht.

"Ja, der Meinung bin ich. Und ich denke, ich habe auch schon einen potentiellen Kandidaten!"

"Wen?" fragte Adara. "Ich wüsste momentan keinen Khasurn, der sich für sie interessieren würde. Merida hat sich mit ihrem Verhalten für andere Adelsfamilien unattraktiv gemacht."

"Ein Freund und Geschäftspartner von mir hat einen Sohn, der gegenwärtig auf einer Militärakademie geht. Er sucht für ihn eine passende Frau"

Als er sah, das Adara eine Frage stellen wollte, schüttelte er den Kopf und sagte: "Nein, du kennst ihn nicht. Es ist Ultral I. del Harkon"

"Was?" rief Adara schockiert. "Ein 'del Harkon'…' Mehr hörte Onuk nicht von seiner Frau. Onuk sah sie im Sessel zusammensacken.

Mit schnellen Schritten war er bei ihr und versuchte, dass sie wieder zu sich kam. Nach wenigen Augenblicken musste er aber feststellen, dass ihm es nicht gelingen würde. Er rief: "Positronik, medizinischer Notfall. Bauchaufschneider Yurna soll sofort kommen! Es eilt!"

Nach wenigen Palbertontas wurde die Tür zu seinem Arbeitszimmer aufgestoßen und Bauchaufschneider Yurna und ein weiterer Mediker kamen schwer atmend hereingestürzt. Bevor der Diener, der vor der Tür stand, hinter ihnen die Tür wieder schloß, sah Onuk neugierige Blicke von anderen Khasurndienern.

Yurna und der Mediker untersuchten kurz Adara mit medizinischen Scannern. Dann entnahm Yurna seiner Tasche eine Injektionspistole und injizierte Adara ein Mittel. Er drehte sich zu Onuk um und sagte: "Die Hochedle Adara ist nur ohnmächtig. Sie wird gleich wieder zu Bewusstsein kommen. Was ist geschehen?"

"Wir haben miteinander gesprochen und nachdem ich ihr etwas mitgeteilt habe, war sie auf einmal nicht mehr ansprechbar"

Yurna wollte eine weitere Frage stellen, aber der abweisende Blick Onuks hielt ihn davon ab. Gleichzeitig regte sich Adara wieder. Flackernd öffneten sich ihre Augen.

"Was…Was ist geschehen? fragte sie.

Onuk kniete sich vor seine Frau, nahm eine Hand von von ihr in seine beiden Hände und erwiderte: "Liebling, wir haben über unsere Familie gesprochen, dabei hast du dich zu sehr aufgeregt"

"Ach ja, ich erinnere mich."

Yurna nahm sein Messgerät zur Hilfe und überprüfte nochmals Adaras Zustand. An Adara gewendet sagte er: "Hochedle, Euer Kreislauf ist wieder stabilisiert. Aber Ihr solltet Euch etwas ausruhen, mindestens eine Tonta lang"

Anschließend packte er sein Messgerät wieder ein, verneigte sich vor Adara und Onuk und gemeinsam mit den anderen Mediker verließ er das Arbeitszimmer.

Adara wartete, bis sie und Onuk allein waren, bevor sie sagte: "Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du unsere Tochter so bestrafen willst. Der 'del Harkon'-Khasurn… Du weist, welchen Ruf im Adel der 'del Harkon'-Khasurn hat. Auch nach so vielen Tai-Vothanii ist so etwas nicht vergessen“

"Ja, ich weis es. Aber wir sollten nach vorne blicken, nicht immer nur in die Vergangenheit. Seitdem der Khasurn damals herabgestuft und aus dem Tiga Ranton verwiesen worden ist, hat er sich immer loyal verhalten. Das damals ihr Khasurnoberhaupt der 335. Imperator wurde und als Serlan I., der Mörder, in die Geschichte einging, wird sicherlich niemand mehr bedauern als der 'del Harkon'-Khasurn selbst!"

Adara dachte eine Weile nach und Onuk ließ ihr dazu Zeit. Dann fragte sie: „Du hast diesen Ultral I. del Harkon als deinen Freund bezeichnet. Das wusste ich ja garnicht. Warum nicht? Wieso seit ihr befreundet?“

Onuk hatte befürchtet, das dieses Thema irgendwann zur Sprache kommen würde. Und ausgerechnet seine Frau stellte jetzt die entscheidende Frage. Er würde nicht darum herum kommen, es ihr zu sagen, obwohl Ultral und er vor vielen Tai-Vothanii vereinbarten hatten, darüber Stillschweigen zu bewahren.

Seufzend setzte er sich in einem anderen Sessel neben seiner Frau, nahm eine Hand von ihr in einer seiner Hände und begann von den lang zurückliegenden Ereignissen zu berichten.
„Damals, es müssen jetzt annähernd 45 Tai-Vothanii her sein, war ich im Elimor-Sektor für meinen Vater unterwegs. Mein Vater war damals noch Khasurnoberhaupt und ich musste für ihn Geschäfte vorbereiten wie Arano jetzt für mich. Ich hatte damals den Auftrag, für unsere Produktionsstätten neue Erzlieferanten zu finden. Irgendwann führte mich mein Weg in das Komthra-System im besagten Elimor-Sektor. Ich hatte meine Sondierungs­gespräche eigentlich schon beendet, als sich im Komthra- und im benachbarten Khalatur-System unzufriedene Arbeiter zusammenrottenden und etliche Verwaltungsgebäude der Erzfördergesellschaften stürmten; und ich mittendrin. Ich wurde von den Aufständigen gefangen und als Geisel genommen. Ultral wurde von seinem Vater in das Komthra-System entsendet und sollte diesen Fall lösen. Und anders als so mancher gedacht hatte, tauchte er nicht mit einem Trupp Raumlandesoldaten auf, sondern erschien alleine und unbewaffnet. Einige erklärten ihn für verrückt und lebensmüde, aber das war er ganz und gar nicht. Mit seiner nicht ungefährlichen Aktion erntete er den Respekt der Anführer des Aufstandes. Sie willigten nach einigerer Zeit ein, sich mit Ultral an den Verhandlungstisch zu setzen und wegen dem Aufstand ein Gespräch zu führen. Um was es sich dabei han­delte, kann ich dir nicht sagen. Ich weis nur soviel, dass als Resultat des Gesprächs etli­che führende Mitarbeiter der Erzfördergesellschaften verhaftet und ich freigelassen wurden. Ultral begnadete darauf hin die Anführer des Arbeiteraufstandes. Nachdem ich freigelassen wurde, führten Ultral und ich ein Gespräch. Er bat mich, über den Vorfall den Mantel des Schweigens zu legen; weitere negative Nachrichten im Adel würde für das ram­ponierte Ansehen des ‚del Harkon‘ Khasurns nicht gerade förderlich sein. Als Gegen­leistung bot er mir an, mit den ausgehandelten Preisen für die Erzlieferungen weiter herunter zu gehen. Ausserdem lud er mich für mehrere Pragos nach Harkon ein, aber ich lehnte ab. Ich wollte damals nach diesem Vorkommnis erstmal wieder nachhause. Etliche Tai-Vothanii später, als wir uns wieder begegneten und er die Einladung erneuerte, nahm ich sie an. So lernte ich damals ihn näher kennen und aus unserer Bekanntschaft wurde im Laufe der vielen Tai-Vothanii Freundschaft“

Nach einiger Zeit seufzte Adara und erwiderte: "Ich verstehe, warum ihr darüber Stillschweigen vereinbart habt. Aber dass du es mir nicht erzählt hast, verstehe ich nicht. Ich bin deine Frau, ich dachte, wir hätten keine Geheimnisse voreinander! Und mit deiner Entscheidung für Merida bin ich erst recht nicht glücklich, aber wenn du der Meinung bist, dass es so richtig ist, trage ich die Entscheidung mit."

"Verzeih mir. Ich verspreche dir, dass ich vor dir keine Geheimnisse mehr haben werde! Und was Merida angeht, denke ich, dass es die richtige Entscheidung ist! Es ist gut, dass du mir den Rücken stärkst."

Adara stand auf und sagte: "Ich ziehe mich für eine Weile zurück. Bauchaufschneider Yurna hat empfohlen, dass ich mich ausruhe". Mit den letzten Worten drehte sie sich um und verließ das Arbeitszimmer von Onuk.

* * *

Onuk hatte der Positronik befohlen, eine Hyperfunkverbindung zu Ultral I. del'moas Harkon herzustellen. Nachdem er einige Palbertontas warten musste, teilte ihm die Positronik mit, dass die Verbindung hergestellt worden sei.

Onuk stellte sich vor dem großen Monitor und wartete darauf, dass sich das Gerät aktivierte. Als es soweit war, erblickte er Ultral.

"Ich grüße dich mein Freund" sagte Onuk.

"Hallo Onuk. Du siehst mich leicht verwundert. Mit einem Anruf von dir habe ich jetzt nicht gerechnet. Gibt es mit den Erzlieferungen Probleme?" fragte Ultral.

"Nein, die Lieferungen durch die Mehandor sind in Ordnung. Aber trotzdem rufe ich dich wegen eines speziellen Geschäftes an."

Ultral nickte leicht und sagte: "Sprich, um was geht es?"

"Nein, nicht per Funk. Das Geschäft ist zu speziell. Könnte ich morgen zu dir kommen? Ich würde es gerne mit dir unter vier Augen bereden."

Ultral blickte Onuk verwundert an, sagte aber: "Selbstverständlich kannst du gerne nach Harkon kommen."

"Dann erwarte mich zur Mittagszeit auf Harkon. Ich werde per Transmitter eintreffen"

"Also gut, dann bis morgen Mittag. Ich erwarte dich" erwiderte Ultral und beendete das Gespräch.

* * *

am nächsten Prago im Kasurn del Harkon

Ultral wartete in der Nähe der khasurneigenen Transmitterstation auf die Ankunft von Onuk de'moas Ariga, einem alten Geschäftspartner und Freund. Die Aussage von Onuk, das er wegen eines speziellen Geschäftes extra nach Harkon kommen würde, hatte ihn überrascht. Normalerweise wurden Geschäfte per Hyperfunk abgewickelt, persönliche Kontakte wurden oftmals nur am Anfang einer neuen Geschäftsbeziehung gemacht, ansonsten blieb für diese Art der Kontakte einfach zu wenig Zeit. Er hatte gestern noch darüber gegrübelt, was es sein konnte, weswegen Onuk selbst kommen wollte, war aber zu keinem Ergebnis gekommen.

Die Kontrolleinheit zeigte grünes Licht und das Rematerialisierungsfeld zeigte ein absolut schwarzes Feld. Gleich musste Onuk erscheinen. Ultral warf nochmals einen Blick zu seinen beiden Gardesoldaten, die im gehörigen Abstand warteten.

Ein Ton erklang und aus dem Rematerialisierungsfeld trat Onuk de'moas Ariga.

Ultral trat auf seinen Freund zu und sie reichten sich die Arme. "Willkommen auf Harkon, mein Freund" sagte Ultral.

"Vielen Dank" erwiderte Onuk freundlich.

"Kein Gepäck dabei?" fragte Ultral.

"Nein, ich kann leider nur einige Tontas bleiben, dann muß ich wieder fort" erwiderte Onuk.

"Laß uns in den Garten gehen. Ich habe Essen und Trinken herrichten lassen. Ich bin schon sehr gespannt auf das spezielle Geschäft."

Gemeinsam gingen sie in den Khasurngarten und setzten sich in den Schatten.

Es trat ein Diener heran und goß ihnen beiden aus einer Karaffe gekühlten Wenas ein. Nachdem der Diener sich wieder zurückgezogen hatte, fragte Ultral: "Nun, ich bin gespannt auf deine Worte!".

Onuk hatte sich seine Worte schon zurechtgelegt.

"Nun, zum einen bin ich gekommen, um über die Menge der Erzförderung, die ich dir bisher abgenommen habe, zu reden. Über die Menge und den Preis." Er holte seine KSOL hervor, aktivierte sie, sah kurz auf das Display und reichte sie Ultral. Ultral nahm sie, warf einen Blick darauf, dachte kurz nach und sagte dann: "Mein Freund, selbst wenn ich diese Menge an Erz zu dir liefern lassen würde, stimmt der Preis dafür nicht. Der ist weit unter dem, den wir kalkuliert haben. Völlig indiskutabel!" und legte die KSOL wieder vor Onuk auf den Tisch ab.

Onuk hatte mit dieser Reaktion gerechnet. Auch er hätte abgelehnt.

"Hast du schon eine Lösung für deinen Sohn Charrut gefunden?" fragte er zurück.

Ultral trank langsam einen Schluck vom herrlich gekühlten Wenas und dachte nach. 'Was hat Charrut damit zu tun? Was will mir Onuk verkaufen? Jetzt kommt wohl das 'spezielle' Geschäft auf den Tisch'.

Laut sagte er: "Nein, habe ich noch nicht".

Onuk senkte seine Stimme und sagte, fast schon im Verschwörerton: "Aus diversen Gründen bin ich bereit, dir bei der Partnerwahl für deinen Sohn behilflich zu sein!"

Ultral sah seinen Freund fragend an und erwiderte: "Onuk, wir kennen uns jetzt schon so lange. Rede mit mir offen und ehrlich!"

"Also gut, mein Freund" sagte Onuk seufzend. "Ich denke, wir können uns beide behilflich sein. Ich stecke momentan in zweierlei Hinsicht in Schwierigkeiten. Zum einen ist in einem von mir verwalteten Planeten derzeit die Erzförderung durch einen Vulkanaus­bruch zusammengebrochen, wir können die Erzförderung frühestens in zwei oder drei Vothanii wieder aufnehmen. Darum brauche ich mehr Erz, viel mehr Erz, als wie unser Vertrag es vorsieht. Ich brauche dir wohl nicht sagen, wie hoch Vertragsstrafen ausfallen wenn man nicht vertragsgemäß liefern kann. Und zum anderen hat meine jüngste Tochter, Merida, wiederholt mit ihren Eskapaden einen meiner wichtigsten Vertrags­partner vor den Kopf gestoßen, so daß er mit der Auflösung aller Geschäftsbezie­hungen droht. Wir haben in der Vergangenheit alles getan, dass Merida Vernunft annimmt, aber da sind wir wohl gescheitert. Und da fiel mir ein, was du bei unserem letzten Treffen gesagt hattest. Dass du eine Ehepartnerin für deinen Sohn suchst, damit dein Sohn den Stammbaum der Harkonii weiterführt und dass er durch die Ehe lernt, Verantwortung zu übernehmen".

Ultral hatte mit größtem Interesse zugehört. 'Sollte sein Wunsch Wirklichkeit werden? Eine Frau für seinen Sohn, und dann noch aus einem höheren Adelskreis?' Er glaubte nicht, was er hörte. Sollte es wirklich möglich sein, den ‚Fluch‘ der Harkonii nach fast einem Votharsars fast komplett aufzuheben? Nur kurz tauchte die Verbannung der Harkonii von Gos’Ranton und auch das Verbot, das jemals wieder ein Harkonii auf eine Raumakademie gehen durfte in seinen Gedanken auf, ehe er wieder Onuk seine volle Aufmerksamkeit schenkte. Trotz aller Euphorie über das Gehörte fragte er kühl: "Und was kostet mich das?"
Onuk konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er antwortete: "Nun, alles hat seinen Preis! Dafür, dass du eine Schwiegertochter erhälst und dann auch noch aus einem höheren Adelsrang sind wohl 10% des Khasurnvermögens kein zu hoher Preis! Da stimmst du mir doch zu, oder?"

Ultral holte tief Luft. "Du erwartest von mir eine signifikante Erhöhung der Erzlieferungen zu einem deutlich unter Marktwert üblichen Preis und dann willst du dafür, das durch die Hochzeit mein Sohn in einen höheren Adelsrang aufgenommen wird, den üblichen 'Geschäftspreis' haben?" sagte Ultral und schüttelte den Kopf. "Wenn, dann höchstens 9,5%!"

Onuk winkte ab. "9,5% sind viel zu wenig. 9,8%"

Ultral schüttelte den Kopf und sagte: "Allerhöchstens 9,6%"

"9,7%" erwiderte Onuk bestimmt.

"Einigen wir uns auf 9,65%" sagte Ultral. Er hätte sogar die 10% des Khasurnsvermögen akzeptiert, denn so ein Angebot bekommt man nicht alle Pragos geboten. Aber so schnell wollte er nicht den Preis akzeptieren, schließlich war er auch dem Khasurnrat verpflichtet und außerdem hätte ein zu schnelles nachgeben seine Verhandlungsposition geschwächt. Andererseits musste Onuk unter Zugzwang stehen, sonst wäre er nicht auf ihn zugegangen.

"Also gut, einverstanden" gab sich Onuk geschlagen und setzte ein säuerliches Gesicht auf.

"Wie hast du dir die weitere Vorgehensweise gedacht?" fragte Ultral und klatschte dabei einmal mit den Händen. Gleich darauf erschien ein Diener. Ultral sagte ihm, das er Skelsh bringen sollte.

"Nun, ich muss noch mit unserem Khasurnrat sprechen und setze dann den entsprechenden Vertrag auf. Das entsprechende Formular für das Imperiale Amt für Adelsfragen auf Mehan'Ranton werde ich auch vorbereiten."

Der Diener kam zurück und stellte jedem ein gefülltes Glas Skelsh hin.

Beide Khasurnführer prosteten sich zu und besiegelten so ihren Vertrag.

"Jetzt haben wir zwar den Vertrag besiegelt, aber ich weis gar nicht, wie deine Tochter aussieht, welche Vorlieben sie hat usw." sagte Ultral. „Ich muss schließlich Charrut die Ehe schmackhaft machen“.

"Warte" sagte Onuk, griff in einer der verborgenen Taschen seines Anzugs und holte einen Holowürfel hervor und hielt ihn Ultral hin.

"Ich habe von Merida einige Bilder, Videosequenzen und Informationen zusammengestellt."

Ultral nahm den Holowürfel und ging flüchtig die Informationen und Bilder durch.

"Sie ist hübsch. Ich denke, sie wird Charrut gefallen" erwiderte Ultral. "Ich kenne seinen Geschmack, was Frauen betrifft" und dachte dabei an die unzähligen amourösen Abenteuer seines Sohnes in der Vergangenheit.

"Um so besser" sagte Onuk. "Ich werde jetzt wieder aufbrechen. In einigen Pragos melde ich mich, wenn die Unterlagen vorbereitet sind zur Unterzeichnung und dann wäre es nicht schlecht, wenn du nach Ariga kommen würdest. Außerdem könntest du dir Merida einmal selbst ansehen!"

"Einverstanden!" erwiderte Ultral.

„Und die Erzlieferungen?“ fragte Onuk, dem die Vertragspartner im Nacken saßen, wenn er nicht zum vereinbarten Zeitpunkt die ausgehandelten Tonnagen liefern konnte.

Ultral sah Onuk mit einem verschmitzten Gesicht an und erwiderte: „Ich werde noch heute dafür sorgen, dass du die benötigten Mengen in den nächsten Pragos erhältst. Zu den von dir gewünschten Preis!“

„Sehr gut!“ erwiderte Onuk in einem Tonfall, dem man die Erleichterung anhörte.

Gemeinsam standen sie auf und gingen langsam wieder in Richtung Transmitterstation. Keine zehn Palbertontas später war Onuk wieder auf seiner Jacht und ließ Kurs auf Ariga setzen.

Als kurze Zeit später Ultral in seinem Wohnbereich eintrat und sich auf seine Couch setzte, spürte er eine unendliche Erleichterung in sich. Er hätte nie gedacht, das sich das Schicksal des ‚del Harkon‘ Khasurns zu seinen Lebzeiten so radikal positiv verändern würde wie es derzeit aussah: mit Charrut endlich wieder ein Harkonii auf einer Militärakademie, er selbst würde diesen Tai-Vothani seine geliebte Onythia heiraten und für Charrut hatte er jetzt auch eine Frau gefunden. Und für beide würde es noch dazu ein gesellschaftlicher Aufstieg bedeuten. ‚Ich danke euch, She‘Huhanii!‘ bedankte er sich in Gedanken.

Aber noch war es nicht soweit, noch viel zu früh, um zu feiern. Jetzt würde noch das schwerste kommen: Charrut die Hochzeit ‚schmackhaft‘ zu machen, ihn davon zu überzeugen. Mit Sicherheit würde sein Sohn noch an seiner Verati hängen, die er erst vor kurzem bei einem Unglück verloren hatte. Und er musste noch mit dem Khasurnrat reden. Aber das sollte kein Problem darstellen, denn alle Khasurns der Harkonii würden davon profitieren…

* * *

einige Pragos später im Kasurn de Ariga

Merida sah ihren Karan und ihre Fama mit einem älteren Arki von der Transmitterstation kommend in den Empfangsbereich des Khasurns gehen. Sie war neugierig, wer der unbekannte Gast sein konnte. Sie wollte ihnen nachgehen, aber die Diener schlossen hinter ihren Eltern und dem Gast die Türen. Sie ging hinüber in den Aufenthaltsraum und fand dort ihre Schwester Utaiy lesend vor.

„Weißt du, wer unser Besucher ist?“ fragte sie.

„Nein, weiß ich nicht. Ich habe nur mitbekommen, das es ein Khasurnoberhaupt sein soll!“ erwiderte Utaiy und widmete sich wieder ihrer Lektüre.

Merida verzog das Gesicht. ‚Verdammt, auch von ihr erfahre ich nichts‘ dachte Merida und setzte sich. Über ihren Armbandkommunikator rief sie nach ihrer persönlichen Dienerin Namemi und als diese in den Aufenthaltsraum eintrat, befahl sie mit herablassender Stimme: „Bringe mir ein Glas Skelsh. Und verschütte nicht wieder die Hälfte wie gestern!“.

„Aber, Herrin, das war nur ein Tropfen, der am Glasrand heruntergelaufen ist“ erklärte die Dienerin mit versteinertem Gesicht.

„Genug! Tu, was ich dir befohlen habe“ erwiderte Merida und schickte ihre Dienerin mit einer herrischen Handbewegung fort.

Nachdem die Dienerin kurz den Raum verlassen hatte, sagte Utaiy zu ihr: „Warum behandelst du andere so? Sie hat dir nichts getan, sie macht nur ihre Arbeit“

Merida blickte Utaiy zuerst überrascht an, bevor sie ungehalten antwortete: „Sie ist nur eine Essoya! Die Essoya dienen uns, wie es die She’Huhanii vorgesehen haben“

Utaiy schüttelte den Kopf vor so viel Dünkelhaftigkeit und nahm das Lesen wieder auf.

Zwei Tontas später. Utaiy war genervt von der ewigen Fragerei Meridas, ob dieses oder jenes Kleid ihr stehen würde, die sie von ihrer KSOL projizieren ließ. Sie wollte schon aufstehen und in ihren Wohnbereich gehen, um in Ruhe weiter lesen zu können, als ihre Eltern mit dem unbekannten Gast erschienen.

Onuk sagte zu Ultral: "Das sind unsere beiden Töchter, Utaiy und Merida. Mein Sohn Arano ist gerade unterwegs."

Und an seine Töchter gewandt sagte er: "Das ist Khasurnführer Ultral I. del'moas Harkon."

Utaiy und Merida standen auf. Zuerst begrüsste die ältere Schwester Utaiy den Gast, anschließend Merida. Bei Merida nahm sich Ultral Zeit, sie sich genauer anzusehen. ‚Man müsste nochmals jung sein‘ dachte er sich. Merida sah hübscher aus, als es die Holos vermuten ließen, die ihm Onuk gezeigt hatte: Ihr aristokratischer Gesichtsausdruck, gepaart mit einer auf der rechten Gesichtshälfte senkrecht von der Stirn bis zum Kinn über ihr Auge gehende Tätowierung ließen sicherlich die Herzen diverser Khasurnsöhne schneller schlagen, verliehen sie ihr doch einen gewissen geheimnisvollen Hauch von Unnahbarkeit. Und ihre langen Haare unterstrichen ihre Weiblichkeit. ‚Wenn das nicht Charruts Geschmack ist‘ ging es Ultral durch den Kopf. Aber er vergaß auch nicht die Worte von Onuk, das Merida von Zeit zu Zeit ein hochtrabendes, affektiertes Verhalten zeigte. Und außerdem hatte sie es immer wieder geschafft, den Khasurn bei diversen Feierlichkeiten zu blamieren und bloßzustellen. ‚Dem muß auf Harkon ein Riegel vorgeschoben werden‘ nahm sich Ultral vor.

Merida de Ariga

"Sie sind wegen Geschäfte bei uns?" fragte Merida.

"Merida!" sagte ihre Fama in strengem Ton, da es ungehörig war, solche Fragen an einen Gast zu stellen.

"Schon gut" sagte Ultral. "Ja, ich bin gekommen, um Geschäfte abzuschließen". Dabei zuckten seine Mundwinkel etwas, da er sich ein Lächeln verkneifen musste.

"Wir haben ein, denke ich, für beide Seiten erfolgreiches Geschäft abgeschlossen."

Und an Onuk gewandt sagte er: "Du leitest die Unterlagen weiter?"

Onuk nickte und erwiderte: "Selbstverständlich. Noch heute!"

"Meine Damen, ich darf mich empfehlen" sagte Ultral, verneigte sich leicht und ging dann mit Onuk und Adara wieder aus dem Aufenthaltsraum in Richtung Transmitterstation.

* * *

Wenige Palbertontas später, Merida hatte den Besuch des unbekannten Khasurnoberhauptes schon wieder verdrängt, erschien ihre Fama Adara im zentralen Aufenthaltsraum und blieb in der geöffneten Tür stehen.

„Merida, kommst du bitte einmal? Dein Karan und ich haben mit dir etwas zu bereden.“

Merida sah überrascht von ihrer KSOL auf und wollte fragen, was denn so wichtig wäre, aber ihre Fama hatte sich bereits umgedreht und war gegangen, hatte aber die Tür offen stehen gelassen. Merida sah Utaiy fragend an, stand aber auf und folgte ihrer Fama. Sie beeilte sich, sie einzuholen…

Als Merida vor ihrer Mutter in den elterlichen Wohnbereich eintrat, sah sie ihren Karan auf der Couch sitzen und sie aus unergründlichen Augen ansehen. Nachdem ihre Fama die Tür geschlossen hatte, ging sie an Merida vorbei und setzte sich neben ihren Karan. Merida hatte ein ungutes Gefühl im Magen.

„Ist etwas geschehen?“ fragte sie.

Ihre Eltern sahen sich kurz an, bevor ihre Fama auf einen Sessel deutete. „Bitte setze dich“.

Merida nahm Platz, während sich ihr Magen weiter verknotete.

Adara holte Luft, bevor sie anfing zu sprechen.

„Es ist tatsächlich etwas ‚geschehen‘. Du erinnerst dich, was vor einigen Pragos im Khasurn der Zhalyemor vorgefallen ist?“

Merida schüttelte langsam den Kopf. Sie wusste, dass sie mit einer Freundin dort war, aber an Einzelheiten konnte sie sich nicht mehr erinnern.

Adara nickte nur leicht den Kopf. Sie hatte damit gerechnet, genauso wie ihr Karan Onuk, der ein verbissenes Gesicht machte.

„Wir haben damit gerechnet, Merida, das du dich nicht mehr daran erinnern kannst. Wir sind es mittlerweile gewohnt, dass du Empfänge dazu benutzt, zuviel dem Alkohol zuzusprechen.“ Die Stimme ihrer Fama war leise geworden und klang enttäuscht. Aber nur für wenige Augenblicke, dann sah diese sie direkt an und ihre Stimme wurde anklagend.

„Du hast einflussreiche Freunde von Khasurnführer Agh'moas Zhalyemor beleidigt. Durch deinen Faux-Pas hat er uns, dem Khasurn gedroht, alle Verträge zu kündigen. Du weißt, was das bedeutet?“

Merida war bestürzt. Sie konnte sich nicht daran erinnern, so etwas getan zu haben. Sie musste zugeben, dass sie die Tragweite nicht abschätzen konnte, da sie nicht in alle wirtschaftlichen Zusammenhänge des Khasurns eingeweiht war.

Daran, das Merida nicht antwortete, sondern nur schuldbewusst zu Boden blickte, erkannte Onuk, das die Frage von Adara mit einem klaren Nein zu beantworten war.

Onuk beugte sich etwas nach vorne und sagte: „Deine Fama und ich sind uns bewusst, das du nicht alle Zusammenhänge überblicken kannst, wer mit wem in welchen wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Beziehungen steht. Aber was wir erwarten können, ist, dass sich alle oberen Khasurnangehörigen zumindest an die gesellschaftlichen Regeln halten. Leider hälst du dich nicht daran. Und der Vorfall im Khasurn der Zhalyemor ist nur einer in einer langen Kette von unliebsamen Zwischenfällen, die unserem Khasurn auf die Dauer schaden.“

Merida bekam einen roten Kopf. Sie erinnerte sich vage an einige Vorfälle, bei welchen ihr Karan hinterher mit den jeweiligen Khasurnführern hatte sprechen müssen. Und dass sie diverse ‚Strafen‘ erhalten hatte.

Ihre Fama legte eine Hand auf den Arm von Onuk, als Zeichen, das sie weiter sprechen wolle.

„Dein Karan und ich haben immer wieder versucht, dich durch Ausgehverbote, Geldentzug und andere Massnahmen dazu zu bringen, dich vernünftiger und reifer zu verhalten. Aber mittlerweile hast du mit deinem Verhalten einen Punkt überschritten, der für uns, für den Khasurn existenzbedrohlich wird. Darum sind wir der Meinung, das eine Frau mit 21 Tai-Vothanii endlich lernen muss, Verantwortung zu übernehmen.“

Meridas Kopf wurde noch röter und ihre Augen fingen an zu tränen. Sie fühlte sich wie ein Kind, das dabei ertappt wurde, als es unerlaubt in einen Honigtopf griff. Sie konnte die Enttäuschung ihrer Eltern verstehen. Was mochten ihre Eltern jetzt mit ihr vorhaben?

„Ich verstehe eure Enttäuschung. Wirklich! Aber ich habe nie absichtlich zuviel getrunken, das müsst ihr mir glauben“ sagte sie leise. „Was habt ihr euch vorgestellt? Soll ich mich in ärztlicher Behandlung begeben?“

Ihre Eltern warfen sich gegenseitig einen Blick zu. Bevor Onuk anfangen konnte zu sprechen, erwiderte ihre Fama: „Ein interessanter Gedanke, Merida. Aber leider würde es nur deine mögliche Alkoholabhängigkeit beheben, aber nicht dafür sorgen, dass du Verantwortung übernimmst. Nein, versuche, etwas radikaler zu denken!“

Merida sah ihre Eltern fragend an, aber ihr fiel keine ‚radikale‘ Idee ein, die dafür sorgen konnte, mehr Verantwortung zu übernehmen. Zumindest keine Idee, die ihre Eltern akzeptieren würde. Nach einigen Palsartontas machte sie mit ihren Händen eine rat- und hilfslose Geste.

Sie sah, wie sich ihr Karan leicht ungeduldig auf der Couch bewegte.

Onuk ging das Gespräch viel zu langsam voran. Er war es nicht gewohnt, Entscheidungen lange hinaus zu zögern, aber in dieser Angelegenheit überliess er seiner Frau die Vorgehensweise, da sie im allgemeinen innerhalb des Khasurns eher die Führungsrolle übernahm, was khasurninterne Entscheidungen betraf.

Und wieder antwortete Adara, bevor Onuk etwas sagen konnte.

„Hast du schon einmal daran gedacht, zu heiraten? Eine Familie zu gründen?“

Merida war überrascht. ‚Heiraten?‘ fragte sie sich. ‚Sicherlich, in der Vergangenheit gab es den einen oder anderen Mann, der ihr Gefallen hatte, aber nie hatte sich daraus etwas Langfristiges ergeben. Und derzeit kannte sie niemanden, der möglicherweise ihr Herz erobern konnte‘.

„Dazu müsste ich ja erstmal jemanden kennen- und liebenlernen, der mich interessiert.“

Ihre Fama nickte. Sie hatte mit einer ähnlichen Antwort gerechnet, darum antwortete sie: „Dein Karan und ich sehen es genauso. Daher haben wir uns umgesehen und haben tatsächlich einen geeigneten Kandidaten für dich gefunden. Wir sind wirklich glücklich, das wir dir helfen konnten.“

Merida traute ihren Ohren nicht. Vor wenigen Palbertontas noch hatten ihre Eltern ihr, wenn auch berechtigt, Vorhaltungen gemacht und jetzt präsentierten sie ihr einen Ehemann.

„Da habe ich ja wohl auch noch ein Wort mitzureden“ erwiderte Merida erregt.

Adara schüttelte leicht ihren Kopf. „Das war keine Bitte, Merida. Die Entscheidung ist bereits gefallen. Heute Nachmittag hast du den Karan deines zukünftigen Mannes kennengelernt.“

Meridas Gesicht verlor ihre Farbe. Zuerst sprachlos vor Überraschung, dann vor Wut, starrte sie ihre Eltern an. „Das ist nicht euer Ernst! Ihr erlaubt euch einen schlechten Scherz mit mir, nicht wahr?“ presste sie zwischen den Lippen hervor.

„Wir mussten eine Entscheidung treffen, Merida. Und zum Wohle des Khasurns als auch für dich ist es am besten, wenn du heiratest.“ erwiderte Onuk, der endlich einen Schlussstrich ziehen wollte.

„Nein!“ sagte Merida leise. Gleich darauf schrie sie laut: „Nein. Niemals!“ Ihre Augen wurden feucht und erste Tränen liefen ihr über das Gesicht. Ruckartig stand sie auf und schrie mit wütender, fast überschlagender Stimme: „Niemals!“. Weinend lief sie aus dem Wohnbereich ihrer Eltern.

„Musstest du dich jetzt einmischen?“ fragte Adara zornig ihren Mann. „Ich hatte Merida fast soweit, das sie eine Hochzeit als Chance für sich selbst freiwillig akzeptieren würde, aber du konntest dich ja wieder einmal nicht zurückhalten!“ Wütend auf Onuk stand Adara auf und verließ ebenfalls den Wohnbereich.

Onuk stöhnte innerlich auf. Jetzt hatte er zwei Frauen in der Familie, die nicht gut auf ihn zu sprechen waren. ‚Hätte ich nur meinen Mund gehalten!‘ sagte er zu sich selber, bevor auch er aufstand und den Wohnbereich ebenfalls verließ.

* * *

Am Abend versammelte sich wie immer die Herrscherfamilie zum gemeinsamen Abendessen. Wie üblich waren Arano und seine Frau Isandra sowie Utaiy schon anwesend. Arano ging Berichte aus der Khasurn-Administration an seiner KSOL durch, während sich Utaiy mit Isandra leise unterhielt. Etwas später erschienen dann Adara und Onuk sowie sein Bruder Anor, dessen Frau Idary und Sohn Yemir. Als ihre Eltern Platz nahmen und ihr Karan in die Hände klatschte, als Zeichen für die Diener, das Essen aufzutischen, fragte Utaiy: „Warten wir nicht auf Merida?“

„Merida wird heute nicht am Abendessen teilnehmen“ erwiderte Adara und warf ihrem Mann einen verärgerten Blick zu.

Die Diener kamen und tischten viele Köstlichkeiten auf. Nachdem jeder sein Essen erhalten hatte, fragte Meridas Bruder Arano seinen Vater:

„Ich habe erfahren, dass heute ein Khasurnführer bei uns war. Du hast heute neue Geschäfte abgeschlossen? Warum bin ich nicht informiert worden?“

Onuk erwiderte: „Auch, ja. Ich habe mich persönlich darum gekümmert, da wir in Zukunft wesentlich enger mit dem Harkon-Khasurn zusammenarbeiten werden. Aber in erster Linie ging es um eine Art Antrittsbesuch!“

„Ein Antrittsbesuch für was?“ fragte Isandra und alle am Tisch blickten Onuk interessiert an.

Onuk warf einen längeren Blick zu Adara, die jedoch nicht reagierte. Anschließend wurde sein Gesichtsausdruck härter, bevor er antwortete:

„Das war Ultral I. del'moas Harkon, Khasurnoberhaupt und zukünftiger Schwiegervater von Merida!“

Schlagartig wurde es still, die Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Einige Augenblicke herrschte Schweigen, bevor Arano erregt fragte: „Du verheiratest Merida mit diesen… diesen heruntergekommenen, dekadenten, unwürdigen Stand? Mit einem Khasurn, die es nicht Wert waren, einen Imperator zu stellen? Die alles, was unser Imperator sagt und tut, bereitwillig nacheifern?"

"Genug!" sagte Onuk mit wütendem Ton und stand auf. "Auch ich unterstütze den Imperator. Ich will solche Worte in meinem Haus nicht mehr hören!", warf seine Serviette wütend auf den Tisch und verließ den Speisesaal.

"Ich kann es nicht glauben, dass unser Karan mit diesem Khasurn ein verwandtschaftliches Verhältnis eingehen will" sagte Arano verbittert zu seiner Mutter. "Alles, woran ich glaube, den von den Heroen Arkons vorbestimmten Weg des Adels, des Imperiums, die äonenalte Tradition unseres Khasurns, wird mit Füßen getreten“

„Sei still!“ erwiderte Adara verärgert. „Dein Karan ist Khasurnoberhaupt und hat es so mit dem Khasurnrat besprochen. Er hat nur das Wohl des Khasurns im Auge. Daran solltest du dir ein Beispiel nehmen, wenn du sein Nachfolger werden willst. Und Merida hat diese Entscheidung provoziert und herausgefordert.“

Arano stand auf, während seine Wangenmuskulatur zuckte. „Mir ist der Appetit vergangen!“. Er nahm seine KSOL und verließ den Raum.

„Verdammt. Anstatt dass die Probleme weniger werden nehmen sie zu“ sagte Arano zu sich, ohne das ihm bewusst wurde, das er es laut aussprach. „Ich bin längst bereit, die Khasurnführung zu übernehmen, aber unser Karan will einfach nicht zurücktreten. Und jetzt dieser Ehevertrag! Ich kann es nicht glauben. Mit diesem niederem Adel“. Wütend stapfte er durch die Gänge.

* * *

einige Tontas später

Arano betrat das Schlafgemach, entledigte sich seiner Kleidung und legte sich zu Isandra ins Bett, die ein Buch las. Verbissen und noch immer verärgert über die Entscheidung seines Karans, eine Heirat mit einem Khasurn eines niedrigeren Standes zuzustimmen, tippte er auf seiner KSOL herum. Nach einiger Zeit legte Isandra ihr Buch zur Seite.

„Ich finde es unmöglich, was dein Karan macht. Wie kann man nur so einer Hochzeit zustimmen. Und dann auch noch mit diesen Khasurn!“

Arano erwiderte ärgerlich: „Nicht nur du verstehst es nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, das unser Karan nicht mehr ganz klar im Kopf ist“

„Und, was wirst du dagegen unternehmen?“

„Was soll ich schon dagegen machen? Er ist der Khasurnführer, nicht ich“ erwiderte Arano verbittert.

„Ich frage mich, was er als nächstes macht. Womöglich denkt er an eine noch engere Beziehung zu diesem Khasurn oder stellt diesem Imitat von einem Imperator Khasurnvermögen Verfügung“

Aranos Gesichtsmuskeln zuckten. Das, was Isandra gerade eben ausgesprochen hatte, war genau seine Befürchtung. Nach einigen Augenblicken erwiderte er: „Ich wusste garnicht, das du genauso von der derzeitigen politischen Situation denkst wie ich“

„Glaubst du, ich sehe nicht, wohin der Kurs des Imperiums und unseres Khasurns führt? Es müsste eine Revolution geben, die den Imperator und seine Gefolgsleute hinwegfegt und die alte Ordnung wiederherstellt“

„Du bist ziemlich radikal in deinen Ansichten, mein Schatz. Aber dein Wille und deine tiefverwurzelte Einbindung in die Adelshierarchie hat mir schon immer imponiert.“

„Und darum sage ich dir, dass du ein viel urteilsfähiger und kompetenterer Khasurnführer wärst als dein Karan!“

Arano überlegte eine Weile, bevor er seufzend antwortete: „Ja, du hast Recht. Aber leider muss ich warten, bis ich die Khasurnführung übernehmen kann“

„Wie lange willst du warten?“ fragte Isandra heftig. „Bis es zu spät ist? Der Khasurn keine Bedeutung mehr hat? Der Imperator uns noch mehr zustehende Rechte nimmt?“

„Was soll ich machen? Ich stehe für mich allein“ erwiderte Arano etwas kleinlaut. „Außerdem würde ich mich endgültig gegen meinen Karan stellen“

„Nein, das bist du nicht! Du bist ein Mann, der Großes vollbringen kann. Der den Khasurn wieder zu seiner angestammten Größe führen kann. Und du bist nicht allein. Ich bin an deiner Seite. Gemeinsam schaffen wir es.“

Isandra legte eine kurze Pause ein, bevor sie fortfuhr. „Stell dir vor, du wartest vielleicht noch 20 oder 30 Tai-Vothanii. Die ganzen Tai-Vothanii als Handlanger und Laufbursche deines Karans arbeiten, nicht selbst den Kurs des Khasurns bestimmen, sondern nur seine Befehle ausführen, statt selbst welche zu geben. Wo wird der Khasurn dann stehen? Haben sich dann alle von uns abgewandt? Ich sage dir, mit etwas Unterstützung von außen sollte es kein Problem sein, deinen inkompetenten Karan in die Schranken zu weisen und den Khasurn zu übernehmen. Alle warten darauf, dass du als designierter Khasurnführer den ersten Schritt vollziehst!“

„Du hast ja Recht, das sehe ich eigentlich genauso. Aber wer kann uns schon unterstützen?“

Isandra schmiegte sich an Arano an und sagte mit ruhiger Stimme: „Ich habe von einer Organisation gehört, die sich TDA nennt. Sie hat sich den hehren Zielen verschrieben, den Adligen ihre angestammten Rechte zurück zugeben, den Imperator zu beseitigen und die gesellschaftliche Ordnung wieder herzustellen, so wie es seit Äonen war“

„Ja, von dieser Organisation habe ich auch schon gehört. Mir ist allerdings nicht ganz Wohl dabei. Sie soll, dafür, dass man ihre Unterstützung in Anspruch nimmt, auch Gegenleistungen erwarten“

„Ein gewisses Risiko musst du schon eingehen, um deine Ziele zu erreichen. Wie immer ist im Leben nichts umsonst. Man muss einfach abklären, was sie für ihre Unterstützung verlangen. Alles andere wäre Spekulation“

„Ja, du hast Recht. Ich versuche, mehr über diese TDA zu erfahren und was sie für ihre Unterstützung haben wollen“

Isandra war mit dem Verlauf ihres Gespräches sehr zufrieden. Endlich hatte sie ihren Mann da, wo sie seit Vothanii hinwollte. Innerlich dankte sie Onuk, dass er diese Ehe mit dem Harkon-Khasurn vereinbart hatte, nur deswegen war Arano heute so überaus empfänglich für ihre Manipulation gewesen.

Isandra kuschelte sich noch intensiver an Arano heran und sagte: „Komm, leg die KSOL zur Seite und mach das Licht aus. Und dann zeige mir, wie der zukünftige Khasurnführer seine Frau glücklich macht“

Über Aranos Gesicht legte sich ein wissendes Lächeln, während er die KSOL zur Seite legte und der Positronik befahl, das Licht zu löschen.

* * *

Als Merida am nächsten Morgen aufwachte, dachte sie zuerst, das Gestern gehörte wäre ein bizarrer Traum gewesen. Als sie aus der Hygienekabine kam, sich angezogen hatte und ihre Nachrichten am Positronik-Terminal ihres Wohnbereiches abrief, fand sie eine Nachricht vor: „Informationen zum Khasurn del Harkon“. Ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken. Es war kein Albtraum, sondern die Wirklichkeit. Langsam setzte sie sich vor dem Monitor und öffnete das Informationspaket. Trotz einer gewissen Neugier kehrte ihre Verzweiflung von Gestern zurück. Sie konnte es noch immer nicht fassen, dass ihre Eltern ihr diese Zwangsheirat antun wollten.

Sie sah die ersten Bilder ihres zukünftigen Mannes, Charrut del Harkon. Er sah einigermaßen passabel aus. Und er war auf eine Raumakademie, ließ sich dort zu einem Offizier der Imperialen Raumflotte ausbilden. Er war 1,70 Quars groß, sah durchtrainiert aus, wenn ihr auch auffiel, dass er etwas hager war. Aber als sie sah, das der Elimor-Sektor mit der Hauptwelt Harkon annähernd 70 Lichtjahre von Ariga entfernt war und das Harkon nicht mit Ariga zu vergleichen war – ständiges Kommen und Gehen hochgestellter Persönlichkeiten, Vergnügen im Überfluss, die teuersten Konsumtempel des Tai Ark’Tussan, Diner und Empfänge an der Tagesordnung – verstärkte sich ihre Verzweiflung noch mehr. Sie überlegte, mit welcher Strategie sie die vereinbarte Hochzeit vereiteln konnte. Sie beschloß nach einigen Überlegungen, es erst einmal auf die sanfte Tour bei ihrer Mutter zu versuchen. Ihren Karan, das wusste sie, konnte sie nicht mehr umstimmen. Ihre Fama dagegen war für manche Zugeständnisse ihrerseits empfänglich.

Sie stand auf, ging zum Wohnbereich ihrer Eltern und klopfte an. Nach einigen Augenblicken öffnete sich die Tür. Ihre Fama, noch mit dem Nachtgewand bekleidet, sah sie überrascht an, bat sie aber herein.

Als sich die Tür schloss, fragte sie leise: "Warum?"

Adara setzte sich auf die Couch und sagte: „Hast du dich jemals gefragt, warum du so bist wie du bist? Warum du gerne Chronners ausgibst, auf jedem Diner und jedem Empfang zu finden bist, Freundinnen hast, die genauso wie du nur oberflächig sind? Du hast kein Ziel, keine Bestimmung. Du interessierst dich für nichts außer für dein Vergnügen! Du erwartest von uns, dass wir alle deine Wünsche erfüllen, dass du Geld ohne Ende ausgeben kannst. Aber was gibst’s du zurück? Nichts! Du bist sowohl als Exobiologin, Linguistin als auch Energietechnikerin ausgebildet, aber anstatt dein Wissen in den Dienst des Khasurns zu stellen schädigst du nicht nur dein sondern auch unser aller Ansehen. Wie glaubst du eigentlich hat sich dein Karan gefühlt, als Augh Agh'moas Zhalyemor anrief und mit dem Abbruch der Geschäftsbeziehungen wegen dir gedroht hat? Wir hatten immer gehofft, dass du mit einem Sohn eines angesehenen Khasurns irgendwann bei uns auftauchen und er uns fragen würde, ob er dir den Hof machen darf. Aber mittlerweile bist du unattraktiv für andere Khasurns geworden, deine Extravaganzen und Narrheiten haben sich herumgesprochen. Und daher haben wir uns – mit Rücksprache des Khasurnrates – entschieden, dass eine Frau von 21 Tai-Vothanii einen festen Bezugspunkt braucht!“

"Bitte, Fam, ich kann mich ändern, ich kann mich bessern. Bitte!" sagte Merida mit flehendem Unterton.

Adara hob eine Hand, um den Redefluß ihrer Tochter Einhalt zu gebieten und erwiderte streng: "Es tut mir leid, Merida, es ist entschieden!"

Als sie sah, dass auf dem Gesicht ihrer Tochter ein völlig verzweifelter Gesichtsausdruck entstand, blutete ihr das Herz. Darum sagte sie versöhnlicher, mit verhaltener Stimme: "Trage es mit Würde, Merida. Mit der Würde des Adels und als eine Tochter der 'de Ariga'. Bevor eine Ehe im She'huhan-Tempel besiegelt wird, geht ihr eine Probezeit voraus. Da kann sich vieles entscheiden."

„Ich will aber nicht heiraten, schon garnicht jemanden, den ich nicht kenne, geschweige liebe!“ erwiderte sie heftig. „Wie könnt ihr mir so etwas antun? Habt ihr denn kein Herz?“

Merida stand wütend auf und verließ fluchtartig den Wohnbereich ihrer Eltern.

'Ich hoffe, Merida hat meinen Hinweis verstanden' ging es Adara seufzend durch den Kopf.

* * *

Noch immer wütend auf ihre Mutter, auf die sie ihre ganzen Hoffnungen gesetzt hatte, erreichte Merida ihren Wohnbereich. Sie betrat ihr Schlafgemach und warf sich auf ihr Bett.

‚Was jetzt? ‘ fragte sie sich und fing an zu überlegen. Nach einiger Zeit hatte sie einen Entschluss gefasst. Sie stand auf und sagte zur Khasurnpositronik in den Raum hinein: „Positronik, meine Dienerin Namemi soll zu mir kommen. Sofort!“.

‚Sie wurde informiert, Zhdopanda‘ erwiderte die Khasurnpositronik. Derweil öffnete Merida die Türen aller Kleiderschränke, stellte sich in einem Abstand davor und überlegte, welche Kleidungsstücke sie mitnehmen sollte.

Kurz darauf betrat Namemi das Schlafgemach. Merida sah sie an und sagte mit bestimmenden Tonfall: „Ich werde jetzt aus dem Khasurn ausziehen. Du wirst das keinem verraten, verstanden?

„Wie Ihr es wünscht, Zhdopanda!“ sagte Namemi.

Zufrieden sagte Merida: „Du wirst jetzt die Sachen packen, die ich dir zeige. Danach lässt du sie zu meinem persönlichen Gleiter bringen“.

Ohne auf eine weitere Antwort oder Bestätigung ihrer Dienerin zu warten, sah Merida zu ihren Kleiderschränken und fing an, auf diverse Kleidungsstücke zu zeigen und zu sagen: „Dieses, dieses, das auch…“

Eine halbe Tonta später hatte Namemi drei Schrankkoffer, fünf kleinere Koffer sowie zwei größere Taschen gepackt. Sie liess Roboter kommen, die die größeren Koffer aufnahmen, während sie die verbliebenen Taschen nahm. Merida schritt voran, Namemi und die Roboter folgten. Keine zehn Palbertontas später startete Merida ihren Gleiter und verließ den Khasurn.

* * *

Am nächsten Morgen beim gemeinsamen Frühstück. Alle waren versammelt, nur Merida fehlte. Onuk wandte sich an seine Frau Adara: „Weist du, wo Merida ist? Sie ist gestern Abend nicht zum Abendessen erschienen und jetzt auch nicht zum Frühstück. Ist sie vielleicht krank?“

Adara schüttelte den Kopf und erwiderte: „Gestern früh war sie kurz in unserem Wohnbereich und versuchte, uns die vereinbarte Hochzeit auszureden. Danach ist sie wütend gegangen. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen. Aber ich kläre es gleich.“ Sie legte ihre Serviette zurück auf den Tisch und stand auf.

Nach kurzer Zeit stand sie vor Meridas Wohnbereich. Sie klopfte mehrmals an die Tür, doch Merida öffnete nicht. Sie fragte die Khasurnpositronik und diese gab ihr zur Antwort, dass sich Merida nicht im Khasurn befand.

Sie kehrte zurück zum Speisesaal. Als sie sich aus dem Antigravschacht schwang, begegnete ihr Namemi.

„Namemi, weißt du, wo sich Merida befindet?“

„Nein, Herrin, das weiß ich nicht!“

Adara wollte eigentlich schon weitergehen, als sie Namemi noch fragte: „Wann und wo hast du Merida das letztemal gesehen?“

„Gestern früh, Herrin, auf dem Gleiterdeck“

Adara war überrascht. Darum fragte sie gleich nach: „Auf dem Gleiterdeck? Was hast du da gemacht?“

Namemi blieb stumm und sah sie nur an. Adara beschlich eine Ahnung. „Namemi, ich habe dir eine Frage gestellt!“ sagte sie ärgerlich.

„Herrin, ich darf darüber mit keinem reden. Das musste ich Merida versprechen!“

Adaras Ahnung wurde immer stärker. Sie drehte sich um und sprang wieder in den Antigravschacht, um nach oben zu Meridas Wohnbereich zu schweben. Kurze Zeit später ließ sie von der Khasurnpositronik den Wohnbereich öffnen. Sie drang ein und ging schnurstracks in Meridas Schlafbereich. Dort sah sie die offen stehenden Schranktüren und die fast leeren Schränke. Wütend auf Merida, die die Gelegenheit genutzt hatte, einfach zu verschwinden, wütend auf sich selbst, dass sie ihre Tochter nicht richtig eingeschätzt hatte und es hätte vorhersehen können, machte sich wieder auf den Weg zum Speisesaal.

Alle hatten bereits angefangen, zu frühstücken. Onuk nahm gerade einen Schluck Kerisu, als er sie erblickte, wie sie den Raum betrat. Er kannte seine Frau schon seit mehr als 40 Tai-Vothanii und erkannte sofort, dass etwas nicht stimmte. Als Adara am Tisch war, fragte er: „Was ist geschehen? Ist etwas passiert?“

Adara erwiderte verärgert: „Merida hat den Khasurn verlassen. Sie glaubt wohl, so der Hochzeit zu entkommen“.

Onuk war erst verblüfft, dann änderte sich die Verblüffung in Wut.

Ruckartig stand er auf, warf seine Serviette auf seinen Essensteller und sagte laut, mit einer Stimme, in der sowohl Wut wie auch Enttäuschung mitschwang: „Es reicht. Jetzt ist endgültig Schluss! Ich lasse es nicht zu, dass meine Entscheidungen und Wünsche missachtet werden. Und erst Recht nicht von meinen Kindern!“

Mit ausholenden Schritten verließ er den Raum, während Adara ihm folgte.

Nach kurzer Zeit erreichten beide Onuks bevorzugtes Arbeitszimmer. Während Onuk zu seinem Tisch ging, schloß Adara die Tür hinter sich und setzte sich in einem der Sessel vor Onuks Schreibtisch.

Währenddessen ergriff Onuk das Wort. „Positronik, jeglicher Zugriff auf das persönliche Konto von Merida de Ariga sperren!“ sagte Onuk in den Raum hinein.

‚ Zhdopanda, das ist nur mit einem Vorrang-Code möglich‘ erwiderte die Khasurnpositronik.

Onuk nahm seine KSOL, die auf dem Tisch lag, in die Hände und tippte einen Code ein. Danach übertrug er den Code von der KSOL an die Khasurnpositronik.

„Positronik, der Vorrang-Code wurde mitgeteilt. Bestätige den Empfang. Sperre das persönliche Konto von Merida de Ariga!“

„Empfang bestätigt, Zhdopanda. Das Konto wird gesperrt“

Onuk wandte sich an seine Frau Adara: „So, das war der erste Schritt. Ich brauche jetzt von dir alle Namen ihrer Freundinnen, mit denen sie die letzten Tai-Vothanii Kontakt hatte. Fange mit den engsten Freundinnen an“ und an die Positronik gewandt sagte er: „Positronik, alle Namen speichern und die COM-IDs der jeweiligen Khasurnführer suchen!“

Onuk warf seiner Frau einen auffordernden Blick zu und Adara fing an, die Namen aller Freundinnen von Merida aufzuzählen: „Diresa de Atkalon, Nyayh'i de Darkintan, Fullnata de Rezlor, Ethari de Sayertas, Dareia de Zhayldom, Augh'emy de Throemyer und Lordeni de Zoltral.“

Währenddessen hatte sich Onuk an seinen Schreibtisch gesetzt und überlegte, was er den Khasurnoberhäupten sagen musste und durfte.

Er gab sich einen innerlichen Ruck und sagte: „Positronik, stelle die Verbindungen in der Reihenfolge her, wie die Namen genannt worden sind. Teile mir den Khasurnnamen vorher mit.“

„Zhdopanda, Verbindung wird hergestellt. Khasurn ‚de Atkalon‘.“
Einen Augenblick später erschien das Familienwappen der ‚de Atkalon‘ auf dem Monitor. Er musste warten, dann verschwand das Wappen und ein älterer Arki blickte Onuk an.

„Khasurnführer Onuk de Ariga. Ich bin erfreut, Euch nach langer Zeit wieder zu sehen.“

Onuk nickte freundlich lächelnd seinem Gegenüber zu und sagte: „Leider rufe nicht aus geschäftlichen Gründen an, sondern aus privaten Gründen.“

„Private Gründe?“ wiederholte sein Gesprächspartner und sein Gesicht drückte Verwunderung aus.

„Ich habe vor kurzem eine wichtige Entscheidung für den Khasurn gefällt, die meiner Tochter Merida missfällt. Bedauerlicherweise hat sie dabei die Regeln vergessen und ist bei einer ihrer Freundinnen zu Besuch. Sollte sich meine Tochter also bei Euch im Khasurn aufhalten, wünsche ich, das sie aufgefordert wird, wieder in unseren Khasurn zurück zukehren. Und zwar umgehend.“

Sein Gesprächspartner hatte mit Interesse zugehört. „Ich verstehe. Wartet, das lässt sich sofort feststellen.“ Khasurnoberhaupt de Atkalon trat etwas vom Monitor zurück. Wenige Augenblicke später trat er wieder zum Monitor und sagte: „Ich bedaure, aber Eure Tochter Merida befindet sich nicht in unserem Haus. Sollte sie bei uns erscheinen, so werde ich Euren Wunsch gerne nachkommen.“

„Ich danke Euch für Euer Verständnis, und lebt wohl.“ verabschiedete sich Onuk von seinem Gesprächspartner und beendete die Verbindung.

„Die nächste Verbindung zum Khasurn ‚de Darkintan‘ steht“ teilte die Positronik mit.

Die folgenden Gespräche verliefen mehr oder minder gleich, aber bei keinem der Khasurne war seine Tochter anwesend. So langsam zweifelte Onuk, ob er die richtige Strategie verfolgte und seine Tochter nicht vielleicht einen ganz anderen Plan verfolgte als er annahm.

„Die letzte Verbindung wird hergestellt‘ teilte die Khasurnpositronik mit.“

Wieder dauerte es nur einen Augenblick, bis die Verbindung hergestellt war und mit dem Khasurnoberhaupt sprach. Er wiederholte seine Worte und richtete sich bereits darauf ein, wieder eine negative Mitteilung zu erhalten, als sein Gesprächspartner, Aughar de Zoltral, erwiderte: „Eure Tochter Merida ist tatsächlich Gast in unserem Khasurn. Sie traf hier gestern Mittag ein. Wir saßen gerade beim Frühstück, als Euer Anruf kam.“

Onuk spührte Erleichterung in sich aufsteigen, dass er seine Tochter doch noch gefunden hatte. Andererseits musste er unmissverständlich gegenüber Aughar de Zoltral zum Ausdruck bringen, dass seine Tochter aus dem Khasurn der ‚de Zoltral‘ ausgewiesen werden musste.

„Ich wünsche, dass Eure Gastfreundschaft, die ihr meiner Tochter gewährt, noch heute endet. Sie muss endlich einsehen, dass sie ihre Wünsche hinter dem Wohl des Khasurns zurück stellen muß. Ich hoffe, Ihr versteht das als Khasurnoberhaupt!“

Aughar de Zoltral nickte ihm zu und erwiderte: „Ich verstehe Euren Standpunkt. Eure Tochter wird noch heute unseren Khasurn verlassen.“

„Ich danke Euch“ erwiderte Onuk und beendete die Verbindung. Er drehte sich langsam um zu seiner Frau Adara, die ihn erleichtert ansah.

Er stand auf und setzte sich ebenfalls in einem Sessel vor seinem Schreibtisch, direkt neben Adara, nahm eine Hand von ihr in seine Hände und sagte: „Merida wird zurückkommen. Es kann allerdings noch etwas dauern. Mit Sicherheit wird sie versuchen, bei einer ihrer anderen Freundinnen unter zukommen. Aber das ist jetzt nicht mehr möglich.“ Onuk machte eine kurze Pause, bevor er mit grimmiger Stimme fortfuhr: „Wir können diesen Affront uns gegenüber nicht durchgehen lassen, damit ist jetzt Schluss. Ab sofort wird sie den Khasurn nur mit unserer Genehmigung verlassen und alkoholische Getränke bekommt sie nur, wenn wir dem zustimmen.“

Adara nickte stillschweigend als Zustimmung.

„Wir werden Merida gegenüber nicht auf diesen Vorfall eingehen und ihr Vorhaltungen machen. Du kennst sie. Wenn wir ihr Vorhaltungen machen, wird sie verstockt reagieren und erst recht nicht mehr zugänglich sein. Und ich will, dass die Eheschließung halbwegs angenehm zwischen ihr und Charrut verläuft. Dazu muss sie es selbst wollen.“ Onuk machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: „Das wird deine Aufgabe sein. Ich habe demnächst wichtige Geschäfte zu tätigen und außerdem muss ich die Khasurnführer, die ich eben angerufen habe dazu bringen, über den heutigen Vorfall den Mantel des Schweigens zu legen. Es reicht schon, das alle wichtigen Khasurne bei Merida als potentielle Ehepartnerin abgewunken haben. Ich will nicht, das jetzt wegen Meridas Khasurnflucht Gerüchte in Umlauf kommen.“

* * *

Nach dem Gespräch mit Onuk de Ariga kam Aughar de Zoltral ins Grübeln. Seine Tochter Lordeni hatte, ob sie es wusste oder nicht, ein Problem in den Khasurn gebracht. Entschlossen stellte er über seinen Armbandkommunikator eine Verbindung zu Khasurn-Sicherheitschef Norec Ranan her.

„Zhdopandel, Sie wünschen?“

„Ich erwarte zwei weibliche Sicherheitsoffiziere in fünf Palbertontas in unserem Speisesaal. Unser Gast Merida de Ariga wird den Khasurn verlassen.“

„Wie Ihr wünscht, Zhdopandel.“

Aughar verließ sein Arbeitszimmer und ging zurück in den Speisesaal. Es waren noch alle anwesend, seine Tochter Lordeni unterhielt sich intensiv mit Merida.

Pünktlich betraten zwei weibliche Sicherheitsoffiziere den Raum und blieben in der Nähe von Merida stehen. Die Gespräche verstummten und seine Tochter Lordeni sah ihn fragend an.

„Ich hatte vor wenigen Palbertontas ein Gespräch mit Onuk de Ariga. Wir sind übereingekommen, das Merida de Ariga nicht länger unser Gast sein kann.“ Aughar sah Merida direkt an: „Ihr habt eine halbe Tonta Zeit, den Khasurn zu verlassen. Die Sicherheitsoffiziere werden Euch begleiten und dafür sorgen, das Ihr den Weg zum Gleiterdeck nicht verfehlt!“ Er nickte der Khasurnsicherheit zu und diese traten an Merida heran.

Mit blassen Gesicht stand Merida auf und wurde von den Sicherheitsoffizieren in die Mitte genommen und gemeinsam verließen sie den Speisesaal.

Seine Tochter sah ihn mit großen Augen an und wollte etwas sagen, aber er hob gebieterisch die Hand: „Kein Wort! Ich weiß nicht, was deine Freundin Merida dir erzählt hat, aber sie hat sich gegen den Willen ihrer Eltern gestellt. Ihr Vater und ich hatten vor wenigen Palbertontas ein Gespräch von Khasurnoberhaupt zu Khasurnoberhaupt. Ich bin nicht gewillt, Aktionen und aufrührerische Handlungen in irgendeiner Weise zu unterstützen, die gegen das Wohl des Khasurns sind. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen!“

Wütend stand Lordeni auf und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum, um Merida hinterher zu eilen.

* * *

einige Pragos später – Anfang Tedar 14.598 da Ark – Spätabends

Arano und seine Frau Isandra saßen in einem vornehmen Restaurant im Zentrum von Tanshim, der Hauptstadt von Ariga und warteten auf ihre Kontaktperson. Arano hatte es nach einiger Zeit geschafft, über Yardi de Eldarim, einen Bekannten, einen Termin mit der Person zu bekommen, die Kontakte zwischen dem Adel und der geheimnissvollen TDA herstellen konnte. Es war nicht leicht gewesen: Hier und da einige Bemerkungen und Andeutungen fallen lassen, ohne sich dabei als TDA-Anhänger oder Sympathisant bloß zu stellen.

Die Bedienung brachte ihnen die bestellten Getränke, während Arano sich verstohlen umsah. Er war noch nie in diesem Restaurant gewesen, obwohl es einen guten Ruf hatte. Er sah an Tischen einzelne Personen sitzen, an der überwiegenden Mehrzahl der Tische saßen aber zwei oder mehrere Personen, die sich unterhielten. Wie es sich für ein gehobenes Etablissement gehörte, bekam er kein Gespräch mit; schallschluckende Isolationsfelder verhinderten dies.

Die Zeit verging. Isandra sah Arano an und meinte: „Das war wohl nichts. Wir warten bereits seit einer Tonta, dass die Kontaktperson auftaucht. Dein Bekannter hat sich wohl einen schlechten Scherz erlaubt“.

Arano warf einen kurzen Blick auf sein Vot und erwiderte dann: „Vermutlich hast du Recht. Laß uns bezahlen und dann gehen wir.“. Er holte seinen Ident-Chip heraus, um die Getränke zu bezahlen, als plötzlich eine männliche Person vor ihrem Tisch stand. Arano sah ihn überrascht an. Er erkannte auf den ersten Blick die sportliche Figur des Fremden, die Muskeln seines durchtrainierten Körpers zeichneten sich unter der Kleidung ab. Das Alter des Fremden schätzte er auf ungefähr 45 Tai-Vothanii. Und es war ein reinrassiger Arki, der vor ihnen stand. Wenn er sich nicht täuschte, hatte er diese Person vorhin an einem Tisch alleine sitzen sehen.
„Verzeihen Sie mein verspätetes Erscheinen, aber ich musste mir sicher sein, dass es sich bei Ihnen um die Personen handelt, die mir angekündigt wurden.“

Arano warf einen kurzen Blick zu seiner Frau, um zu sehen, ob sie noch an dem Treffen interessiert war. Isandra nickte ihm unmerklich zu. Arano wandte sich wieder an den Unbekannten und machte eine einladende Geste.

„Bitte, nehmen Sie Platz!

Nachdem sich der Fremde gesetzt hatte, sah er Arano und Isandra an und fragte: „Sie wünschen sich Kontakt zur Than da Ark, auch bekannt als TDA. Sie wissen, was das Ziel der TDA ist?“

Bevor Arano antworten konnte, ergriff Isandra das Wort.

„Nun, die TDA sucht Mitstreiter, die das Imperium wieder auf seine äonenalten Fundamenten stellen wollen. Dafür ist sie auf der Suche nach Möglichkeiten, dieses umzusetzen. Finanzielle als auch materielle Unterstützung ist der Organisation sicherlich willkommen, um den Kampf gegen diese Witzfigur eines Imperators zu führen. Liegen wir da falsch mit unserer Einschätzung?“ Isandra hatte etwas ins Blaue spekuliert, basierend auf den Gerüchten, die sie über die TDA erfahren hatte. Jetzt musste es sich zeigen, ob sie damit daneben lag oder ins Schwarze getroffen hatte.

Der Fremde lehnte sich zurück und sah sie abwechselnd an, bevor er antwortete: „Sie haben Recht. Wir sind auf der Suche nach Personen, die uns aus moralischen und historischen Gründen unterstützen wollen. Der Weg, den der Imperator geht, ist nicht unserer. Wir werden alles in unserer Kraft stehende tun, um den Imperator aufzuhalten. Wenn es sein muss auch mit Waffengewalt! Wie Sie es schon selbst gesagt haben benötigt die Organisation neben finanzieller auch materielle Unterstützung. Als Gegenleistung steht Ihnen die Organisation mit ihren Möglichkeiten zur Seite. Und wenn der Imperator abgesetzt und Recht und Ordnung wiederhergestellt worden ist, werden wir unsere Unterstützer nicht vergessen, sondern sich ihrer erinnern!“

Der Fremde beobachtete beide, wie seine Ausführungen angenommen wurden. Bei Arano de Ariga sah er kein Mienenspiel im Gesicht, aber bei dessen Frau, Isandra. Bei ihr hatte er das Gefühl, dass er genau das gesagt hatte, was sie hören wollte.

Nach einigen Augenblicken fragte er: „Wie kann Ihnen die TDA behilflich sein?“

Isandra warf einen auffordernden Blick zu Arano. Arano räusperte sich, bevor er erwiderte: „Es ist Zeit, dass die Khasurnführung in fähigere Hände übergeben wird; in meine. Aber mein Karan ist nicht bereit, endlich die Khasurnführung an mich zu übergeben und…“ und wurde von seiner Frau Isandra unterbrochen, die den Satz vervollständigte: „…und er ist ein Anhänger des Imperators, während wir die Alte Ordnung wiederhergestellt wissen wollen. Darum muss er beseitigt werden!“

Der Fremde nickte. „Das sollte für die TDA kein Problem darstellen. Uns ist es sowieso lieber, an der Spitze eines Khasurns einen Führer zu haben, der die Traditionen des Adels fortführen will.“

Einen Augenblick herrschte Ruhe, sowohl Arano wie auch Isandra dachten nach. Die Kontaktperson spürte, dass er beide noch nicht vollends überzeugt hatte und ergriff daher nochmals das Wort: „Mit unserer Hilfe können Sie Ihre Probleme elegant lösen und hätten außerdem Rückendeckung durch eine starke Organisation für Ihre zukünftigen ‚Geschäfte‘. Wir sind ein verlässlicher Partner. Sie und wir wollen doch im Prinzip dasselbe: Die Ablösung des Imperators und die Wiederherstellung der Traditionen!“

„Und welchen Preis müssten wir zahlen, wenn wir die Hilfe Ihrer Organisation in Anspruch nehmen?“ fragte Isandra.

Die Kontaktperson holte eine KSOL aus einer verborgenen Tasche des Anzugs, aktivierte diese und studierte kurz die Anzeige, bevor er sich wieder an Isandra und Arano wendete: „Nun, Ihr Khasurn bietet einige interessante Möglichkeiten, die uns im Kampf gegen den Imperator gelegen kommen. Da wären Kampfroboter, die Sie herstellen, wertvolle Hyperkristalle die Sie schürfen, Erzlieferungen die wir gut gebrauchen können oder Sie stellen uns eine ausreichende Anzahl Kampfschiffe der Khasurnflotte zur Verfügung, wenn wir sie benötigen. Sozusagen auf Abruf.“

Arano wurde blaß, ihn erfasste ein Schwindelgefühl. ‚…Kampfroboter, Hyperkristalle, Erzlieferungen, Teile der Khasurnflotte‘. Worauf hatte er sich da nur eingelassen? In Gedanken ging er die Möglichkeiten durch. Erzlieferungen kamen aufgrund der angespannten Erzförderung nicht in Frage. Sein Karan war deswegen diese erbärmliche Allianz mit dem Khasurn der Harkonii eingegangen. Hyperkristalle wurden zwar abgebaut, aber die Menge war einfach zu gering, um einen größeren Posten abzuzweigen. Blieben nur noch die Kampfroboter und die Khasurnflotte. Er musste wissen, in welcher Größenordnung die TDA hier einen Bedarf einplante.

Arano sah den Fremden an und fragte: „In welcher Größenordnung bewegen wir uns bei den Kampfrobotern und der Khasurnflotte?“

„Sie werden sicherlich verstehen, dass die gewünschten Ressourcen auch als Loyalität für uns, für den Widerstand gegen den Imperator angesehen wird“. Der Fremde machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Ganz bewusst hatte er die Begriffe ‚Loyalität‘ und ‚Widerstand‘ benutzt, um seine Gesprächspartner auf die Forderungen der TDA einzustimmen. „Wir gehen davon aus, dass Ihnen die Mitgliedschaft in der TDA und die Hilfe, die wir Ihnen gewähren, 8.000 Kampfroboter vom Typ IKR-2-37 oder aber 80 Kampfschiffe der Khasurnflotte wert sind!“

„Unmöglich, “ platzte es aus Arano heraus, „das ist viel zuviel für zwei Gefallen, die Sie erbringen. Überdenken Sie nochmals Ihre Wünsche!“. Arano hatte zum Schluss mit einer verärgerten Stimme gesprochen, der man die Wut anhörte, bei diesem Geschäft übervorteilt zu werden.

Der Fremde, Itori Zhokal, stöhnte innerlich auf. Wie hasste er diese Gespräche mit Mitgliedern der Adelsschicht. Jeder von denen wollte alles haben, mit beiden Händen gierig nach irgendwelchen Vorteilen oder Besitztümern greifen, aber wenn es darum ging, etwas für andere zu leisten oder etwas herzugeben, dann wurde selbst um den letzten Krümel geschachert. Aber mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt und trotzdem regte er sich immer wieder darüber auf. Er hatte sich angewöhnt, am Anfang mehr zu fordern als die TDA erwartete, um dann während der Verhandlungen letztendlich auf die Menge zu kommen, die ihm als Minimalwert vorgegeben war.

„Ich kann etwas entgegen kommen“ erwiderte der Fremde. „7.000 Kampfroboter oder 70 Schiffe der Khasurnflotte“.

Arano machte mit den Händen eine entschiedene verneinende Geste. „Das ist immer noch zuviel. Darauf lasse ich mich nicht ein!“

Isandra wollte etwas sagen, aber Arano warf ihr einen Blick zu, der sie verstummen ließ.

„Was würden Sie als angemessene Gegenwert für Ihre zwei Forderungen sehen?“ fragte der Fremde zurück.

Arano lehnte sich in seinem Sitz zurück und warf den Fremden einen abschätzenden Blick zu. Er dachte nach. Er würde sich auf Schiffe der Khasurnflotte festlegen. Es war einfacher, einzelne Schiffe der Khasurnflotte, die über den vom Khasurn der ‚de Ariga‘ verwalteten Sektor verteilt waren, im Falle des Falles abzuziehen als mehrere tausend Kampfroboter an den positronischen Kontrolinstanzen vorbei ‚abzuzweigen‘.

Er beugte sich am Tisch vor und erwiderte: „Ich werde der TDA 60 Kampfschiffe zur Verfügung stellen, wenn diese benötigt werden. Das ist mein Angebot. Nehmen Sie es an oder wir gehen unserer Wege und dieses Gespräch hat nie stattgefunden!“

Zhokal tat, als müsste er über das Angebot von Arano de Ariga nachdenken. Er wollte jedoch nur Zeit gewinnen. Es sollte für seine Gesprächspartner so aussehen, als würde er mit sich innerlich ringen. Seine Auftraggeber hatten ihm als unterstes Ziel 50 Kampfschiffe vorgegeben; wenn er mit einer höheren zugesagten Anzahl an Schiffen zurückkam, konnte es nur gut für ihn sein.

Der Unbekannte seufzte leicht, bevor er antwortete: „Unter der Voraussetzung, dass die uns zugesicherten Kampfschiffe mindestens 15 Einheiten der FUSUF-Klasse enthalten, bin ich mit Ihrem Angebot einverstanden“.

Isandra spürte, dass ihr Mann immer noch nicht ganz überzeugt war und mit sich haderte, eine entgültige Entscheidung zu treffen und sich damit festzulegen. Darum sah sie ihn direkt in die Augen und erwiderte in Richtung des Fremden: „Das ist kein Problem. Wir werden Ihnen, wenn es soweit ist, die 60 Kampfschiffe, davon 15 Schiffe der FUSUF-Klasse zur Verfügung stellen. Mein Mann wird sich darum kümmern. Vorausgesetzt, Ihre Organisation erledigt vorher die zwei Aufgaben zu unserer Zufriedenheit!“

„Selbstverständlich! Sie können sich auf uns verlassen.“

Arano warf einen erleichterten und dankbaren Blick zu seiner Frau, bevor er sich an den Fremden wandte und erwiderte: „Das ist in etwa das, was wir uns vorgestellt haben. Sie können mit der Unterstützung seitens meiner Frau und mir rechnen.“

Itori Zhokal wirkte erleichtert, als er sagte: „Dann benötige ich jetzt nur noch eine COM-ID, unter der die Organisation sie erreichen kann. Man wird sich in den nächsten Pragos mit Ihnen in Verbindung setzen, um alles weitere detailliert zu klären.“

Arano hob eine seiner Hände vom Tisch und machte eine achtungsgebietende Geste. „Da wäre noch etwas! Mein Karan hat vor wenigen Pragos eine Hochzeit meiner Schwester Merida in einen unwürdigen, imperatornahen Khasurn vereinbart. Diese Hochzeit darf nicht stattfinden. Und meiner Schwester darf dabei natürlich nichts geschehen!“

Itori Zhokal nickte und erwiderte: „Auch das ist kein Problem. Ich benötige aber weitere Informationen: wie heisst der Khasurn, wer soll ihre Schwester heiraten usw.“

Arano holte eine kleine, bedruckte Kunststofffolie aus einer Anzugstasche und schob sie auf dem Tisch zu dem Fremden, der sie aufnahm, kurz durchlas und dann anerkennend sagte: „Sie sind vorsichtig, das gefällt mir. Je weniger verräterischer Funkverkehr nötig ist, umso sicherer ist es“. Er steckte die kleine Kunsttofffolie ein und stand auf.

„Wir werden uns nie wieder sehen. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Aufenthalt. Er verneigte sich, verließ ihren Tisch und danach das Restaurant.

Nachdem die Kontaktperson der TDA das Restaurant verlassen hatte, sagte Arano leise: „Ich habe das Gefühl, als ob ich eben einen großen Fehler gemacht habe“.

Isandra schüttelte den Kopf und erwiderte energisch: „Nein, hast du nicht. Du hast das einzig Vernünftige getan, um den Khasurn wieder auf den richtigen Weg zu bringen“. Sie zweifelte manchmal, ob Arano überhaupt der richtige Mann für sie war. Aber sie sagte dann zu sich selbst, dass es wohl so von den She’Huhan vorgesehen war.

Sie legte ihre Hand auf Aranos Hand, die auf dem Tisch lag, setzte ein Gesicht auf und sagte leise. „Lass uns etwas zu Essen bestellen, bevor wir wieder zum Khasurn fliegen. Hier sind wir wenigstens ungestört.“

* * *

vier Pragos später – Anfang Tedar 14.598 da Ark

Nach dem gemeinsamen Essen der Herrscherfamilie der ‚de Ariga‘ ergriff Onuk das Wort: „Wir haben heute vom Khasurn der ‚del Harkon‘ eine Einladung zur Hochzeit von Ultral I. del‘moas Harkon und Onythia de Chihan erhalten. Es ist der ausdrückliche Wunsch von Ultral. I del‘moas Harkon, das Merida an den Hochzeitsfeierlichkeiten teilnimmt, damit sie und Charrut del Harkon Gelegenheit haben, sich kennenzulernen. Dem kann ich nur zustimmen.“ Onuk sah seine Tochter Merida an, um ihre Reaktion zu erkennen. Aber Merida machte ein nichtssagendes Gesicht. Nach einigen Augenblicken warf er einen kurzen Blick auf seine KSOL, bevor er fort fuhr: „ Die Hochzeit findet am 14. Prago to Ansoor statt. Leider werde ich nicht daran teilnehmen können, da ich zu dieser Zeit auf einer bereits länger geplanten Inspektionsreise bin. Daher werden Merida und Adara in den Elimor-Sektor fliegen. Während meiner Abwesentheit wird wie immer Arano mich hier auf Ariga in allen wesentlichen geschäftlichen Dingen vertreten.“

Onuk sah sich um, ob irgendjemand eine Frage hierzu hatte, aber dem war nicht so.

‚…in allen wesentlichen geschäftlichen Dingen vertreten‘ ging es Arano durch den Kopf. Er hasste es, wieder nur den Handlanger spielen zu dürfen. Wie üblich würde es bedeuten, dass sein Vater für alle Eventualitäten genaue Vorgaben machte, er keinen eigenen Spielraum hatte. Aber er musste es noch einmal über sich ergehen lassen. Nur noch einmal, dann würde er den Khasurn nach einer gewissen Übergangszeit führen. Er allein! Innerlich atmete Arano erleichtert auf. Sein Vater würde also an dem Zeitplan festhalten, den er für die nächsten Vothanii aufgestellt hatte.

„Nun, dann hebe ich das gemeinsame Abendmahl auf“ teilte Onuk mit, und stand auf. Alle erhoben sich ebenfalls und verließen in verschiedene Richtungen den Speisesaal.

* * *

nochmal einige Pragos später

Missmutig lief Pal’athor Rodir de Qua‘chmor durch die regionale TDA-Zentrale. Seitdem zwei seiner Einsatzpläne nicht erfolgreich abgeschlossen worden waren, hatte er bei den anderen Führungsmitgliedern der TDA-Untersektion keinen leichten Stand. Auch wenn sie es nicht sagten, spürte er ihre Zweifel an seiner militärischen Kompetenz. Seine eigene Unzufriedenheit und der gefühlte Zweifel an seiner Kompetenz ließ ihn missmutig sein.

Er warf einen Blick auf sein Vot. In einigen Tontas musste er wieder zurück auf seinem Schiff sein. Es war schon gefährlich genug, von Zeit zu Zeit hier in dieser Untersektion der TDA zu erscheinen, aber es musste sein. Gefährlicher war schon seine Doppeltätigkeit als Offizier der imperialen Flotte einerseits und als TDA-Mitglied andererseits. Bisher hatte er alle Tests bestanden, die die Tu-Ra-Cel von den Führungsoffizieren abverlangte.

Ein Mitarbeiter vor einer der Konsolen sah ihn an und hob einen Arm, damit Pal’athor Rodir de Qua‘chmor zu ihm kommen möge. Als er den Mann erreichte, blickte er ihn fragend an.

„Zhdopandel, die Zentrale hat uns ein neues Mitglied aus unserem Sektor zugewiesen. Es ist ein gewisser ‚Arano de Ariga‘. Die Zentrale weist uns an, wie üblich, diesen Arano de Ariga bei aller gebotenen Vorsicht zu unterstützen, soweit es möglich ist“.

„Was wissen wir über diesen Zweig der ‚de Arigas‘?“ fragte er.

„Für uns interessant ist: sie werden uns bei Bedarf 60 Kampfschiffe ihrer Khasurnflotte zur Verfügung stellen, wenn wir diese benötigen, davon mindestens 15 Schiffe der FUSUF-Klasse“.

Er pfiff leise anerkennend.

„Wie sollen wir diesen Arano de Ariga unterstützen?“

Der Mitarbeiter warf einen Blick auf die bedruckte Kunststofffolie, die er in den Händen hielt und erwiderte: „Eigentlich sind es sogar zwei Dinge, die im direkten Zusammenhang stehen. Er will, dass wir seinen Karan, Onuk de’moas Ariga beseitigen und gleichzeitig die Hochzeit seiner Schwester mit einem Adligen aus dem Khasurn der Harkonii verhindern. Das Problem für diesen Arano de Ariga stellt die Zeit dar. Insbesondere die Beseitigung des Karans ist laut den vorhandenen Informationen in den nächsten zwei Vothanii zu erledigen.“

Als er den Namen des Khasurns hörte, Harkon, hatte er ein Déjà-vu-Erlebnis. Ein Harkonii hatte damals, vor ungefähr fünf Vothanii, für seine erste Niederlage gesorgt. Zwar war der Einsatz im Elimor-Sektor im Prinzip nur ein Test gewesen, wie weit die Organisation im Machtzentrum von Arkon Fuß fassen konnte, aber nichts desto Trotz war er verärgert darüber, dass ausgerechnet er eine Niederlage erlitten hatte.

„Wie lautet der Name dieses Harkonii?“ fragte er barscher als es angebracht war. Der Mitarbeiter sah ihn kurz überrascht an, warf erneut einen Blick auf die Kunststofffolie und erwiderte: „Es ist ein gewisser Charrut del Harkon, Zhdopandel.“

Pal’athor Rodir de Qua’chmor traute seinen Ohren nicht. Sollte es wahr sein? Genau dieser Harkonii hatte damals für seine erste Niederlage gesorgt. Und nun wurde er damit beauftragt, dessen Hochzeit mit der Schwester des neuen Mitglieds der TDA zu verhindern! Er hatte nicht gedacht, dass sich ihre Wege noch einmal kreuzen würden.

Rodir de Qua’chmor überlegte. ‚Er musste die Rahmenbedingungen wissen, wie man am besten den Karan dieses Arano de Ariga beseitigen und die Hochzeit seiner Schwester unterbinden konnte‘. Vielleicht…

An den Mitarbeiter gewandt sagte er: „Ich muss jetzt wieder zurück zu meinem Schiff. In einigen Pragos bin ich wieder hier. Bis dahin holen Sie Informationen ein, unter welchen Bedingungen eine Beseitigung des Karans durchgeführt und wie die Hochzeit seiner Schwester verhindert werden kann. Entwerfen Sie auf Basis dieser Daten einige Szenarien. Ich werde mir diese nach meiner Rückkehr ansehen.“

Ti'Ghen, Zhdopandel!‘ kam als Bestätigung vom Mitarbeiter.

Mit einem viel besseren Gefühl als noch vor wenigen Palbertontas machte sich Pal’athor Rodir de Qua’chmor auf den Weg zur Transmitterstation.

* * *

einen Berlenprag später

Seit mehreren Tontas saß Pal’athor Rodir de Qua’chmor bereits am Positronik-Terminal der TDA-Zentrale und ging diverse Einsatz-Szenarien durch, die seine Mitarbeiter erarbeitet hatten, um sie zu bewerten. Zwei Vorgehensweisen hatten sich herauskristallisiert, wie der Karan von Arano de Ariga beseitigt werden konnte: Die eine Möglichkeit sah vor, dass auf einem Planeten, welchen das Khasurnoberhaupt während seiner Inspektionsreise besuchte, ein Unfall geschah, die andere Variante, das Transitionstriebwerk erleidet während der Inspektionsreise eine ‚Fehlfunktion‘und explodiert. Nun wartete er auf das Ergebnis der Positronik, die die Erfolgsaussichten bewertete. Während dessen schweiften seine Gedanken immer wieder zu einer anderen Person ab: Charrut del Harkon. Niemand musste es erfahren, dass seine Intention persönlicher Natur war, wenn er nicht nur die Hochzeit verhinderte, sondern auch die Niederlage von damals ausmerzen wollte. Jetzt hatte er die Gelegenheit dazu. Er musste es nur geschickt anstellen, dann konnte er sich bei diesem Charrut del Harkon für seinen missglückten Einsatz ‚revanchieren‘.Was konnte er schließlich dafür, dass der damalige Tato Kerel nert'tiga Harkon es nicht fertig gebracht hatte, trotz Unterstützung von angeheuerten Parias und Gefangennahme des Harkonii-Oberhauptes den Auftrag zu erfüllen? Wenn er nur unfähige Mitarbeiter zur Verfügung gestellt bekam, war es auch nicht verwunderlich, dass selbst so einfache Aufträge nicht erfolgreich durchgeführt werden konnten.

* * *

23. Prago to Tedar 14.598 da Ark

Alle notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung von Onuk de’moas Ariga, dem Karan von Arano de Ariga, waren ergriffen worden. Der Empfehlung der Stationspositronik folgend, war ein Wartungstechniker, der in den Diensten der Arigas stand, bestochen worden, eine Sprengladung an den Strukturkonverter des Transitionstriebwerks anzubringen. Der Strukturkonverter des Schiffes, mit dem das Khasurnoberhaupt seine Inspektionsreise unternehmen würde, würde nach einer vorgegebenen Anzahl von Transitionen beim Aufbau des Entmaterialisierungsfeldes explodieren und das sich im Aufbau befindliche 5D-Feld würde alle Materie in seinem Bereich in den 5D-Raum abstrahlen. So würde weder vom Schiff noch von der Besatzung etwas übrig bleiben. Mit einer Quote von 99,9% Wahrscheinlichkeit würde eine beauftragte Untersuchungskommission zu dem Schluss kommen, dass hier ein technischer Defekt vorgelegen habe. Danach würde der Khasurnrat beschließen, dass die Khasurnführung an den Sohn, Arano de Ariga übergehen würde. ‚So oder so ähnlich würde es in zwei Berlenprags geschehen, wenn der Khasurnführer der ‚de Arigas‘ auf seinen Inspektionsflug gehen würde‘, sagte sich Pal’athor Rodir de Qua’chmor und lehnte sich zufrieden in seinem Sessel zurück und warf dabei einen Blick durch das Panoramafenster seines Büros in die weitläufige TDA-Zentrale. Das war der leichtere Teil gewesen. Jetzt musste er sich um den Teil kümmern, der wesentlich schwieriger war: die Verhinderung der Hochzeit dieser Merida de Ariga mit dem Mann, dem er seine erste Niederlage bei einer militärischen Operation zu verdanken hatte. Dieser Teil war deswegen schwerer zu bewältigen, weil er diesen Mann gefangen nehmen wollte. Das war seine ganz persönliche Intension, nicht die der TDA. Er hoffte, dass er mit der Gefangennahme den vor vielen Vothanii fehlgeschlagenen Einsatz doch noch erfolgreich zu Ende bringen konnte. Dieser Charrut del Harkon gab sicherlich eine gute Geisel ab.
Er nahm nochmals die ausgedruckten Kunststofffolien zur Hand und las sie wiederholt durch. Danach sagte er in den Raum hinein: „Tanat Kelad soll zu mir kommen. Und zwar gleich!“

Ti’Ghen, Zdhopanda“ bestätigte die Stationspositronik.

Wenige Palbertontas später betrat ein in schwarzer Uniform gekleideter Arki das Büro und salutierte militärisch exakt. Das Gesicht des Arkis war von Narben unterschiedlicher Größen und Stärken geprägt. Rodir de Qua’chmor kannte die Geschichten, die sich hinter vorgehaltener Hand über Tanat erzählt wurden. Er wusste nicht, ob sie stimmten, aber er wusste, dass er sich auf Tanat verlassen konnte. Dieser würde jeden Auftrag erfüllen, auch wenn es bedeutete, dass er dabei sterben würde. Rodir de Qua’chmor empfand das vernarbte Gesicht abstoßend. Jeder halbwegs vernünftige Arki hätte sich schon lange einer Schönheitsoperation unterzogen, aber eine der Geschichten, die er von Tanat Kelad gehört hatte besagte, dass dieser seine Narben als ‚Markenzeichen‘ betrachtete.

Rodir de Qua’chmor deutete auf einen Sessel vor seinen Schreibtisch und sagte: „Nehmen Sie Platz“

Nachdem sich Tanat Kelad gesetzt hatte, beugte sich Rodir auf seine Unterarme stützend in Richtung Tanat nach vorne und sagte: „Ich habe einen heiklen Auftrag für Sie. Wichtig bei diesem Auftrag ist es, das die beiden Subjekte, um die es hier geht, unversehrt in unsere Hände gelangen. Das eine Subjekt ist die Schwester eines neuen Mitglieds unserer Organisation, eine junge Frau. Diese muss unverletzt in unsere Hände gelangen, egal, was passieren mag“. Er dachte kurz nach. Wenn er wollte, dass sein Auftrag erfolgreich sein konnte, musste er Tanat etwas von seinem ‚privaten‘ Plan erzählen, nur so konnte er Gewissheit haben, das der Auftrag in seinem Sinn erfolgreich abgeschlossen werden konnte. „Das andere Subjekt will ich haben. Ich habe noch eine Rechnung offen mit dieser Person!“

„Wer, wann und wo?“ fragte Tanat mit einer rauen, emotionslosen Stimme. Rodir kannte Tanat soweit, dass er sich nicht von dessen gefühlskalter Miene und Stimme täuschen ließ. Er hatte Tanat bei einigen Einsätzen kennengelernt. Wenn es darauf ankam, wurde dieser zu einem sehr gefährlichen Gegner und wenn er die Gelegenheit dazu bekam, seinen Gegner zu foltern, würde er seine ganze Wut und Hass, woher diese auch herstammen mochte, an den Gefangenen auslassen.

Rodir lehnte sich in seinem Sessel zurück und aktivierte den 3D-Holoprojektor vor sich auf dem Schreibtisch. Die Daten der beiden Personen tauchten wie aus dem Nichts direkt über dem Schreibtisch auf. Während Tanat die ersten Daten und Bilder überflog, erläuterte Rodir diese.

„Der Auftrag lautet, die Ehe zwischen diesen beiden Subjekten zu verhindern. Die Frau heisst Merida de Ariga. Sie wird, zusammen mit ihrer Mutter und anderen Angehörigen am 12. Prago to Ansoor auf Harkon im Elimor-Sektor erscheinen, um ihren zukünftigen Mann, unser zweites Subjekt, kennen zulernen“. Rodir legte eine kurze Pause ein, damit Tanat die Möglichkeit erhielt, die Informationen zu verarbeiten. Als dieser kurz nickte, fuhr er fort: „Der Mann, Charrut del Harkon, Sohn des Khasurnoberhaupts Ultral I. del’moas Harkon, wird zu dieser Zeit auch auf Harkon weilen. Derzeit besucht er wie etliche Essoya, Brass’cooi oder Zayna die vom Usurpator Saran III. eröffnete Raumakademie Varynkor. Im Ansoor sind wie bekannt Akademieferien und er wird seine Heimatwelt besuchen, um Merida de Ariga zu begegnen.“

Rodir legte eine kurze Unterbrechung ein, bevor er Tanat direkt ansehend fortfuhr: „Wenn dieser Charrut del Harkon von uns gefangen genommen wird und für immer verschwindet, wird es keine Ehe geben und wir haben unseren Auftrag erfüllt.“

„Das ist machbar.“ erwiderte Tanat gedehnt. „Vorausgesetzt, wir können nahe genug an ihn heran kommen. Das wird allerdings auf seiner Heimatwelt schwierig sein. Wir wissen nicht, ob er den Khasurn verlässt und wenn ja, wann“

Rodir deaktivierte den 3D-Holoprojektor. „Genau das ist der Schwachpunkt an dem Auftrag. Und selbst wenn uns Zeitpunkt und Ort bekannt sind, muss es sehr schnell gehen. Der Sohn eines Khasurnsoberhauptes verschwindet nicht einfach so. Sein Vater wird, wenn er davon erfährt, die Khasurnsicherheit, die Systemflotte und alle anderen Ressourcen aufbieten, um seinen Sohn zu befreien. Die Aktion muss professionell und schnell durchgeführt werden. Darum habe ich Sie ausgewählt! Gehen Sie davon aus, dass Sie wenig Zeit haben werden, dieses Subjekt zu entführen. Nehmen Sie ihre besten Männer und Frauen, um diesen Auftrag auszuüben! Alle Informationen zu den beiden Subjekten, deren Khasurne, Hintergründe usw. finden Sie in Ihrem Informationsspeicherbereich“.

Tanat Kelad nickte und stand auf. „Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich den geeigneten Einsatzplan ausgearbeitetet habe“.

Rodir nickte und entließ Tanat mit einer Handbewegung. Als Tanat die Tür öffnete, um das Büro von Rodir de Qua’chmor zu verlassen, sagte dieser von seinem Schreibtisch aus: „Und Tanat, der Auftrag ist mehr als wichtig. Vermasseln Sie ihn nicht!“

Tanat sagte nichts dazu, sondern verließ entgültig das Büro.

* * *

Anfang Ansoor

Endlich Akademieferien. Wie üblich im Ansoor war Charrut zurück geflogen nach Harkon. Die letzten Vothanii waren für ihn emotional mehr als schwierig gewesen. Seit Onista bei einem Gleiterabsturz zusammen mit ihrer Schwester Sidona ums Leben gekommen war, durch eine Auftragsmörderin herbeigeführt, war er nicht mehr der alte, so wie ihn seine Freunde von früher kannten. Er hatte Onista geliebt, hatte sich eine Zukunft mit ihr vorgestellt, trotz der vorhandenen Ablehnung seitens seines Karans. Aber das war Vergangenheit. Zurück blieben nur seine Gefühle und schmerzhafte, wenn auch schöne Erinnerungen, alles andere hatte der Fluß der Zeit langsam in sich aufgesogen. Seither war er mehr in sich gekehrt, das Leben bot ihm nur noch selten Anlässe zum Glücklichsein.

Seitdem er wieder auf Harkon weilte, hatte er sich zurückgezogen. Er verließ seinen Wohnbereich nur selten, Anrufe vieler ortsansässiger Freunde ignorierte er, genauso auch die seines besten Freundes Kormitur. Er brauchte einfach Zeit, sich der Tatsache zu stellen, das Onista nur noch in Erinnerungen bei ihm sein würde. Er hoffte, dass sein Aufenthalt auf Harkon sein physisches Gleichgewicht wieder herstellen konnte. Das Ende der Ausbildung war nahe und gerade jetzt konnte er sich keine große Ablenkung leisten. Er hatte sich vorgenommen, die schmerzhaften Erinnerungen an die letzten Vothanii in den hintersten Winkel seines Herzens zu verbannen. Aber die Diskrepanz zwischen dem Verstand und seinen Gefühlen ließen sein Zhy unausgeglichen und schwach erscheinen…

* * *

6. Prago to Ansoor 14.598 da Ark

Ultral war auf den Weg zu Charruts Wohnbereich. Er wusste, wie sein Sohn reagieren, wie er über ihn denken würde. Das er vielleicht gefühlskalt Entscheidungen über dessen Kopf hinweg traf, die das weitere Leben seines Sohnes beeinflussen würden. Aber dem war nicht so! Er war Khasurnoberhaupt und trug eine schwere Verantwortung nicht nur den Elimor-Sektor und aller Harkonii-Khasurns, sondern auch familiär und im Gefüge des Adels. Und auch er hatte Träume und Ziele. Ein Ziel hatte er erreicht, das endlich wieder jeder Nachkomme ersten Grades des obersten Harkon-Khasurns auf eine Raumakademie gehen dürfte, einschließlich seines Sohnes. Und jetzt hatte er ein weiteres Ziel fast erreicht, nämlich, wenn sein Sohn eine Frau aus einem höheren Adel heiraten würde. Es war wie ein Geschenk der She’Huhans gewesen, als ihn sein Freund und Geschäftspartner Onuk de’moas Ariga vor einiger Zeit angeboten hatte, dass sein Sohn dessen Tochter Merida heiraten könnte.

* * *

Von der Eingangstür seines Wohnbereichs erklang das melodische Klingelsignal. Charrut stand von der Couch auf und rief: „Öffnen!“.

Die Tür öffnete sich und sein Karan trat herein. Charrut war überrascht. ‚Wann hat mich mein Karan das letzte mal in meinem Wohnbereich aufgesucht?‘ fragte sich Charrut, während er eine einladende Geste machte.

Sein Karan trat ein und nachdem sich die Eingangstür geschlossen hatte, blieb er im Aufenthaltsraum stehen, sah sich kurz um und sagte dann mit unbeweglicher Miene: „Ich habe dir eine Entscheidung mitzuteilen!“

Charrut sah seinen Karan überrascht an, setzte sich aber wieder auf seine Couch und sagte: „Ich höre.“

Sein Karan sah ihn kurz abschätzend an und sagte dann: „Du hast dich verändert. Früher warst du interessiert an deine Umgebung, nicht so verschlossen, nicht so in dich gekehrt. Ich sehe nicht mehr den Sohn von früher. Ich kann verstehen, dass dich der Tod von Onista schwer getroffen hat. Glaube mir, ich kann es verstehen. Als deine Mutter starb, kurz nach deiner Geburt, habe ich auch geglaubt, die She’Huhans hätten sich von mir abgewandt. Aber es ist eine Prüfung. Eine Prüfung, wie man das Leben meistert! Ich habe damals auch Zeit gebraucht, über den Verlust hinweg zukommen, aber bei dir sehe ich leider nicht, dass sich das ändert. Seit etlichen Vothanii kommst du heim und verkriechst dich in deinen Wohnbereich. Selbst dein Freund Kormitur erreicht dich nicht.“. Ultral machte eine kurze Pause, um Charrut Zeit zum Nachdenken zu geben. Nach einigen Palsartontas fuhr er fort: „Ich habe daher beschlossen, jetzt, nachdem du demnächst 27 Tai-Vothars alt wirst, das es für dich Zeit wird, eine Familie zu gründen und zu heiraten!“
Charrut glaubte, sich verhört zu haben. Er sah seinen Karan verwirrt an. „Was meinst du mit ‚habe ich beschlossen‘?“

„Ich bin mit dem Khasurnrat und dem Khasurnoberhaupt der ‚de Ariga‘ übereingekommen, das es für beide Seiten von Vorteil wäre, wenn unsere wirtschaftliche Verbindung durch eine Heirat weiter gefestigt und intensiviert werden würde“.

Charrut sprang von der Couch auf und blieb vor seinem Karan stehen.

„Was? Du willst mich verkuppeln und zwingen, jemand zu heiraten, den ich noch nicht einmal kenne?“ stieß er erregt hervor.

Sein Karan sah ihn direkt in die Augen und erwiderte hart: „Wenn du es so negativ sehen willst: ja. Es ist beschlossen. Auch der Khasurnrat hat dem zugestimmt. Alle notwendigen Schritte wurden bereits durchgeführt und auch vom Amt für Adelsangelegenheiten auf Gos’Ranton wurde der Ehe zugestimmt.“

Charrut war erregt und Wut kochte in ihm hoch. Mit einer solchen Entwicklung hätte er nie gerechnet. Instinktiv ballten sich seine Hände zu Fäusten.

„Und wenn ICH dem nicht zustimme? Den Ehevertrag nicht unterzeichne? Was dann?“ erwiderte Charrut wütend.

Sein Karan machte eine abweisende Handbewegung und erwiderte: „Du bist mein Sohn und genießt alle Privilegien. Was, wenn du sie nicht mehr hättest und auch keine finanziellen Mittel mehr?“

„Das ist Erpressung!“ grollte Charrut zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und Ultral konnte die Wut spüren, die in seinem Sohn brodelte.

„Nein. Das ist eine Entscheidung, die ich zum Wohle des Khasurns und zu deinem Wohl getroffen habe!“ sagte Ultral mit harter Stimme. Ultral holte aus seiner Jackentasche eine KSOL hervor und reichte sie Charrut, aber Charrut ignorierte die KSOL und stand weiterhin wütend und mit geballten Fäusten seinem Karan gegenüber. Darum legte Ultral sie auf den Couch-Tisch.

Ultral deutete auf die KSOL und sagte: „Hierauf findest du alle relevanten Informationen zum Khasurn ‚de Ariga‘ und zu deiner künftigen Frau, Merida de Ariga.“ Ultral wandte sich um und ging zur Eingangstür. Nachdem sich die Eingangstür geöffnet hatte und er Charruts Wohnbereich schon fast verlassen hatte, blieb er stehen, drehte sich nochmal um und sagte: „Übrigens, die Familie ‚de Ariga‘ wird uns zu unserer Hochzeit besuchen kommen. Damit ihr euch kennenlernt, werden sie bereits übermorgen eintreffen. Nachdem, was ich von Merida erfahren habe, bin ich der Meinung, das sie ganz gut zu dir passt!“. Danach drehte sich Charruts Vater um und verließ endgültig den Wohnbereich.

Charrut stand noch immer mitten in seinem Aufenthaltsraum. Unbeschreibliche Wut auf seinen Karan beherrschte ihn, die ein Ventil suchte. Vor lauter Wut aufstöhnend trat er nach der kostbaren Holzvitrine, die neben der Couch stand und in der er wertvolle Andenken aufbewahrte. Immer und immer wieder trat er gegen das wertvolle Mobiliar, bis es in seine Einzelteile auseinander gefallen war und er seine Wut abreagiert hatte.

Langsam setzte er sich wieder auf die Couch und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. ‚Was weis mein Karan schon von meiner Liebe zu Onista?‘ fragte er sich. ‚Er hatte sie geliebt und von einem Moment zum anderen war sie ihm genommen worden. Natürlich hatte er ihr die Totenwache gehalten, so wie sie es sicherlich gewollt hätte und wie es auch seit Äonen Tradition war. Die Totenwache war dazu da, um für den Toten bei den She’Huhans um Vergebung zu bitten und für den Lebenden, um einen Neuanfang zu wagen. Und trotzdem: die Wunde in seinem Herzen war noch immer da, zu frisch, viel zu nah, um sich Gedanken um eine andere Frau zu machen. Und jetzt kam sein Karan auf die wahnwitzige Idee, dass es Zeit wurde, an Familie und vielleicht noch Kinder zu denken‘

Charrut nahm die Hände von seinem Gesicht und sah sich den Trümmerhaufen an, der von der Vitrine übriggeblieben war. Aufseufzend stand er auf und kniete sich bei dem Trümmerhaufen nieder, um seine Andenken und Erinnerungsstücke heraus zu suchen…

* * *

Als er am nächsten Morgen frisch geduscht und angezogen den Schlafbereich verließ und in den Aufenthaltsraum kam, fiel sein Blick auf die KSOL, die sein Vater auf dem Couch-Tisch liegengelassen hatte. Langsam, nur widerstrebend nahm er sie auf und ging in sein Arbeitszimmer nebenan. Dort setzte er sich in den Sessel hinter seinem Schreibtisch und aktivierte das Gerät.

Charrut del Harkon

Zuerst rief er die allgemeinen Informationen ab, die über den Khasurn ‚de Ariga‘ vorhanden waren, erst danach sah er sich die Bilder und Informationen seiner zukünftigen Frau an. Nach dem er alles angesehen hatte, schloss er die Augen. Wie kam sein Karan auf die Idee, ihm zu sagen, die Frau würde zu ihm passen? Er öffnete wieder die Augen und las nochmals. Ihr Name war Merida de Ariga, 1,65 Quars groß, 14.576 da Ark in Tanshim auf Ariga geboren. Den auf der KSOL vorhandenen Holobildern nach besaß sie goldrote Augen, weißes, rückenlanges Haar, war schlank und sah zugegebenermaßen hübsch aus.

Charrut deaktivierte die KSOL und legte sie neben sich auf die Couch, während er sich zurücklehnte und nachdachte…

Trotz der vielen Tontas, die bereits vergangen waren, seit dem sein Karan ihm eröffnet hatte, das er für ihn eine Frau zum Heiraten ausgewählt hatte, fühlte er sich noch immer von seinem Karan überrumpelt und hintergangen. Die Art und Weise, wie sein Karan ihm die Hochzeit näher gebracht hatte, sprach Bände. Sein Karan und er hatten nie ein ausgeglichenes Verhältnis zueinander gehabt. Er hatte immer das Gefühl gehabt, dass sein Bruder Ultral II. der Lieblingssohn von Ultral gewesen war. Abgesehen von der Tatsache, dass er wusste, dass diese Art der Eheschließungen im Tai Ark’Tussan und im Adel in dieser Epoche immer weiter um sich griff, fühlte er sich noch nicht bereit dazu, sein Leben schon jetzt in einer vorgegebenen Bahn verlaufen zu lassen. In vielen, vielen Tai-Vothanii vielleicht, aber jetzt schon? In gut drei Tai-Vothanii würden die Abschlussprüfungen auf der Raumakademie stattfinden und dann würde sich entscheiden, falls er bestehen sollte, welchen weiteren Weg sein Leben nehmen könnte. In reizten ja nicht nur die ARK SUMMIA, sondern auch gefährliche Einsätze in der Flotte, er konnte sich auch gut vorstellen, für die Tu-Ra-Cel zu arbeiten. Und gefährliche Einsätze vertrugen sich nun einmal nicht mit einer Ehe, womöglich noch mit Kindern. Andererseits war er noch auf die finanzielle Unterstützung seines Khasurns, seines Karans angewiesen. Wenn die wegfallen sollte, weil er sich weigerte, diese Merida de Ariga zu heiraten, hatte er keine Perspektive mehr, auf der Raumakademie von Varynkor zu bleiben. So oder so ähnlich dachte wohl sein Karan. Er wusste es besser. Ein Lächeln stahl sich in sein Gesicht. Er hatte immer wieder etwas von dem Konto abgezweigt, das sein Karan ihm damals eingerichtet hatte, als er zur Raumakademie aufbrach. Zusätzlich gab es noch das Erbe seiner Fama, die er nie kennenlernt hatte. Von ihr hatte er genügend geerbt, um zusammen mit dem geheimen Konto einige Tai-Vothanii weiterhin auf der Akademie bleiben zu können. Sein Karan würde sich wundern, wenn er die Ehe mit dieser Merida de Ariga ablehnte. Er ließ den Gedanken etliche Palbertontas durch seinen Kopf kreisen, dann hatte er sich entschieden.

* * *

Charrut warf einen Blick auf sein Vot und stellte erstaunt fest, dass er fast eine Tonta lang über eine ‚Problemlösung‘ nachgedacht hatte und nicht nur Palbertontas, wie er vermutet hatte. Er stand auf, nahm die KSOL und verließ sein Wohnbereich. Nach wenigen Paltortontas hatte er das von seinem Karan bevorzugte Arbeitszimmer erreicht und trat ohne zu klopfen ein. Wie er erwartet hatte, saß sein Karan hinter dem voluminösen Arbeitstisch und unterhielt sich gerade mit Rhar, dem Khasurn-Laktroten, der in einem Sessel vor dem Arbeitstisch saß. Sein Karan unterbrach das Gespräch, als er Charrut erblickte und Rhar drehte sich um, um zu sehen, wer in den Raum trat. Als er Charrut erkannte, stand er auf und verneigte sich.

„Guten Morgen, Zdhopandel“ sagte Rhar.

„Guten Morgen Rhar. Bitte verlassen Sie den Raum. Ich habe mit meinem Karan etwas zu besprechen.“

Irritiert wandte sich sich Rhar um und sah Ultral I. fragend an.

Ultral ahnte, worum es ging und hatte auch die KSOL in Charruts Hand erblickt. Darum nickte er Rhar zu und sagte zu ihm: „Schon gut, Rhar. Wir sprechen später weiter“.

Rhar Nyat verneigte sich leicht und verließ den Raum. Nachdem Rhar den Raum verlassen hatte, ging Charrut zu dem Sessel, in dem bis vor wenigen Augenblicken Rhar gesessen hatte und nahm dort Platz. Sein Karan sah ihn gespannt an, wie er sich wohl entschieden hatte.

Charrut ergriff das Wort: „Nach unserem gestrigen Gespräch hatte ich die Zeit, in Ruhe darüber nachzudenken.“ Er machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach. „Ich bin nicht gewillt, dieser arrangierten Ehe zuzustimmen! Mit anderen Worten: ich werde den Ehevertrag nicht unterschreiben.“

Ultrals Gesichtsfarbe wurde eine Idee blasser. Damit hatte Ultral nicht gerechnet: sein Sohn wagte es, sich gegen ihn aufzulehnen! Aus seiner Überraschung wurde Zorn. Ruckartig stand er auf, stützte sich schwer auf seinem Schreibtisch ab und erwiderte wütend und mit lauter Stimme: „Du wagst es, meinen Wunsch abzulehnen? Mir, deinem Karan? Wo ich alles Mögliche getan habe, damit du auf diese Akademie gehen kannst?“

Auch Charrut stand auf und wieder standen sie sich im Zorn gegenüber. „Was hast du schon für mich getan? Nichts, garnichts!“ erwiderte Charrut heftig.

„Wenn ich damals nicht zum Shekur ‚Agh Loksomh‘ gegangen wäre, würdest du noch heute hier im Khasurn sitzen und nicht auf der Akademie. Und dieser Ehevertrag wäre nie zustande gekommen, wenn du nicht so dumm gewesen wärest, dich mit Onista, einer Essoya, einzulassen und dich von Auris zu trennen!“

Jetzt war es Charrut, dessen Gesichtsfarbe blasser wurde. „Woher weißt du das? Ich habe nie über Auris gesprochen! Und was hast du mit dem Shekur besprochen? fragte Charrut leiser.
Ultral konnte sich ohrfeigen. In seiner Wut hatte er seinem Sohn mehr erzählt, als er wollte, aber das war jetzt auch schon egal. Mit einer herrischen, wegwischenden Geste erwiderte er: „Glaubst du wirklich, ich wüsste nicht, was auf Varynkor vor sich geht? Ich bezahle ein kleines Vermögen für deine Ausbildung und dafür erhalte ich auch alle relevanten Informationen. Ich war glücklich, als ich hörte, dass eine Freundschaft dich mit Auris verband. Auch wenn sie nur eine Angehörige des Kator-Khasurns ist, ist sie doch die Nichte des Shekurs Errenol agh Loksomh. Sie wird von ihm protegiert, seine wachsamen Augen ruhen auf ihr. Und der Shekur ist ein enger Vertrauter des Imperators. Hast du dich nie gefragt, warum ihr dem Shekur zugeteilt seid? Warum eure Aufträge in letzter Zeit so gefährlich wurden? Mit dem Shekur hatte ich damals, vor vielen Tai-Vothanii ein Geschäft abgeschlossen, damit du auf die Akademie von Varynkor gehen durftest. Warum, glaubst du, wurde bei dir für den Khasurn der Harkonii eine Ausnahme gemacht? Du kennst doch die Geschichte unseres Khasurns. Wir mussten damals nur dafür sorgen, dass du freiwillig auf die Akademie wolltest. Und dafür hat Chamah’ney gesorgt. Sie hatte solange auf dich eingeredet, dass es dir vorkam, als wäre es deine Idee gewesen… Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie du damals zu mir gekommen bist und mich versucht hast zu überreden, dich auf die Akademie gehen zu lassen.“ Langsam setzte sich Ultral wieder hinter seinem Schreibtisch. Er fragte sich, ob es richtig gewesen war, seinem Sohn gerade jetzt dieses Geheimnis zu offenbaren. Vermutlich würde die Ablehnung seines Sohnes zur geplanten Hochzeit nur noch heftiger ausfallen.

In Charruts Inneren kämpfte das Gefühl des Hintergangenseins gegen seine Logik. Einiges hatte er bereits gewusst, manches geahnt und trotzdem stand er jetzt vor seinem Karan und fühlte sich wie ein leichtgläubiges Kind. Natürlich wusste er, wer der Shekur war und in welchem Verhältnis Auris zu ihm stand. Genauso wusste er, dass die Adligen, die ihre Söhne und Töchter auf eine Raumakademie schickten und deren Ausbildung bestritten, Informationen von der Akademieleitung erhielten. Aber dass die Informationen über ausbildungsrelevante Bereiche hinausgingen, war für ihn neu. Genauso, das ihn Chamah’ney damals psychologisch bearbeitet haben sollte. Jetzt, wenn er so zurückdachte, erschienen ihm die Gespräche mit seiner Schwester in einem ganz anderen Licht… Aber deswegen war er jetzt nicht hier bei seinem Karan. Er rief sich zur Ordnung: mehr denn je sträubte sich alles in ihm, dem Ehevertrag zuzustimmen.

Charrrut legte die KSOL seines Karans, die er mitgebracht hatte, entschlossen auf dessen Schreibtisch. „Ich werde diese Frau nicht heiraten. Mehr habe ich nichts dazu zu sagen!“

Er drehte sich um und ging zum Ausgang. Von hinten hörte er Ultral noch wütend sagen „Das letzte Wort ist hierzu noch nicht gesprochen“, dann verließ er das Büro seines Karans.

Ultral trommelte wütend mit seinen Fingern auf der Arbeitsplatte seines Schreibtisches herum, bis er sich etwas beruhigt hatte, dann wählte er über das Terminal auf seinem Schreibtisch die Nummer von Rhar Nyat, dem Khasurn-Laktroten. Als sich Rhar meldete, sagte Ultral nur: „Wir müssen zum besprochenen Plan greifen. Sofort!“. Danach beendete er die Verbindung und sank düster in seinen Sessel, um in Ruhe nachdenken zu können.

* * *

Als Charrut wieder in seinem Wohnbereich kam, atmete er erstmal intensiv ein und aus. Er fühlte sich hintergangen und düpiert. Insbesondere von seiner Schwester. Er hatte immer gedacht, sich auf sie verlassen zu können, aber wie er nun erfahren musste, basierte seine Einschätzung nur auf sein Gefühl. Wie er mit Erschrecken feststellen musste, stürzte seine Welt nach und nach ein. Zurück blieben nur logische Entscheidungen.

Er schritt langsam vom Eingang seines Wohnbereiches zum Aufenthaltsraum. Was hatte sein Karan vorhin gesagt? ‚Glaubst du wirklich, ich wüsste nicht, was auf Varynkor vor sich geht? Ich bezahle ein kleines Vermögen für deine Ausbildung und dafür erhalte ich auch alle relevanten Informationen.‘ Er hatte kein Zweifel daran, dass die Aussage seines Karans der Wahheit entsprach. Das würde aber bedeuten…

„Positronik, wie hoch ist der Stand meines Guthabens, das ich auf meinem persönlichen Konto auf Varynkor habe?“ fragte Charrut in den Raum. „Ich übermittle dir die entsprechenden Zugriffsdaten“. Er nahm seine KSOL vom Tisch und tippte eine lange Kombination von Zeichen ein.

„Zugriffcode und Kontodaten erhalten, Zhdopandel. Verbindung nach Varynkor wird aufgebaut…“

„Wie hoch ist der Stand meines Guthabens, das ich von meiner Fama geerbt habe?“ stellte Charrut gleich die nächste Frage.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sich die Khasurn-Positronik bei ihm meldete: „Zhdopandel, leider kann ich nicht auf Ihr persönliches Konto hier auf Harkon zugreifen. Es liegt ein Sperrcode oberster Priorität vor!“

Er hatte es fast geahnt und war doch blindlings in die Falle seines Karans getappt. Wut breitete sich in ihm aus. Wut auf sich und seinem Karan. Jetzt waren also die Karten neu gemischt und zwar zu seinem Nachteil!

Bevor er weiter nachdenken konnte, meldete sich wieder die Khasurn-Positronik: „Zhdopandel, Euer Guthaben auf Varynkor beträgt derzeit 0 Chronners!“

Charrut verlor etwas von seiner Gesichtsfarbe. Sein Karan hatte es durchblicken lassen und es tatsächlich durchgeführt. Er war plötzlich mittellos; von einen zum anderen Augenblick stand er ohne einen Chronner da. Was konnte er machen? Wütend und frustriert ging er in seinen Arbeitsbereich, um alles neu zu überdenken.

am nächsten Prago

Niedergeschlagen begab sich Charrut am späten Vormittag auf den Weg zu seinem Karan. Er hatte nochmals alle Möglichkeiten, die ihm zur Verfügung standen, betrachtet. Viele waren es wahrlich nicht gewesen. Letztendlich lief es darauf hinaus, sich für oder gegen ein weiteres Verbleiben auf der Raumakademie zu entscheiden. Und er hatte sich für Varynkor entschieden! Damit musste er notgedrungen die Kepaia seines Karans schlucken; die Eheschließung mit Merida de Ariga.

Als er das Arbeitszimmer seines Karans erreichte, trat er ein. Sein Karan saß wie immer hinter dem Arbeitstisch und las an seinem Terminal. Langsam ging er in Richtung des Schreibtisches, als sein Karan aufblickte.

„Warte einen Augenblick, ich muss nur noch etwas erledigen“ sagte Ultral an seinen Sohn gewandt, bevor er eine Taste am Terminal drückte.

Wenige Augenblicke später hörte Charrut, wie sich Rhar Nyat meldete.

„Rhar, ich habe eben die Mitteilung erhalten,“ und betrachtete dabei seinen Sohn abschätzend, während er sprach, „das in vier Pragos meine zukünftige Schwiegertochter, ihre Mutter sowie weitere elf Mitglieder aus dem Khasurn der Ariga auf Harkon eintreffen werden. Lassen Sie alles vorbereiten. Die Positronik wird Ihnen die Namen und den jeweiligen Familienstatus übermitteln“.

Nach dem Gespräch mit Rhar wandte sich Ultral zu seinem Sohn und fragte: „Und, zu welcher Entscheidung bist du heute gekommen?“

Charrut setzte sich in einem der vor dem Schreibtisch stehenden Sessel und erwiderte: „Mir bleibt wohl keine andere Möglichkeit, als dem Ehevertrag zuzustimmen“.

Ultral nickte leicht und erwiderte: „Die richtige Entscheidung! Du wirst sehen, es wird sich alles für dich positiv entwickeln“.

Nach einigen Augenblicken des Schweigens sagte Charruts Karan: „Versuche, die Vorteile zu sehen, die eine Ehe mit den ‚de Arigas‘ mit sich bringen. Abgesehen davon ist Merida eine ausnehmend anmutige und schöne Frau, die auch entsprechende körperliche Reize hat“.

Charrut winkte ab und erwiderte: „Ich habe mir die Infos und Holobilder angesehen. Ich werde ja sehen, wie sie ist, wenn sie mit ihrer Fama am 12. Prago nach Harkon kommt“.

„Apropos nach Harkon kommen. Heute Nachmittag wird Onythia mit vielen Angehörigen ihres Khasurns nach Harkon kommen. Darunter befindet sich sich auch ein Neffe von ihr, ein gewisser Vherdyn de Chihan. Dieser Neffe besucht die Akademie von Largamenia. Eine gute Gelegenheit, sich auszutauschen“.

„Das werde ich machen. Aber eine andere Frage habe ich noch: du hast mein Konto auf Varynkor geleert und mir den Zugriff auf das Konto meines Erbes gesperrt. Mit welcher Berechtigung?“

Ultral sah Charrut nachdenklich an, bevor er laut in den Raum sprach: „Positronik, zitiere den Absatz aus dem Testament von Sha’na del Harkon, in dem es um die Verwaltung des Erbes von Charrut del Harkon geht“.

„Zhdopandel, ich zitiere: Ultral I. del Harkon verwaltet bis zur Volljährigkeit und Reife das Erbe für meine Kinder Chamah’ney, Ultral II. und Charrut.“

Ultral wandte sich an Charrut und ergänzte: „Meine ‚Berechtigung‘ ergibt sich aus den Wörtern ‚Volljährigkeit und Reife‘!“

Charrut biss sich auf seine Unterlippe, bevor er aufstand und resignierend erwiderte: „Also gut, ich habe verstanden. Wir sehen uns später.“

Ultral sah seinem Sohn nach, wie dieser mit hängenden Schultern sein Büro verließ. Er hätte ihm gerne nachgerufen, das der Weg, den sein Sohn jetzt gehen musste ein steiniger war, aber letztendlich ihn dahin bringe würde, was er erreichen wollte. Aber er verkniff sich eine Bemerkung in Richtung seines Sohnes; er war sich nicht sicher, ob dieser schon dafür bereit war. Mehr denn je war er der Überzeugung, das ein designierter Khasurnführer sich ein dickes Fell zulegen und hart im nehmen sein musste. Er setzte sich wieder hinter seinem Schreibtisch und widmete sich wieder seinen Aufgaben.

* * *

12. Prago to Ansoor 14.598 da Ark

Seit zwei Pragos war Onuk bereits mit seiner Privatyacht „STERN VON ARIGA“ unterwegs, um die wie in jedem Tai-Vothan stattfindende Inspektionsreise durchzuführen. Das erste Ziel war Horgas im Ullishtan-Sektor, mehr als 24.700 Lichtjahre von Ariga entfernt. Fünf Transitionssprünge hatten sie bereits hinter sich, zwei sollten noch folgen. Während die ersten Sprünge nur von kurzer Distanz waren, erfolgten nun größere Reichweiten. Thantur-Lok, in denen auch Arkon und Ariga lagen, hatten sie bereits hinter sich gelassen. Während er im Kontursitz saß und auf den nächsten Transitionssprung wartete, schweiften seine Gedanken ab und kehrten zu seiner Familie zurück. Bei seinem Abschied hatte er nochmals mit seiner Frau über den bevorstehenden Besuch auf Harkon gesprochen und seiner Tochter ins Gewissen geredet, sich adäquat und standesgemäß zu verhalten. Er wäre gerne bei der Hochzeit seines Freundes Ultral I. dabei gewesen, um dessen neue Frau Onythia und den zukünftigen Mann seiner Tochter Merida, Charrut kennen zulernen. Aber die Pflicht ging vor. Seinem Sohn Arano musste er nicht viel sagen, was die Geschäfte anging; auf ihn war verlass.

‚Sprung erfolgt in 10…9…8…‘ zählte die Bordpositronik herunter und beendeten abrupt Onuks Gedanken an seine Familie. Im Privatbereich seiner Yacht entspannte er sich am Besten im Kontursitz. Er wusste schon gar nicht mehr, wie oft er in seinem Leben per Transmitter oder in einem Raumschiff durch den Hyperraum gesprungen war. Der Rematerilisationsschmerz äußerte sich bei ihm durch ein kurzes ziehen im Nacken, mal weniger, mal stärker, je nach Sprungdistanz. ‚..3…2…1‘. Onuk schloß die Augen. Aber der Rematerilisierungsschmerz blieb aus, stattdessen spürte er eine Vibration, die selbst sein Kontursitz nicht ausgleichen konnte. Gleich darauf wummerte der Alarm durch das Schiff. Verwundert öffnete Onuk seine Augen. Nach einem Augenblick der Überraschung drückte er an seinem Kontursitz einen Knopf und auf dem Monitor vor ihm erschien nach kurzer Zeit das Abbild von Athor Ethao wes‘tiga Gipho.

„Was ist geschehen? Warum sind wir nicht gesprungen?“

Zdhopanda, ich kann Euch momentan nur soviel sagen, dass wir eine Fehlfunktion am Strukturwandler haben. Die Techniker sind gerade dabei, den Fehler zu lokalisieren.“

Onuk überlegte. Eine Fehlfunktion am Strukturwandler war eine heikle Angelegenheit, die nicht innerhalb von wenigen Palbertontas korrigiert werden konnte. Es würde Tontas dauern, den Fehler zu lokalisieren und den Konverter neu zu kalibrieren.

Onuk sah seinen Athor wieder an, nickte ihm zu und erwiderte: „Halten Sie mich auf den Laufenden!“

"Ti'Ghen, Zdhopanda" bestätigte Athor Ethao wes‘tiga Gipho, salutierte und beendete die Verbindung.

Währenddessen löste Onuk die Sicherheitsgurte an seinem Kontursitz und stand auf. Er richtete sich auf eine längere Wartezeit ein. Sein selbst gesteckter Zeitplan geriet schon wenige Pragos nach dem Start der Inspektionsreise ins Wanken. ‚Wenn das kein böses Omen ist‘, ging es ihm durch den Kopf.

* * *

Mit einem unguten Gefühl betrat Onuk den neben der Zentrale gelegenen Besprechungsraum. Vor wenigen Palbertontas, drei Tontas nach dem eigentlich angesetzten Sprung hatte sich Athor Ethao wes‘tiga Gipho bei ihm gemeldet und ihn in diesen Besprechungsraum gebeten. Ethao wes‘tiga Gipho hatte angedeutet, dass sie vor einem großen Problem standen.

Als Onuk eintrat, erblickte er neben Athor Ethao wes‘tiga Gipho einen weiteren Mann, der versuchte, sich gerade seine verschmierten Hände an einem Tuch zu reinigen. Athor Ethao wes‘tiga Gipho war ein reinrassiger Arki, dessen genaues Alter man nicht aus dem Gesicht ablesen konnte, wenn man ihn nicht kannte. Nur die kleinen Falten in den Augenwinkeln und das Wissen, dass Ethao wes‘tiga Gipho früher in der Imperialen Flotte gedient hatte, ließen auf ein fortgeschrittenes Alter schließen. Auf den zweiten Blick erkannte er ein verkohltes und deformiertes Gerät, welches auf dem Tisch des Besprechungsraums lag. Athor Ethao wes‘tiga Gipho salutierte, genauso wie der zweite Mann.

Onuk winkte ab und fragte: „Ihr habt vorhin angedeutet, dass wir vor einem Problem stehen, Athor Gipho?“ und setzte sich in einen der freien Sessel am Tisch.

Ti'Ghen, Zdhopanda. Das habe ich. Aber wir sollten uns zuerst den Bericht von Atai Vessul anhören, dem verantwortlichen Leiter der Wartungstechniker. Erzählen Sie uns nochmals, was Sie mir bereits gesagt haben, Atai Vessul“.

Atai Vessul trat etwas näher und deutete auf das deformierte Gerät, welches auf dem Tisch lag.

„Wir können froh sein und den She’Huhani danken, dass wir noch leben. Das, was Sie dort auf dem Tisch liegen sehen“, er deutete mit einer Hand auf das Gerät, „ist ein Sprengsatz. So wie das Gerät montiert worden ist, hätte es den Strukturwandler zerstören sollen, als dieser beim letzten Sprung aktiviert worden ist“.

Onuk wurde blass. ‚Ein Sprengsatz!? Warum sollte jemand einen Sprengsatz am Strukturwandler anbringen? Er war der einzige an Bord, der nicht zur Stammbesatzung gehörte‘.

„Sie meinen also, jemand versuchte, das Schiff zu vernichten, um mich loszuwerden, mich zu töten?“ fragte Onuk schockiert und sah abwechselnd beide Männer an.

Athor Ethao wes‘tiga Gipho machte mit einer Hand eine zustimmende Geste und erwiderte: „Davon müssen wir gegenwärtig ausgehen. Aber das ist momentan nicht unser Hauptproblem.“ Er sah Atai Vessul wieder direkt an, sagte: „Bitte, Vessul“ und setzte sich Onuk gegenüber.

Atai Vessul setzte sich jetzt ebenfals und fuhr fort: „Wenn ein Schiff transitiert, erzeugt der Strukturwandler ein 5D-Feld, das wie eine Blase das Schiff einhüllt. Alle Objekte innerhalb der Blase werden dann an die jeweiligen Zielkoordinaten im Standard-Universum durch den 5D-Raum versetzt. Weiter will ich garnicht darauf eingehen, es sind die üblichen 5D-mathematischen Berechnungen. Was ich damit sagen will ist: als der Sprengsatz zu früh explodierte, als der Strukturwandler anfing, das 5D-Feld aufzubauen begann, kollabierte das 5D-Feld unkontrolliert. Alle Geräte, die auf 5D-Technik basieren, sind durch das kollabierende Feld ausgefallen oder wurden schwer beschädigt. Wir haben auf die Schnelle eine Stichprobe gemacht und ich gehe davon aus, dass es jedes Gerät im Raumschiff betrifft. Wir haben keinen Hyperfunk, keine Hyperortung, kein Transistionstriebwerk. Wir sind hier gestrandet, viele Lichtberlenprags vom nächsten Sonnensystem entfernt“.

Atai Vessul machte eine kurze Pause, damit Onuk de Ariga als auch Ethao wes‘tiga Gipho seine Nachricht verdauen konnten.

„Erschwerend kommt hinzu“ fuhr Atai Vessul fort, „dass auch alle Beiboote, Roboter usw. davon betroffen sind. So wie wir es gewohnt sind, funktionieren unsere Systeme nicht mehr. Und es hilft nichts, Komponenten aus beschädigten Systemen in andere Systeme einzubauen, um diese wieder vollständig einsatzbereit zu bekommen. Denn leider sind auch die entsprechenden Abgleich- und Kallibrierungssysteme ausgefallen“.

„Welche Systeme arbeiten noch?“ fragte Onuk, der Technik als Mitttel zum Zweck benutzte und kein Techniker war, selbst wenn er entsprechende Hypnoschulungen vor langer Zeit absolviert hatte.

„Eigentlich nur noch zwei und auch vermutlich nur deswegen, weil der Bereich besonders gut abgeschirmt ist: der Andruck-Absorber und der Gravitationserzeuger der Zentrale. Zwei Ebenen oberhalb bzw. unterhalb der Zentrale geginnt schon die Schwerelosigkeit, wie sie im gesamten Schiff herrscht“.

Es herrschte für einige Palbertontas fast totenstille im Besprechungsraum, bis                                     Athor Ethao wes‘tiga Gipho das Wort ergriff: „Ich verhänge mit sofortiger Wirkung den Ausnahmezustand über dieses Schiff! Wir müssen mit den noch vorhandenen Resourcen viele Berlenprags, im schlimmsten Fall viele Vothanii auskommen. Ich werde zusammen mit den Führungsoffizieren Pläne ausarbeiten, die uns ein Überleben und möglicherweise die Rettung ermöglichen. Glücklicherweise hat uns die letzte Transition nicht allzuweit von Trantagossa gebracht. Ich werde Kurs auf Trantagossa setzen lassen und wenn uns die She’Huhanii gewogen sind, findet uns vielleicht ein anderes Schiff in der Zwischenzeit“.

Onuk wollte Einspruch erheben, aber Ethao wes‘tiga Gipho kam ihm zuvor: „Ich beziehe mich auf das im Imperium allgemeingültige Bordgesetz, dem auch Privatyachten unterstehen. Danach hat der Athor des betroffenen Schiffes die alleinige Befehlsgewalt, solange dem Schiff oder der Besatzung Gefahr droht. Diese Situation ist gegeben!“

Onuk musste sich eingestehen, das Athor Gipho Recht und Gesetz auf seiner Seite hatte, so zu handeln. Andererseits war es für ihn eine unwirkliche Situation, möglicherweise Befehle befolgen zu müssen oder zur Untätigkeit verdammt zu sein.

„Haben Sie schon eine Ahnung, wie lange wir nach Trantagossa benötigen werden?“ fragte er.

Athor Gipho trommelte unbewusst mit seinen Fingerspitzen auf die Tischplatte, bevor er die Frage beantwortete: „Bei ‚normaler‘ Unterlichtgeschwindigkeit würden wir ungefähr 216 Pragos benötigen. Aber solange werden unsere Vörräte nicht ausreichen. Darum habe ich beschlossen, das Schiff auf 80% der Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen und diese Geschwindigkeit beizubehalten. Das hat zwei Nebenwirkungen: zum einen eine Zeitdillatation und zum anderen sind wir blind, was vor uns liegt. Durch die Zeitdillatation werden wir Trantagossa in ungefähr 97 Pragos erreichen, während im Imperium 162 Pragos vergehen. Gegen den Blindflug können wir nichts ausrichten: wir haben keine Hyperortung mehr und selbst wenn, wäre die Reaktionszeit mit unseren angeschlagenen Systemen viel zu langsam“.

„Warum gerade 80% der Lichtgeschwindigkeit?“ fragte Atai Vessul, der sich bisher zurück gehalten hatte.

„Nun, die ‚normale‘ Geschwindigkeit für ein Transitionssprung beträgt 40% der Lichtgeschwindigkeit. Damit würden wir Trantagossa in 216 Pragos erreichen. Unsere Vorräte an Lebensmittel und Wasser reichen nur für neun Berlenprags, also 108 Pragos. Wenn ich noch etwas Reserve in diesen 108 Pragos einrechne, dann komme ich auf 80% der Lichtgeschwindigkeit“.

Onuk dachte nach. Ihnen blieb kaum eine andere Möglichkeit, als so, wie es Athor Ethao wes‘tiga Gipho eben gesagt hatte, zu verfahren. Keine Möglichkeit, ein anderes Schiff um Hilfe zu bitte, keine Möglichkeit, seiner Familie mitzuteilen, was vorgefallen war. Sie waren von jeder Hilfe abgeschnitten!

Onuk stand auf und mit ihm die beiden Männer. Er sah beide an, bevor er sich an Ethao Gipho wandte. „Sie haben meine Unterstützung. Unternehmen Sie alles, was für das Überleben der Besatzung notwendig ist. Eine andere Möglichkeit sehe ich auch nicht. Wenn etwas sein sollte finden Sie mich in meinem Quartier“. Damit drehte er sich um und verließ niedergeschlagen den Besprechungsraum.

* * *

zur gleichen Zeit im Harkon-System

Ein melodisches Summen vom Monitor kündigte ein Bordruf an. Adara sagte: "Gespräch annehmen" und die Bordpositronik stellte die Verbindung her. Auf dem Monitor wurde Athor Esteih nert‘lenim Neven, Kommandant der Privatyacht "THANTUR-LOKS BLÜTE", sichtbar. "Athor?" fragte Adara.

"Zdhopanda, wir befinden uns im Landeanflug auf Harkon und werden in zwei Tontas landen."

"Senden Sie eine Nachricht an Ultral I. del‘moas Harkon und berichten Sie ihm, wann wir landen werden!"

"Ti'Ghen Zdhopanda", bestätigte Athor Esteih nert‘lenim Neven, salutierte und beendete die Verbindung.

Meridas Mutter drehte sich nach Ihrer Tochter um und sagte: "In wenigen Tontas wirst Du Deinem zukünftigen Mann begegnen. Mach Dich fertig…"

Merida stöhnte leise beim Aufstehen, gerade so laut, dass ihre Mutter es hören konnte. Ihre Mutter sagte: "Das ist beschlossene Sache. Akzeptiere es endlich. Du wirst sehen, in ein paar Tai-Vothanii kommt die Liebe von alleine!" Merida kommentierte die Bemerkung ihrer Mutter, indem sie ihren Mund verzog. Trotzdem stand sie auf und zog sich in ihrer Unterkunft zurück, um sich frisch zu machen. Ihre Mutter schüttelte nur den Kopf vor so viel Unverständnis…

Als Merida nach mehr als einer Tonta wieder erschien, war sie fast nicht wieder zu erkennen. Sie wusste, wie man auf Männer Eindruck machen konnte, gelernt bei vielen Empfängen auf Ariga. Sie hatte sich extra ein Kleid ausgesucht, dass ihre Figur betonte und die Blicke automatisch in ihre Richtung lenken würde: ein paillettenbesetztes Kleid, dass in allen Farben des sichtbaren Spektrums glitzerte und das im oberen Bereich nur sparsam mit Pailletten besetzt war, um einen Hauch ihrer Reize zu offenbaren, gerade so viel, um die männliche Phantasie anzuregen. Darüber würde sie einen tunikaähnlichen Umhang tragen, bestückt mit edlen Kristallen und eingewebten, seltenen Metallfäden, hergestellt aus kostbarer Mehinda-Seide. Die chromschimmernden Metallfäden und die in allen Farbspektren des sichtbaren Lichtes glitzernden Kristalle stellten einen Kontrast zu dem dunkelroten Umhang dar. Ihre Dienerin Namemi hatte zehn palbertontalang ihre rückenlangen Haare gekämmt, gebürstet und mit verschiedenen Ingredienzien behandelt, damit ihre weißen Haare richtig zur Geltung kamen. Und als Krönung hatte sie sich von ihrer Dienerin ihre Fingernägel mit Gravierungen ihres Khasurns verzieren lassen.

* * *

Charrut wartete zusammen mit Onythia, seiner zukünftigen Stiefmutter, seinem Karan und vielen anderen Mitgliedern des Harkon-Khasurns im priviligierten Bereich des Raumhafens auf die Ankunft von Adara und Merida de Ariga die sicher von vielen anderen Personen aus dem Khasurn der Ariga begleitet wurden. Dem Anlass entsprechend trugen Onytia und sein Karan festliche Kleidung. Charrut begnügte sich mit dem weißen Anzug und den schwarzen Lederstiefeln, die er damals von Onista geschenkt bekommen hatte.

Die Tür öffnete sich und die Ehrengarde aus dem Khasurn führten Adara, Merida und viele weitere Familienangehörige der ‚de Ariga‘ herein. Alle Anwesenden, allen voran Ultral, Onytia und Charrut erhoben sich von ihren Sitzplätzen und begrüßten die Gäste. Charrut war überrascht: bisher hatte er nur Porträts von Merida gesehen. Und jetzt trat sie in den Warteraum und er hatte das Gefühl, die She'Huhanii wollten gewissenermaßen ihm gegenüber wieder etwas gutmachen, nachdem sie ihm Onista genommen hatten. Ihm gegenüber stand eine attraktive und hinreißend schöne Frau, die sich ihrer Wirkung auf Männer bewusst war! Denn sie trug ein besonders aufwendig gestaltetes Kleid, das umhüllt war von einer Art Tunika, die mit einer Unmenge an Zierrat, eingearbeiteten Kristallen und Metallfäden besetzt war. Darunter trug sie ein Kleid aus Pailletten, das unwirkührlich Charruts Blicke auf sich zog. Aber Aussehen und entsprechende Taten waren zweierlei Dinge, sagte sich Charrut. Er betrachtete besonders Meridas Tätowierung, die sich auf ihrer rechten Gesichtshälfte von oben nach unten zog und dabei über das Auge ging: Sie sah doch anders aus als auf den Bildern, die ihm sein Karan vor einigen Pragos auf der KSOL gezeigt hatte. So jung war sie doch nicht mehr, wie er erst befürchtet hatte.

* * *

Als sie alle gemeinsam die Privatjacht verließen, wurden sie von einer Orbtan-Ehrengarde empfangen, die sie schützend in ihre Mitte nahmen und zum bevorzugten Bereich am Raumhafen geleiteten, der nur dem Adel zugänglich waren. Dort wartete eine khasurneigene Ehrengarde, die sie empfingen und geleiteten sie zum Warteraum der Khasurnadeligen. Auf dem Weg dorthin ging Merida nochmals in Gedanken durch, was sie von ihrem zukünftigen Mann wusste: Charrut del Harkon, in einigen Pragos würde er 27 Tai-Vothanii alt werden. Die Raumakademie, auf der er war, war zwar nicht eine der renommierten wie der Raumakademie Iprasa oder Goshbar, aber er würde trotzdem damit eine hervorragende militärische Ausbildung erhalten.

Als sie in den priviligierten Wartebereich für Khasurnadeligen geführt wurden, standen die anwesenden Personen von ihren Sitzen auf. Ganz vorne erhoben sich ein älteres Paar, ungefähr im Alter ihrer Eltern und ein jüngerer Arki. Sie begrüßten standesgemäß erst das zukünftige Ehepaar, bevor sich Merida der Person zuwandte, die sie durch ihre Information und Holobilder als Charrut del Harkon identifizierte. Er verneigte sich galant vor ihr und sagte: "Charrut del Harkon, Zdhopanda". Sie neigte leicht ihr Haupt und erwiderte: "Merida de Ariga, Zdhopandel". Beide musterten sich, um einen Eindruck vom anderen zu erhalten. Merida spürte seine Blicke fast körperlich. Auch Merida musterte Charrut, wenn auch unauffälliger. Sie sah einen schlanken, athletischen Mann vor sich, dem man ansah, dass er durchtrainiert war. Die Uniform, die er trug, unterstrich zwar seine durchtrainierte Figur, aber als Adeliger war diese dezente Kleidung in ihren Augen völlig deplatziert. Außerdem empfand sie die Art, wie er sie betrachtete schon fast obszön. Selbstverständlich hatte sie sich erkundigt, wen sie heiraten musste. Sie hätte beinahe einen Schreikrampf bekommen, als sie erfuhr, dass ihr Vater eine Heirat mit diesen Khasurn ausgehandelt hatte: einem Khasurn, der zwar einmal einen Imperator gestellt hatte, aber dann abgesetzt und verbannt worden war. Sie hatte lange Zeit versucht, nach ihrer missglückten Flucht aus dem Khasurn, ihren Karan und ihre Fama umzustimmen, aber als Antwort hatte sie immer erhalten: Vertrag ist Vertrag! Oft hatte sie sich mit der Frau ihres Bruders, Isandra, über "Zwangsehen" unterhalten. Isandra war nur wenige Tai-Vothanii älter als sie und beide verstanden sich seit dem Kennenlernen sehr gut, aber helfen konnte sie ihr nicht; dazu war sie selbst viel zu aristokratisch erzogen und betrachtete solche "Eheverträge" als Standard. Irgendwann hatte Merida nach Außen hin resigniert. Aber eben nur nach Außen. Sie hatte lange darüber gegrübelt, welchen anderen Weg sie gehen konnte, um den Ehevertrag mit diesem Charrut del Harkon nicht eingehen zu müssen. Irgendwann fiel ihr ein, was ihre Mutter bei ihrem damaligen morgendlichen Besuch alles gesagt hatte und ein Punkt war ihr dabei besonders aufgefallen: „Bevor eine Ehe im She'Huhan-Tempel besiegelt wird, geht ihr eine Probezeit voraus“. Sie hatte mit Hilfe der Khasurn-Positronik recherchiert und war zur Erkenntnis gelangt, dass zwischen dem Unterschreiben eines Ehevertrages und der eigentlichen Hochzeit im Tempel der She‘Huhanii eine Probezeit von zwei Tai-Vothanii lag. Würde die Probezeit nicht von beiden Seiten als erfolgreich beurteilt werden, so wurde der Ehevertrag gegenstandslos, andererseits konnte die Probezeit bei Zustimmung von beiden zukünftigen Ehepartnern verkürzt werden. Sie musste also diese zwei Tai-Vothanii im Khasurn der Harkonii überstehen und danach die Probezeit als gescheitert erklären. Dann war sie wieder frei!

Nach der Begrüßung unterhielten sich Ultral und Onythia pflichtgemäß mit den Familienangehörigen der de Ariga und führten lockere Gespräche. Adara entschuldigte ihren Mann Onuk, der aus geschäftlichen Gründen leider an der Hochzeit nicht teilnehmen konnte. Nach einigen Palbertontas erklärte Ultral I. den Aufbruch, um zum Khasurn zu fliegen, damit sich die Gäste von den Strapazen des Fluges erholen und erfrischen konnten. In Begleitung der Khasurn-Ehrengarde gingen sie zu den bereitstehenden Gleitern.

* * *

Es war spät geworden. Nach der Ankunft im ‚del Harkon‘-Khasurn, den üblichen Konservationen, dem Zuweisen der Wohnbereiche für die Gäste durch Rhar Nyat, den Khasurn-Laktroten und ihrer Diener und dem darauffolgenden gemeinsamen Abendessen war man auseinander gegangen und hatte das weitere Kennenlernen der beiden Aspiranten auf den nächsten Prago gelegt. Nachdem sich alle Mitglieder beider Khasurne zurückgezogen hatten, saßen nur noch Onythia, Ultral und Charrut gemeinsam an der verlassenen Essenstafel.

Nach einigen Augenblicken fragte Onythia, an Charrut gewandt: "Und, was sagst du? Gefällt sie dir?"

Charrut stellte sein Glas auf den Tisch zurück und ließ sich mit der Antwort Zeit, bis er schließlich bemerkte:

"Nun, sie sieht interessant aus. Aber, um ehrlich zu sein, mir wäre wohler, wenn der Besuch bereits vorbei wäre.“

Onythia und Ultral sahen sich an. Ultral ahnte, das die Antwort eine Reaktion auf sein Ehevertrag war. Charrut war eher die Art von Mann, der seinen eigenen Weg gehen wollte. Aber mit der Antwort versuchte er jetzt, ihn zu provozieren. Darum hielt er sich mit einer Bemerkung zurück und überließ Onythia das Reden.

"Jeder von uns hat seine positiven und negativen Seiten, oder? Außerdem prägt auch das soziale Umfeld eine Person“ sagte Onythia, "Versuche, ihre positiven Seiten zu erkennen".

Charrut stand auf und sagte: "Ich habe noch zu arbeiten" und verließ den Speisesaal. Auf den Weg zu seinem Arbeitszimmer, dass er immer benutzte, wenn er auf Harkon weilte, musste er sich eingestehen, dass Merida genügend körperliche Reize aufweisen konnte, um einen Mann schwach werden zu lassen. Aber sie konnte noch so hübsch und verführerich aussehen, sie interessierte ihn nicht.

* * *

Merida hatte sich in ihrem Wohnbereich zurückgezogen, konnte aber nicht einschlafen; sie hatte sich noch nicht ganz an den unterschiedlichen Zeitrythmus zwischen Ariga und Harkon angepasst; außerdem war sie es nicht gewohnt, fast nur feste Nahrung zu sich zu nehmen, so wie es die Ernährungskommission des Imperators es empfahl und der Khasurn Harkon folgte.

'Es wäre vielleicht keine schlechte Idee, Charrut del Harkon jetzt aufzusuchen und einige persönliche Dinge in Erfahrung zu bringen, vorausgesetzt, er wäre noch wach. Außerdem könnte sie ihm damit zeigen, das SIE das Heft in der Hand hatte' überlegte sie sich.

"Wo befindet sich Charrut del Harkon jetzt?" fragte sie die Positronik in herablassenden Tonfall.

"Zdhopan, Charrut del Harkon befindet sich im Arbeitszimmer 9 auf Ebene 52" antwortete die Positronik.

Kurzentschlossen stand sie wieder auf, rief ihre Dienerin und zog zusammen mit dieser wieder ihr paillettenbesetztes Kleid an. 'Vielleicht reagiert er jetzt darauf, nachdem er am Prago kaum einen Blick dafür übrig gehabt hatte' ging es ihr durch den Kopf und ließ sich anschließend nochmals die Haare herrichten. Nachdem sie fertig war, ordnete sie an, daß die Positronik sie zum Arbeitszimmer 9 leiten sollte.

* * *

Charrut hatte sich in dem auf Ebene 52 liegenden Arbeitszimmer zurückgezogen, um seine Berichte für die Faehrl von Varynkor fertig zustellen und außerdem wollte er noch den Speicherkristall, den er von der Attentäterin erhalten hatte, in Ruhe auswerten. Es waren jetzt einige Vothanii vergangen, aber den Gedanken an Rache hatte er nie aufgegeben. Nur, einfach hingehen und den Khasurn bzw. das Khasurnoberhaupt anzuklagen, dafür hatte er zuwenig Beweise. Die Daten auf dem Kristall zählten nicht. Nein, er wollte den Auftraggeber leiden lassen, sowie er durch den Tod von Onista leiden musste. Er musste in eine ähnliche Situation kommen wie die Attentäterin damals: sich Zeit lassen, eiskalt planen und konsequent ausführen!

Einige Zeit später klopfte es an der Tür und Charrut sagte: "Öffnen!". Als die Tür aufging, trat Merida de Ariga ein. Charrut blickte überrascht von seinen Unterlagen auf, schaltete schnell das Positronik-Terminal ab und erhob sich, um sie zu begrüßen.

"Ich hoffe, ich störe Euch nicht?" fragte Merida.

"Aber nein. Sie sehen mich nur überrascht. Ich hatte nicht mit eurem Kommen gerechnet" erwiderte Charrut und deutete auf eine Sitzgelegenheit. "Möchten Sie etwas trinken?" fragte er. Merida setzte sich und sagte: "Ein Glas Wenas". Charrut ging zurück zum Arbeitstisch, drückte ein Knopf und sagte: "Ein Glas Wenas und ein Glas Racausa!". Anschließend ging er wieder zu Merida und setzte sich ihr gegenüber.

"Kann ich etwas für Sie tun, Zdhopanda?"

"Ich hielt es für eine gute Idee, uns etwas näher kennen zu lernen. Finden Sie nicht auch?" erwiderte Merida fragend.

"Unbedingt!" sagte Charrut.

Merida blickte zum Schreibtisch und fragte: "Sie arbeiten noch so spät?"

"Nun, als Athor a.P. hat man neben rein militärischen auch noch administrative Aufgaben zu erledigen. Ich war gerade dabei, Berichte über das Schiff und der Besatzung zu erstellen, damit ich sie nach meinen Urlaub der Kommandantur übergeben kann. Außerdem will ich auf der Militärakademie hier auf Harkon einen Vortrag halten".

Es klopfte kurz an der Tür und eine Dienerin trat ein. Sie goss Merida ein Glas Wenas ein und stellte Charrut ein Glas Racausa hin, um sich sogleich gleich wieder zurück zu ziehen.

Merida nahm einen kleinen Schluck vom Wenas und sagte: "Erzählen Sie mir etwas von sich, damit ich mir ein persönliches Bild von Ihnen machen kann."

Charrut nippte kurz am Racausa, bevor er erwiderte: "Wo soll ich anfangen?"

"Vielleicht bei Ihrer Familie, Ihren Hobbies, Ihren Leidenschaften" sagte Merida und sah ihn an.

Charrut fuhr sich mit einer Hand nach hinten durch sein schulterlanges Haar, bevor er antwortete: "Mein Verhältnis zu meiner Familie war nicht immer so entspannt wie heute“ und liess absichtlich die Vorkommnisse der letzten Pragos weg. „Früher, in meiner Jugend, hatte ich oft Meinungsverschiedenheiten mit meinem Vater, insbesondere in der Zeit nach dem Tod meines Bruders. Das bezog auch das Verhältnis zu meiner Schwester mit ein, die mittlerweile verheiratet ist." Nach einem Augenblick des Nachdenkens fuhr Charrut fort: "Der Familie UND dem Khasurn bin ich verpflichtet, ihnen gehört mein Herz. Ich werde nichts tolerieren, was ihnen gefährlich werden könnte!" sagte Charrut. "Mit der zukünftigen Frau meines Vaters, Onythia, verstehe ich mich sehr gut. Und ich habe auch ein sehr gutes Verhältnis zu meiner Tante T'hina, die im Isundi-System lebt, ungefähr 5 Licht-Tai-Vothanii von Harkon entfernt". Charrut machte eine kurze Pause, bevor er sagte: "Sie hatten mich vorhin nach Hobbies und Leidenschaften gefragt. Ein Hobby von mir ist das Sammeln von Handfeuerwaffen aller Art, und eine Leidenschaft, so könnte man es wohl nennen, ist alles, was mit Geschwindigkeit zu tun hat: schnelle Gleiter, Ein-Mann-Raumjäger usw."

"Und Ihre militärische Laufbahn?" fragte Merida und nahm wieder einen kleinen Schluck.

"Ich werde solange der imperialen Flotte angehören, bis mein Vater die Führung des Khasurns an mich übergibt. Bis dahin werde ich alles tun, um beim Militär vorwärts zukommen und die mir gestellten Aufgaben bestens zu bewältigen." sagte Charrut und trank etwas von seinem Racausa. Bevor Merida wieder eine Frage stellen konnte, stand er auf und sagte: "Ich finde, unsere Unterhaltung hat einen besseren Platz verdient als diese Umgebung. Begleiten Sie mich?"

Merida blickte Charrut überrascht an, sagte dann aber: "Gerne" und stand ebenfalls auf.

Charrut bot ihr seinen Arm an, und gemeinsam verließen sie das Arbeitszimmer.

Charrut steuerte auf den Khasurn-Park zu, den sein Vater so liebte, den auch er in den letzten Tai-Vothanii zu schätzen gelernt hatte, und gemeinsam spazierten sie langsam durch den Park.

"Dieser Park…" und Charrut machte mit der Hand eine weitläufige Bewegung, "…ist einer der Lieblingsplätze meines Vaters. Und auch ich habe es oft sehr genossen, während der Militärausbildung hierher zukommen. Die Ruhe und die natürliche Stille hier lässt einem viele Dinge aus einer anderen Perspektive sehen." Einen Augenblick herrschte Stille zwischen ihnen, während sie weitergingen.

"Und, sonst haben Sie keine Hobbies oder andere Leidenschaften?"

"Nun, natürlich gibt es noch einige andere Leidenschaften. Ich bin technikbegeistert, insbesondere Raumschiffs- und Positroniktechnik, gehe gerne schwimmen, ich mag historische Arkiimusik und früher, als ich dazu noch Zeit hatte, habe ich auch gerne an den Na'tha-meh-Rennen hier auf Harkon teilgenommen".

"Was ist das für ein Rennen?" fragte Merida neugierig, denn sie konnte mit dem Begriff nichts anfangen.

"Nun, das Na'tha-meh-Rennen ist ein Ausdauer- und Kraftsport. Sinn und Zweck ist es, den Willen dieser Na'tha-mehs zu brechen und eine vorgegebene Strecke in kürzester Zeit zu überwinden. Meistens dauert es zwei Pragos, bis das Rennen abgeschlossen ist. Die Na'tha-mehs sind wild und ungestüm, lassen sich nicht reiten und ein Reitgeschirr umlegen" erläuterte Charrut.

Merida schwindelte es und sie wurde etwas blasser im Gesicht. Sie konnte kaum glauben, was sie hörte. 'Ein Rennen mit wilden, stinkenden Tieren, deren Gestank nach Charruts Rückkehr in den Khasurn womöglich noch mehrere Pragos in der Luft hing und ihre Nase beleidigen würde'. Ein Glück, dass er wegen seiner Abwesenheit durch die Flotte kaum noch dazu Zeit findet.

Nachdem Merida nichts sagte, sah Charrut sie an und fragte: "Geht es Euch nicht gut? Ihr seht etwas mitgenommen aus!"

"Nein, nein, es nur die Anstrengung des heutigen Pragos" schwindelte Merida etwas. Sie wollte nicht unhöflich sein und ihm direkt sagen, was sie von diesen Na'tha-meh-Rennen hielt. Sie holte aus einer versteckten Tasche ihres Kleides ein Flakon heraus und roch daran; sofort fühlte sie, wie ihr Unwohlsein verschwand. Einige Augenblicke war es ruhig, bis Charrut sagte: "Es ist spät geworden, und morgen ist auch noch ein Prago, um weitere Fragen beantworten. Ich geleite Euch zu eurem Quartier."

„Ja, vielen Dank“ erwiderte Merida mit müder Stimme, in der auch etwas Unwohlsein mitschwang.

* * *

14. Prago to Ansoor 14.598 da Ark – 14:00 VOT Ortszeit

Der frühe Abend kündigte sich bereits an, als sich der Tross aus Khasurnangehörigen, geladenen Gästen und dem Hochzeitspaar mit vielen Luxusgleitern auf den Weg zum She’Huhanii-Tempel machte. Charrut spürte eine gewisse Nervosität in sich, obwohl es nicht seine Hochzeit war, sondern die seines Karans und dessen Verlobte Onythia. Aber er musste daran denken, dass sein Karan für ihn einen Ehevertrag abgeschlossen hatte. Darum war es nur eine Frage der Zeit, bis er auch diesen Weg gehen musste. Immer, wenn seine Gedanken dahin abschweiften, kochte seine Wut auf und der Groll auf sein Karan kam wieder in ihm hoch. Wenn er nur eine Möglichkeit fände, dieser Ehe zu entgehen! Er hatte eine Weile mit dem Gedanken gespielt, den Ehevertrag nicht zu unterschreiben. Aber er kannte seinen Karan. Er würde seine Drohung wahrmachen, ihm jede finanzielle Unterstützung zu entziehen. Dann müsste er die Akademie von Varynkor verlassen und wieder nach Harkon zurückkehren. Sein Traum von einer Karriere in der Flotte wäre dann ausgeträumt. Wenn er den Ehevertrag unterzeichnen sollte, könnte er nach seiner Abschlussprüfung um seine Versetzung innerhalb der Flotte zu bitten. Möglichst weit weg, damit er so wenig wie möglich nach Harkon kommen konnte und damit zu seiner ‚Ehefrau‘.

Mit im Gleiter saßen seine herzensgute, verständnisvolle Tante T’hina, die Schwester seines Karans, sowie Adara de Ariga und selbstverständlich Merida. Adara und T’hina saßen nebeneinander ihnen gegenüber und unterhielten sich über die bevorstehende Hochzeit, während Merida schweigend neben ihm saß.

Der Flug würde eine halbe Tonta in Anspruch nehmen, da der She'Huhanii-Tempel am nordöstlichen Ende des Kontinents lag. Als er schließlich den kunstvoll ausgeleuchteten Tempel,der einer siebenblättrigen Secinda-Moos-Blüte nachempfunden war, aus dem Seitenfenster erspähte, machte er die anderen darauf aufmerksam.

„Seht, die Blüte des Glücks!“

Adara schenkte Charrut ein freundliches Lächeln und als sie sicher war, dass er es nicht mehr mitbekommen würde, einen auffordernden, auf Charrut deutenden Blick zu ihrer Tochter Merida.

Merida beugte sich zu ihm herüber, um aus dem Seitenfenster einen Blick auf das Bauwerk werfen zu können, das harmonisch in der Seenlandschaft eingebettet war.

So nah bei ihm, stieg ein exotischer Duft in seine Nase. Er wusste nicht, ob ihr Körper oder ihr Haar diesen Duft ausströmte. Jedenfalls hatte er schon lange nicht mehr solch einen verführerischen Duft wahrgenommen. Aber Begriffe wie ‚Zwangsehe‘, ‚Ehevertrag‘, ‚Erpressung‘ brannten sich in seine Gedanken und ließen alles wie an einer Mauer abprallen, rangen die durch den Duft hervorgerufenen Emotionen nieder.

Kurz darauf landete der Gleiter auf einem von Bäumen umringten Landeplatz, nahe dem Ufer des Sees, in welchem die Tempelblüte stand. Er stieg aus und half seiner Tante T’hina, Adara und Merida beim Aussteigen. Charrut führte die Frauen über den leicht gewundenen Fußweg zu einer hölzernen Brücke. Diese führte anschließend zu einem der sieben Eingänge, gut 500 Quars entfernt auf die Insel des Blütenbauwerks. Langsam gingen sie auf den Eingang zu, der sich direkt am unteren Ansatz der Secinda-Moosblatt-Nachbildung befand. Ein Priester wartete davor auf die Gäste. Das Secindablatt war unter Wasser dunkeltürkis gefärbt und lief zur Blattspitze in 100 Quars Höhe in hell leuchtendem Weiß aus.

Charrut sah zurück und erkannte Sicherheitspersonal in den Farben der She'Huhanii-Priester, die gerade einen nicht angemeldeten Gleiter wieder zum Abfliegen bewegten. Nur geladenen und angemeldeten Gästen war es erlaubt, an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Darunter befanden sich auch Mitarbeiter der lokalen Trivid-Nachrichtensendern mit ihren fliegenden Robotkameras, denn die Hochzeit von Onythia de Chihan und Ultral I. del Harkon war DAS Ereignis im Elimor-Sektor. Weitere Hochzeitsgäste folgten dem Weg.

Adara nahm Merida unterwegs kurz zur Seite und flüsterte ihr etwas zu, um sich dann wieder an T’hina, Charruts Tante zu wenden.

Merida neigte sich im Gehen zu ihm herüber und fragte: „Wart Ihr schon einmal bei einer Hochzeitszeremonie dabei?“

Charrut verspürte wenig Lust, sich mit Merida zu unterhalten, konnte sie allerdings nicht ignorieren. Darum erwiderte er: „Ja, im letzten Tai-Vothan hat meine Schwester Chamah’ney geheiratet. Und Ihr?“.

„Mein Bruder Arano hat vor über vier Tai-Vothanii auf Ariga geheiratet. Das war für mich das einzige mal, dass ich bei einer Hochzeit dabei war“.

Gemeinsam gingen sie weiter. In dem orangefarbenen Sonnenuntergang leuchtete nun jedes Blatt an den Rändern intensiv golden auf. Der Priester führte sie in das innere des Tempels. Den Weg, den sie dabei benutzten, führte spiralförmig gewunden nach oben in eines der sieben Secinda-Blätter, wo sich Sitzgelegenheiten für die Tempelbesucher befan­den, die sich tribünenartig um den Kristallaltar, dem Zentrum des Tempels, gruppier­ten. Als sie ihre Plätze erreichten, waren sie gut 10 Quars vom Kristallaltar ent­fernt; im Prinzip saßen sie alle in der ersten Reihe. Je geringer die Beziehung zu den bei­den Heiratswilligen war, deste höher und damit weiter weg saßen die Gäste. Vor sich sah Charrut eine kleine Schale mit frischen und feuchten, handlangen Secinda-Wedeln auf einem kleinen Beitisch stehen.

Charrut ließ seinen Blick über die anderen sechs Sitztribünen schweifen, die sich nach und nach füllten. Er sah sich um und erinnerte sich, dass jede der Tribünen gut 1200 Personen fasste. Ab und zu erkannte er ein bekanntes Gesicht; Keon’athor Ranis de Ves’kali, Burlor dom Kelas, die Leiter der Militärakademie auf Harkon, Kima del Sekal, eine der führenden Wirtschaftsmagnaten im Elimor-Sektor, Issoss dom Harkon, ein entfernter Neffe von ihm sowie die engsten Familienangehörigen der ‚nert Harkon‘ aus dem Komthra-System. Weiter rechts hinter Merida saßen Adara und T’hina, dahinter sah er seine Schwester Chamah’ney mit ihrem Mann Zahur del L'harani. Sofern man jemanden ansah, nickte dieser leicht zurück, denn ein Winken oder lautes Zurufen wäre ein unverzeihlicher Fehler gewesen; die zeremonielle Etikette verbot so ein Verhalten. Während der anschließenden Feierlichkei­ten hatte man genügend Zeit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Einige Gäste unterhielten sich leise miteinander und von Zeit zu Zeit warf jemand einen neugie­rigen Blick zu Merida und man fragte sich wohl, wer die Frau an seiner Seite war. Er war sich sicher, dass die von den Robotkameras aufgenommenen Bilder von Merida an seiner Seite bald für wilde Spekulationen sorgen würden. Verbittert ballte er seine Hände zu Fäusten.

Mit dem Verschwinden der Sonne hinter dem Horizont erklang eine leise und sanft rhythmische Melodie, die dem natürlichen Klang Thantur-Loks entsprach. Ein Blick nach oben zeigte die ersten Sterne, die nun rötlich am Abendhimmel schimmerten; ein wichtiger Bestandteil der Hochzeitszeremonie, denn nur mit einem freien Blick auf die Sterne konnten die She‘Huhanii ungehindert auf das Brautpaar hinabblicken. Wer genügend Chronners hatte, ließ auftauchende Wolken und Regen von der planetaren Wetterkontrolle beseitigen. Weniger Betuchte ließen ein Prallfeld erzeugt und auf der Innenseite des Prallfeldes den Sternenhimmel von Thantur-Lok mit dem Sternbild ‚Krone der She’Huhanii‘ projezieren.

Charrut konzentrierte sich wieder auf das Hochzeitsgeschehen von Onythia und seines Karans. Leise sagte er zu Merida, die rechts neben ihm saß: „Jetzt müsste es gleich losgehen."

Merida nickte mit starrem Blick und erwiderte gezwungen: "Habt Ihr die Traugewänder gesehen, die über dem Kristallaltar liegen?"

Charrut konnte nicht mehr antworten, da der erste sanfte Gongschlag erklang und damit die Hochzeitszeremonie eröffnete; die wollte er auf gar keinen Fall verpassen und konzentrierte sich darauf. Vom Kristallblock im Zentrum der Blüte wanderten seine Augen die beiden spiralig angelegten Kristallwege entlang zu ihrem Anfang, wo auf der einen Seite der Bräutigam in seiner traditionellen Khasurnkleidung erschien, ihm gegenüber die Braut in ihrer traditionellen Kleidung. Er konnte sogar erkennen, dass sie die nur noch wenig praktizierten Mehinda-Zeichnungen auf Armen, Oberkörper und Gesicht trug. Beim nächsten Gongschlag traten je ein männlicher und ein weiblicher Priester zu den Brautleuten. Mit jedem weiteren Gongschlag wurde langsam die Kleidung bis zum rituellen weißen Lendenschurz ausgezogen. Beim zwölften Gongschlag knieten die nun fast nackten Brautleute sich hin. Die vier Priester nahmen aus Secinda-Moos zusammengesetze armlange Wedel in die Hände und benetzten die Brautleute mit Wasser. Wieder ertönte ein Gongschlag und die Priester legten die nassen Wedel weg, ergriffen ein einfaches weißes Tuch und trockneten das Brautpaar sorgfältig ab. Diese standen auf, als die Priester mit einem weißen Togagewand kamen und beiden Brautleuten diese anzogen.

Anschließend führten sie das Brautpaar auf den Kristallweg. Der nächste Gongschlag ertönte und die sieben Priester, die in den Secindablätterspitzen hoch oben über ihren Köpfen standen, brachen ihr Schweigen und rezitierten das erste Gebot des Kristallweges. Das Brautpaar sprach es laut nach und schritt unterdessen über den Kristallweg, bis beide vor dem Kristallaltar standen, vor dem der Oberpriester auf sie wartete.

Als sie den letzten Vers sprachen, nahmen sie je einen vom Oberpriester angebotenen Schlegel, die einem Secinda-Fruchtstängel nachempfunden war. Danach gingen sie zum ersten Kristall und fingen wieder an, die zwölf Verse der She‘Huhanii zu beten. Nach jedem Vers wurde der zugehörige Kristall mit dem Schlegel angeschlagen, dessen Klang in der Blüte des Tempels bestehen blieb. Alle Klangwellen zusammen ergaben einen harmonischen Mehrklang, der durch Mark und Bein drang, jeden im Tempel ergriff und jeder sich Erhaben und den She‘Huhanii nah im Herzen fühlte.

Charrut wusste, das der entscheidende und letzte Schritt der Zeremonie der gemeinsame zeitgleiche Schlag mit dem Schlegel auf den zentralen Kristall war. Würde sich nun von ihm ein harmonischer Klang ausbilden, so war die Hochzeitszeremonie erfolgreich abgeschlossen und beide waren vor den Augen der Sternengötter verheiratet. Sollte ein Missklang entstehen, durften die beiden Heiratswilligen es noch einmal versuchen, von Anfang an mit dem ersten Kristall.

Onythia und Ultral sprachen gerade den letzten Vers, während der Tempel in der bisher entstandenen Klangwelle schwang und alle Hochzeitsgäste ergriffen dem Mehrklang lauschten.

Onythia und Ultral standen am letzten Kristall und schlugen mit ihren Schlegeln leicht dagegen. Der Mehrklang, der sich durch den Tempel zog, wurde lauter. Charrut hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Der Mehrklang hatte ihn ergriffen und trug ihn auf einer spirituellen Welle fort. Sein Geist durcheilte Thantur-Lok hinaus nach Debara Hamtar, die weiter entfernten Galaxien durch das Universum und suchte die She‘Huhan…

Als er nach einiger Zeit wieder klar denken konnte, war es ruhig, die Harmonien abgeklungen. Zu seiner Überraschung hatte Merida, die neben ihm saß, eine Hand auf seinen Arm gelegt. Er blickte zu ihr hinüber und sah in ein verzücktes, entrücktes Gesicht; sie war noch im Bann der Harmonien gefangen, darum ließ er sie gewähren.

Alle Priesterinnen und Priester, die wie die Trauzeugen am Ende der Secinda-Blätter stehen geblieben waren, gingen gemessenes Schrittes zu dem am Kritallaltar stehenden Paar und segneten es gemeinsam. Damit wurde die Heirat vor den She’Huhanii besiegelt.

Sein Karan umarmte Onythia und beide küssten sich innig. Charrut beobachtete es mit gemischten Gefühlen. Er freute sich wirklich für beide, dass sie einander gefunden hatten, aber auf der anderen Seite spürte er einen Stich im Herz, da er Onista vermisste.

Danach zogen sich die Priester ins Innere des Gebäudes zurück, während das Brautpaar von den Trauzeugen in ihre traditionellen Hochzeitsgewänder gehüllt wurden.

Währendessen erhoben sich die Gäste und gingen den Weg zurück zum Eingang des She’Huhan-Tempels, durch den das eben gesegnete Hochzeitspaar den Tempel verlassen würde. Dort stellten sich die Hochzeitsgäste auf und warteten darauf, dass die Priester zusammen mit Onythia und Ultral herauskamen. Als sie erschienen, warf jeder seine Secinda-Wedel unter ‚Sie leben hoch‘-Rufen auf sie, ein Symbol für Glück und Kinderreichtum.

* * *

Seit Tontas liefen die Hochzeitsfeierlichkeiten auf Hochtouren. Tausende von Gästen, Freunden und Familienangehörigen feierten die Hochzeit von Onythia und Ultral I. Fast alle Räumlichkeiten im Khasurn oberhalb des Khasurnfundamentes standen den Gästen zur Verfügung. Ein Drittel aller Anwesenden waren Diener und Dienerinnen, die unermüdlich Getränke und Speisen heranschafften und die Reste beseitigten. Seit Tontas hatte Charrut seinen Karan und seine ‚neue‘ Fama nicht mehr gesehen. Aber das war kein Wunder, denn schließlich waren mehr als 5600 geladene Hochzeitsgäste im Khasurn und das Khasurngebäude war groß.

„Charrut“ sprach ihn eine bekannte, lange nicht mehr gehörte weibliche Stimme von hinten an. Er drehte sich um und sah seine Schwester Chamah’ney, die ihn anlächelte. Nur kurz ging ihm durch den Kopf, was ihm sein Karan erzählt hatte, dass nämlich Chamah’ney ihn damals psychologisch bearbeitet hatte. Und dass er dann geglaubt hatte, dass es sein eigener Wunsch war, der Raumakademie Varynkor beizutreten. Aber er verwarf den Gedanken vorläufig. Zu lange hatte er seine Schwester nicht mehr gesehen. Er ging auf sie zu und umarmte sie. Nach kurzem Augenblick löste er die Umarmung, trat einen Schritt zurück und fasste sie an den Händen.

„Gut siehst du aus und hast dich überhaupt nicht verändert“.

Sie lachte kurz auf und erwiderte: „Das stimmt so nicht ganz“. Sie strich mit einer Hand über ihren leichten Bauch und meinte: „Wir werden bald nicht mehr allein sein!“

Charrut war überrascht. „Wirklich? Das sieht man dir aber überhaupt nicht an“.

„Ja. Zerl ist mächtig stolz darauf, dass es ein Junge sein wird!“ erwiderte Chamah’ney lächelnd. Sie löste ihre Hände von Charrut, der sie noch immer hielt, hakte sich bei ihm ein und führte ihn langsam in einen Bereich, in dem weniger Gäste waren, damit sie sich etwas privater unterhalten konnten.

„Erzähle. Wie läuft es auf der Militärakademie? Kommst du gut voran mit der Ausbildung? Und erzähle mir von deiner zukünftigen Frau, Merida de Ariga. Habt ihr euch schon näher kennengelernt?“

* * *

Merida fühlte sich unwohl in ihrer Haut. Obwohl sie zusammen mit ihrer Fama und anderen Familienangehörigen, die mit nach Harkon gekommen waren, an den Hochzeitsfeierlichkeiten teilnahm, kannte sie niemanden. Dementsprechend fühlte sie sich einsam unter den vielen Hochzeitsgästen. Selbst Charrut del Harkon wäre eine erlösende Abwechslung gewesen, aber sie konnte ihn nirgendwo sehen. Die Gespräche, die sie am Rande mitbekam, drehten sich entweder ums Geschäft oder betrafen die politische Lage im Tai Ark'Tussan. Nichts, was sie interessierte. Und ihre Fama spielte bei ihr die Duenia. Von Zeit zu Zeit war sie von der einen oder anderen Person höflich angesprochen und indirekt gefragt worden, in welchem Verhältnis sie zu Charrut del Harkon stehen würde, nachdem man sie beide gemeinsam zusammen bei der Hochzeitszeremonie gesehen hatte. Und jedesmal hatte ihre Fama eingegriffen und die Fragen zurückhaltend beantwortet. Es war für sie so frustrierend. Aber sie konnte sich den Abend freundlicher gestalten und etwas trinken. Darüber würde sie zumindest für eine Weile die Gedanken an die geplante Hochzeit mit diesem Charrut ‚vergessen‘. Das konnte ihre Fama nicht verhindern, ohne eine Szene zu machen. Genügend Bedienstete mit vollen Sikkus-Gläsern liefen oft an ihr vorbei…

* * *

Charrut musterte sein Gegenüber: Vherdyn de Chihan, Onythias Neffe und Absolvent an der Faehrl von Largamenia. Er hatte bisher wenig Zeit gehabt, Vherdyn näher kennenzulernen. Er wusste, das Vherdyn de Chihan einer persönlichen Einladung seines Vaters gefolgt und zusammen mit Onythia nach Harkon gekommen war. In der wenigen Zeit, in der sie beide bisher zusammengetroffen waren, machte er auf Charrut bisher einen symphatischen Eindruck. Vherdyn hatte gerade mit ihm auf die Hochzeit seines Karans und Onythias angestoßen.

„Ihr seit also auch auf einer Raumakademie“ sagte Vherdyn, mehr als Feststellung als Frage. „Varynkor…“ sprach Vherdyn gedehnt aus. „Ich muss zugeben, nicht allzu viel über diese Akademie zu wissen. Das meiste sind wilde Gerüchte und es wird viel gemunkelt. Man sagt, was ich kaum glauben kann, die Ausbildung soll sogar noch härter sein als auf den bekannten Raumakademien!“ und sah Charrut fragend an.

Dieser nahm noch einen kleinen Schluck vom Sikkus und legte sich seine Worte zurecht. „Ja, Varynkor ist außergewöhnlich innerhalb des Imperiums. Obwohl wir dieselben Ausbildungsanforderungen erfüllen müssen, werden seitens der Akademieleitung höchste Ansprüche an uns gestellt. Der Imperator hat diese Akademie persönlich initiiert und darum ruht sein Auge auf der Akademie und uns. Nur wenn wir Höchstleistungen erbringen, können wir hoffen, zu bestehen.“ Vherdyn nickte zustimmend.

„Ist es wahr, was man sich so erzählt? Dass viele Angehörige der Akademie Breheb‘cooi sind?“

Charrut nickte und erwiderte: „Ja, richtig. Viele entstammen nicht dem Adel, sondern sind Essoya, Mehandor, Kaan’lass usw. Aber egal, woher sie kommen, eines haben sie alle gemein: sie wollen die Ausbildung erfolgreich beenden!“

Vherdyn schüttelte leicht den Kopf und erwiderte: „Ich weis nicht… Wenn jemals ein Mehandor mein Vorgesetzter wäre, wie ich damit umgehen sollte. Er wäre kein Arki.“

Charrut sah in direkt an und erwiderte vielleicht etwas zu betont: „Die Befehle befolgen! Wir haben beim Eintritt auf die Akademie einen Eid geleistet, an diesen sollten wir uns immer wieder erinnern: Mein Leben für Arkon und den Imperator!“

Vherdyn erwiderte seinen Blick und sagte: „Ja, Ihr habt Recht: Mein Leben für Arkon und den Imperator!“

Charrut nippte nochmals an seinem Glas und fragte Vherdyn: „Ihr seid einen Tai-Vothan weiter in der Ausbildung als ich. Ende dieses Tai-Vothan werden wir zur ARK SUMMIA zugelassen. Mich würde interessieren, wie die Ausbildung und Prüfungen…“ Weiter kam Charrut nicht, denn weiter hinten, trotz der Musik des Orchester und dem Stimmengewirr im Raum, waren laute, ärgerlich klingende Stimmen zu vernehmen und viele Hochzeitsgäste in ihrer Nähe unterbrachen ihre Unterhaltungen und wandten sich der Störung zu. Auch Vherdyn de Chihan und Charrut unterbrachen ihre Unterhaltung und gingen in die Richtung des Tumultes, währenddessen hörte das Orchesters auf zu spielen.

Sie erreichten den Bereich, um den sich bereits eine größere Gruppe versammelt hatte. Charrut sah, dass mehrere hochdekorierte Offiziere der imperialen Flotte auf der einen Seite standen, auf der anderen Seite ihnen gegenüber Adara und Merida de Ariga. Adara versuchte wohl gerade, Merida von den Offizieren fortzuziehen, während sich Merida sträubte. Merida musste einiges getrunken haben, denn sie stand nicht mehr fest auf ihren Beinen und schwankte öfters. Charrut hörte, wie Merida gerade zu den Offizieren lallend sagte „…bekommt ihr ja noch nicht einmal einen hoch“ und dabei kicherte. Charrut stöhnte innerlich auf. Das hatte gerade noch gefehlt, dass die Hochzeitsfeier in einem Eklat ausartete. Ausgerechnet Merida! Das konnte und durfte er nicht zulassen.

Charrut schlängelte sich durch die vor ihm stehenden Arkii, ging auf Merida und Adara zu. Merida sah ihn kommen, kicherte laut und fragte ihn schon von weitem: „Na, wieder stinkende Na‘thams geritten oder wie die Viecher heissen?“

Charrut hatte genug gehört. Als er Merida und Adara erreichte, sah er Adaras bittenden Blick, während Merida vor ihm hin und her schwankte und sich die Nase zuhielt.

Charrut nickte Adara zu, gab dem Orchester ein Zeichen, weiter zu spielen. Dann beugte er sich kurz vor Merida, packte sie an ihren Oberschenkeln und hob sie über seine Schultern, so dass sie kopfüber seinen Rücken ansah. Merida war von seiner Aktion so überrascht, dass sie kein Wort herausbrachte und mit ihren Armen auf seinen Rücken trommelte. Zielstrebig schritt Charrut, während ihnen Adara folgte mit der widerspenstigen Merida durch die Menge zum Zentralen Antigravschacht. Als sie die Menge hinter sich gelassen hatten und gemeinsam in den Antigravschacht aufwärts schwebten, sagte Adara: „Ich danke Euch, Charrut. Das ganze ist mir sehr peinlich“.

Bevor Charrut darauf etwas antworten konnte, lallte Merida: „Das muss dir nicht leid tun, Fam, das Charrut diese stinkenden Tiere reitet. Und Ihr, Charrut, lasst mich endlich los!“

Er dachte garnicht daran, Merida jetzt frei zulassen und mit unterdrückter, zorniger Stimme erwiderte er: „Das war bestimmt nicht das, was Eure Fama meinte“.

Während sie im Antigravschacht hinauf schwebten, verfluchte Charrut innerlich sein Schicksal. ‚Womit habe ich das verdient, Ihr Heroen. Erst nehmt Ihr mir Onista und jetzt muss ich eine Frau heiraten, die ich weder kenne noch liebe. Und die dem Alkohol so zuspricht, dass sie ihre Sinne nicht mehr unter Kontrolle hat. Warum???‘ Die letzte Frage hätte er fast laut hinausgeschrien, aber zum Glück wehrte sich Merida in diesen Moment etwas und brachte ihn wieder zurück in die Realität.

Mittlerweile hatten sie das Stockwerk erreicht, wo die beiden Frauen während ihres Besuchs wohnten. Gemeinsam schwangen sie sich aus dem Antigravschacht und gingen zum Eingang des Wohnbereiches; Adara ging voraus, während Charrut die sich wehrende Merida mit sich trug.

Adara öffnete den Eingang und gemeinsam betraten sie den Wohnbereich. Die schweren Türen schlossen sich hinter ihnen. Charrut legte Merida sanft in einen Sessel ab. Als diese wieder aufstand und in Richtung Ausgang schwankte, stellte Charrut sich ihr in den Weg und sagte mit einer Stimme, in der der unterdrückter Ärger mitschwang: „Heute nicht mehr!“

Merida starrte ihn mit glasigen Augen an, drehte sich um und verschwand in ihrem Schlafbereich.

Adara setzte sich auf die Couch im Aufenthaltsraum, verbarg das Gesicht in ihre Hände, bevor sie sagte: „Ich verstehe jetzt meinen Mann besser!“

Adara sah müde und abgespannt aus, als sie Charrut ansah und fragte. „Wollt Ihr Euch nicht setzen? Dann können wir uns darüber unterhalten“.

Charrut schüttelte den Kopf und erwiderte: „Morgen! Jetzt muss ich zurück und mit den Gästen reden, die Wogen glätten. Wir reden Morgen, dann sollte Merida auch wieder nüchtern sein. Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Adara“, drehte sich um und verließ den Wohnbereich, um sich der äußerst unangenehmen Situation zu stellen.

* * *

Merida wachte auf. Die Welt drehte sich vor ihren Augen. Stöhnend richtete sie sich auf und erhob sich langsam. Wankend blieb sie kurz stehen, sah, dass sie ihr Abendkleid noch immer trug und darin geschlafen haben musste. Langsam und taumelnd verließ sie ihren Schlafbereich. Als sie niemanden im Aufenthaltsraum sah, kicherte sie vor sich hin und verließ den Wohnbereich. Draußen musste sie sich an der Wand abstützen, während sie langsam zum Antrigravschacht trottete. Als sie ihn erreichte, ließ sie sich in den aufwärtsgepolten Antigravschacht hineinfallen und schloss die Augen. Ihr wurde langsam schlecht und die Welt drehte sich bei geschlossenen Augen schneller. Mühsam öffnete sie wieder ihre Augen und als sie an einem beleuchteten Ausgang des Antigravschachtes vorbeikam, hielt sie sich an einem Griff fest und wurde so aus dem Antigravschacht hinausgeschoben.

Ziellos irrte sie herum, bis sie irgendwann in einem Gleiterhangar landete. Beschwerlich stieg sie in einen Gleiter ein, ohne auf die Warnhinweise zu achten, die am Boden vor dem Gleitereingang aufleuchteten. Später konnte sie sich nicht mehr erinnern, wie sie es geschafft hatte, den Gleiter zu starten und ohne Probleme aus dem Gleiterhangar hinaus zusteuern. Sie flog in keine bestimmte Richtung, schaltete den Autopiloten ein und kauerte sich in ihren Sitz zusammen; ihr war so schlecht.

Ungefähr eine viertel Tonta später ertönte ein Warnsignal, das Merida aus ihrem tranceähnlichen Zustand riss. Sie blickte die Steuerkonsole an und sah ein rotes Licht blinken.

"Was ist geschehen?" fragte sie die Bordpositronik.

"Zdhopan, es liegt ein Energieabfall im Triebwerk vor und folgedessen verlieren wir an Flughöhe. Ich leite bereits eine Notlandung ein."

"Setze einen Notruf ab"

"Zdhopan, das entsprechende Systemmodul befindet sich nicht an Bord"

"Was? Wie kann das sein?" fragte Merida verstört, während sie schlagartig wach und nüchtern wurde.

"Zdhopan, der Gleiter war in Wartung, als Ihr ihn gestartet habt. Es war nur eine Energienotfallreserve vorhanden" antwortete die Bordpositronik.

"Dann lande den Gleiter so schnell wie möglich" erwiderte Merida, die sich wieder etwas gefangen hatte.

"Zdhopan, die Notlandung ist bereits…" verstummte die Bordpositronik und Merida sah, wie die Kontrolllichter der Steuerkonsole dunkel wurde.

Sie warf einen Blick aus dem Sichtfenster vor der Steuerkonsole und sah, dass sich der Gleiter über eine ausgedehnte urwaldähnliche Landschaft befand. Mit viel zu hoher Geschwindigkeit steuerte der Gleiter den Bäumen entgegen.

"Bei den She'Huhans, das ist das Ende" flüsterte Merida mit aufgerissenen Augen noch zu sich, als sich Sicherheitsgurte automatisch um ihren Körper wickelten und der Gleiter sich durch die Kronen von dichten Urwaldbäumen einen Weg bahnte. Dabei wurde der Gleiter stark abgebremst und stürzte danach noch aus einigen Quars Höhe ab und prallte mehrmals auf den sumpfigen Boden, um anschließend bis zur Hälfte darin zu versinken. Von alledem hatte Merida schon nichts mehr mitbekommen, nachdem sie bei den ersten schweren Erschütterungen des abstürzendes Gleiters ihr Bewusstsein verlor, da ein im Fahrgastraum umherschleuderndes Werkzeug ihre linke Schläfe getroffen hatte.

* * *

Ungefähr zur gleichen Zeit

Onythia und Charrut saßen zusammen. Trotz der noch frühen Tonta am Morgen lief die Hochzeitsfeier noch immer auf Hochtouren. Und es würde noch mindestens einen Prago so gehen; die Feierlichkeiten waren noch für zwei Pragos geplant. Charrut war es gelungen, die verärgerten Gäste zusammen mit seinem Karan zu beruhigen und sich im Namen des Khasurns zu entschuldigen. In einer unbemerkten Palsartonta hatte Onythia es geschafft, sich von den Gästen zu lösen und Charrut zu einem kurzen Gespräch zu bitten. Das Thema, wie konnte es auch anders sein, war Charruts künftige Frau, Merida.

"Ich weis nicht, was ich von ihr halten soll" beantwortete Charrut gerade eine Frage von Onythia, und mit der Erinnerung an dem fast ausgelösten Eklat vergangener Nacht, als ein Summen von Charruts Armbandkommunikator ein Anruf ankündigte.

"Entschuldige bitte" sagte Charrut zu Onythia und drückte ein Sensorfeld, um das Gespräch anzunehmen. Auf dem kleinen Display wurde Sicherheitschef Endar ter Sunoron sichtbar.

"Zdhopandel, wir haben ein ernstes Problem" sagte Endar ter Sunoron.

"Was ist geschehen?"

"Zdhopandel, eben war Hangarleiter Gha‘at bei mir und meldete, das ihm ein Gleiter fehlt"

"Nun, das ist doch nichts ungewöhnliches" antwortete Charrut irritiert.

"Nein, an und für sich nicht. Aber der Gleiter, der fehlt, ist in Wartung und kaum flugfähig. Ich habe mir gerade das Überwachungsprotokoll angesehen. Die Hochedle Merida de Ariga ist mit dem Gleiter gestartet!"

Charrut wurde blass und sprang von der Couch auf, auf der er mit Onythia gesessen hatte. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf: nicht schon wieder ein Gleiterproblem, wie damals, als er mit Onista und ihrer Schwester auf Varynkor mit einem Gleiter abgestürzt und beide Schwestern dabei gestorben waren. Wohin mochte Merida geflogen sein? Wie lange war sie schon unterwegs? War sie gelandet? Warum hatte sie die Warnhinweise missachtet? Und warum hatte sie keinen Kontakt aufgenommen? Wie ging es Ihr? Es war für ihn ein Déjà-vu-Erlebnis! Den Fluch, den er schon auf der Zunge hatte, schluckte er hinunter.

"Wie weit kann Sie geflogen sein und in welche Richtung? Können wir mit Ihr Kontakt aufnehmen?" fragte Charrut zurück.

"Sie ist vor ca. drei Tontas gestartet. Auf Ortungsergebnisse warte ich noch. Nein, wegen der Wartung ist nur ein Notfallenergievorrat vorhanden. Das Kommunikationsmodul wurde ausgebaut und die Bordpositronik ist nur bedingt einsatzfähig" erwiderte Sicherheitschef Endar ter Sunoron. „Die Suchaktion ist eingeleitet und im vollen Gange!“

"Ich werde gleich im Gleiterhangar sein. Es darf hiervon nichts nach außen gelangen, verstanden?"

"Thi Gen, Zdhopandel" erwiderte Endar ter Sunoron und beendete das Gespräch.

Charrut sah zu Onythia, die während des Gespräches ebenfalls aufgestanden war und das Gespräch mitverfolgt hatte.

"Sprich bitte mit Adara de Ariga und Ultral. Ich muss los" sagte Charrut zu Onythia, die ein genauso bestürztes Gesicht machte wie er und zustimmend nickte.

Charrut stürzte aus dem Raum…

* * *

Als Charrut im Gleiterhangar ankam, starteten weitere Gleiter des Suchtrupps. Sicherheitschef Endar ter Sunoron erwartete ihn am Einstieg des letzten Gleiters. Nachdem sie eingestiegen waren, setzte sich Endar an die Steuerkonsole und startete.

"Wir haben von der Ortungspositronik vom Raumhafen ein Ergebnis, wenn auch nur für einige zehnteltontas. Die Hochedle ist in Richtung Nordwesten geflogen, Flugvektor 332-188-017. Die Reichweite der Notfallenergie beträgt maximal 400 Dran, höchstens eine halbe Tonta. Wenn Sie die geortete Flugrichtung beibehalten hat, ist Sie in Richtung Darai-Meer unterwegs, also eine Gegend mit vielen Sümpfen" sagte Endar ter Sunoron zu Charrut, der in der Zwischenzeit den Flugvektor angepasst hatte.

"Wieviele Gleiter sind im Einsatz?" wollte Charrut wissen.

"Einige hundert Gleiter, Zhopaldel. Alle erhielten die Daten und den letzten bekannten Flugvektor"

Charrut nickte verstehend und sah aus dem Gleiterfenster in Flugrichtung, während er überlegte, was sie erwarteten mochte.

* * *

Als sie die Unglücksstelle erreichten, sahen sie bereits von weitem Gleiter um die Absturzstelle kreisen, während andere gelandet waren und mit der Bergung begonnen hatten. Endar landete ihren Gleiter in Nähe der Absturzstelle. Nach der Landung öffnete Charrut den Einstieg und eilte so schnell wie es der sumpfige Boden zuließ in Richtung Absturzstelle. Beim abgestürzten Gleiter waren bereits einige Rettungsroboter dabei, die Außenhülle aufzuschneiden. Als er zum Gleiterwrack kam, war gerade eine Öffnung in die Hülle geschnitten worden, und ein Arbtan mit medizinischer Ausbildung begann, das Gleiterinnere zu inspizieren. Charrut folgte ihm kurz danach hinein, sah den Arbtan bei Merida knien und sie mit Diagnosegeräten untersuchen. Einige Zehnteltontas später sagte der Arbtan:

"Zdhopandel, die She'Huhans haben Ihre Hände schützend über sie gehalten: Der linke Unterarm ist angebrochen, leichtes Schädeltrauma, einige stärkere Prellungen durch die Sicherheitsgurte, nur bei den Messwerten über Ihre innere Verletzungen kann ich mir kein genaues Bild machen. Auf alle Fälle sollte sich ein erfahrener Bauchaufschneider die Untersuchungsergebnisse nochmals ansehen. Wir brauchen eine stabile Trage, um sie zum nächsten Gleiter zu transportieren und schnellstens ins Medikcenter zu bringen."

Charrut nickte, drehte sich um und verließ das Wrack. Draußen ordnete er an, dass vier Arbtans Merida vorsichtig herausholen sollten.

Anschließend funkte er seinen Karan an, der bereits ungeduldig auf seinen Anruf gewartet hatte: "Ich lasse Merida zur Krankenstation unseres Khasurns bringen. Wir brauchen unsere besten Bauchaufschneider, damit Merida gründlich untersucht und behandelt werden kann. Bisher ist nur bekannt, daß sie einen angebrochenen Arm, ein Schädeltrauma und starke Prellungen hat. Nur die inneren Verletzungen sind nicht eindeutig. Wir werden ungefähr in einer viertel Tonta beim Khasurn eintreffen."

* * *

Charrut kam später zu den Bauchaufschneidern, da er zuvor sich mit Sicherheitschef Endar ter Sunoron und dem zuständigem Hangarleiter wegen des Zwischenfalls besprechen musste. Mittlerweile war herausgekommen, wie es dazu kommen konnte, dass ein in Wartung befindlicher Gleiter gestartet werden konnte. Die Wartungsmannschaft hatte unprofessionell gearbeitet und nicht die Positronik im Gleiter deaktiviert, so wie es Vorschrift war. Er hatte Sicherheitschef ter Sunoron angewiesen, die entsprechenden Prozesse zu überarbeiten und verstärkt auf die Einhaltung der Vorschriften zu achten. Und er hatte Sicherheitschef Endar ter Sunoron zusammen gestaucht und von ihm eine lückenlose Aufklärung gefordert, wie es sein konnte, das hochrangige Gäste des Khasurns, die von khasurneigenem Sicherheitspersonal diskret beobachtet werden, unbemerkt den Khasurn verlassen konnten.

Der Oberste Bauchaufschneider stand vor dem Zimmer, in der Merida lag und erklärte gerade ihrer Mutter Adara sowie seinem Karan und Onytia, wie es um Merida stand. Charrut hörte nur mit einem Ohr hin, während er durch die Glasscheibe Merida betrachtete. Sie wirkte, gerade jetzt, so empfindlich und verletzlich. In dem weißen Krankenbett, in dem sie gerade lag, bildete ihre blasse helle Haut und das weiße Haar fast keinen Kontrast zur weißen Bettwäsche. Charrut seufzte. Was sollte er von dem Vorfall und insbesondere von Meridas nächtlichem Ausflug halten? Auf der einen Seite wirkte sie ziemlich berechnend auf ihn, und auf der anderen Seite hatte sie ziemlich unvernünftig, emotional gehandelt. Hätte er ihre Verfassung besser eingeschätzt, ihre Situation richtig beurteilt, dann wäre es nicht zu diesem Unfall gekommen. Er hätte da bleiben sollen, mit ihrer Mutter sprechen müssen, dann hätte Merida nicht die Chance gehabt, unter Alkoholeinfluss heimlich aus dem Wohnbereich zu entweichen und einen Gleiter zu besteigen. Es war seine Schuld!

Charrut drehte sich wieder zu den anderen um, um noch einige Informationen vom Bauchaufschneider zu erhalten, und musste feststellen, das ihn alle anblickten.

"Entschuldigt bitte, ich war in Gedanken"

* * *

Adara fiel ein Stein vom Herzen, als der Bauchaufschneider mitteilte, dass ihre inneren Verletzungen doch nicht so schwerwiegend waren, wie sie zuerst befürchtet hatte. Abgesehen von dem angebrochenem Arm und dem leichten Schädeltrauma, hatte Merida nur einige wenige innere Verletzungen davongetragen: ein Riß in der Leber war das schlimmste, aber der Bauchaufschneider hatte gesagt, das diese Verletzung in zwei bis drei Pragos durch die Medikamente verheilt sein werde; der angebrochene linke Arm würde wohl eine Berlenprag zum Verheilen benötigen.

Ihr fiel auf, das Charrut gar nicht darauf achtete, was der Bauchaufschneider zu sagen hatte. Er hatte die ganze Zeit nur Merida durch die Glasscheibe beobachtet, sein Gesicht wirkte angespannt, von Zeit zu Zeit zuckte ein Muskel im Gesicht. ‚Ihm scheint der Unfall und die Verletzungen ziemlich nahe zu gehen‘ ging es ihr durch den Kopf. ‚Vielleicht nimmt die geplante Ehe ja doch noch eine Wendung zum Guten trotz der negativen Ereignisse‘.

* * *

Nachdem Bachaufschneider Aleed nert Ghad mit seinen Ausführungen fertig war, zogen sich Onythia, Adara und sein Karan zurück. Sein Karan hatte ihm noch einen Blick zugeworfen, der Bände sprach und letztlich nur eines hieß: Kümmere dich darum!

Jetzt, nachdem keiner mehr anwesend war und er alleine vor der Glasscheibe stand, schloss er kurz die Augen und versuchte, sich zu sammeln. Zu vieles war in den letzten Tontas auf ihn eingestürmt und übermüdet war er auch. Er ging gedanklich nochmals durch, was sich seit der Hochzeitszeremonie bis jetzt ereignet hatte: Meridas übermäßigen Zuspruch zum Alkohol und der damit fast ausgelöste Eklat, das Gespräch mit seinem Karan und den von Merida beleidigten Offizieren, die Hiobsbotschaft von Meridas ‚Flucht‘ und der Such- und Rettungsaktion nach ihr bis hierhin. Irgendetwas passte nicht ins Gesamtbild, das er von Merida hatte. Und dann fiel es ihm ein: Merida hatte zuviel getrunken und später sagte Adara in Meridas Wohnbereich, das sie jetzt ihren Mann besser verstehen würde. Er versuchte, sich an die Infos zu erinnern, die er von seinem Karan über Merida erhalten hatte. Da war kein Hinweis gewesen, dass diese Aussage von Adara untermauern würde! Er öffnete wieder seine Augen, warf nochmals einen Blick auf Merida, die sich in einem Regenerationsschlaf befand und aktivierte dann sein Armbandkommunikator, um Sicherheitschef Endar ter Sunoron anzuwählen.

Als auf dem kleinen Display Endar sichtbar wurde, erklärte dieser sofort schuldbewusst: „Zdhopandel, ich bin mit meinen Untersuchungen noch nicht fertig. Die…“

Charrut schnitt ihm das Wort ab: „Das ist mir klar. Aber darum rufe ich nicht an. Was für mich genauso wichtig ist, ist folgendes: ich benötige kurzfristig weitreichende Informationen zum Khasurn der ‚de Ariga‘, insbesondere zu Merida de Ariga. Und wenn ich weitreichende Informationen sage meine ich das auch!“

 „Und was das andere Thema von vorhin angeht, Endar. Halten Sie sich vor Augen, was es für den Khasurn bedeuten würde, wäre die Hochedle Merida de Ariga beim Gleiterabsturz gestorben. Von möglichen Schadensansprüche abgesehen!“

Mit verkniffenen Gesicht nickte Endar ter Sunoron leicht und erwiderte: „Thi Gen, Zdhopandel

Charrut beendete das Gespräch und fuhr sich müde mit den Händen über das Gesicht. Er drehte sich um und verließ den Medikbereich des Khasurns, um sich einige Tontas schlafen zu legen.

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